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·18. September 2024
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Zum Auftakt der Champions League muss sich der VfB Stuttgart mit 1:3 gegen Real Madrid geschlagen geben. Der deutsche Vizemeister schaffte es nicht, sich für einen starken Auftritt im Bernabéu zu belohnen. Stattdessen lernten die Schwaben Real Madrid kennen – und das könnte für die weiteren Auftritte in der Königsklasse wertvoll werden.
Aus dem Bernabéu in Madrid berichtet Michael Bojkov
“Wir müssen auch nach uns schauen in Madrid, in diesem beeindruckenden Stadion, gegen dieses beeindruckende Team. Wir müssen unsere Spielweise auf den Platz zu bringen“, lautete Sebastian Hoeneß‚ Auftrag an seine Spieler. Seine Mannschaft forderte er auf, „sehr mutig“ zu spielen. Das ist ihr gelungen, und zwar mit Bravour. Das Bernabéu – im modernisierten Gewand noch ein Stück imposanter als vorher ohnehin schon – hat in der Vergangenheit nicht viele Gegner gesehen, die es derart drauf anlegten wie der VfB Stuttgart am Mittwochabend bei seinem ersten Champions-League-Spiel seit über 14 Jahren.
Auswärtsgegner von Real Madrid tendieren im Normalfall zu einer reaktionären Spielweise. Man passt sich dem an, was der 15-fache Henkelpott-Gewinner tut und versucht so, das Risiko zu reduzieren, einen Gegentreffer zu kassieren. Nicht der VfB. Julian Chabot muss sich an den Worten seines Trainers regelrecht festgebissen haben. Wie sonst kommt ein 26-jähriger Innenverteidiger, der letzte Saison noch mit Köln abgestiegen ist und weder internationale Erfahrung mitbringt noch seine Kernqualitäten im Spielaufbau hat, auf die Idee, gegen ein hoch anlaufendes Weltstar-Ensemble und zwischen vier massiven weißen Wänden einen Ball flach und kurz aus dem eigenen Strafraum zu spielen anstatt das Leder auf gut Glück nach vorne zu dreschen? Aber genau das hat die Schwaben an diesem Abend ausgezeichnet: Mutig sein, der eigenen Linie treu bleiben.
Dabei geholfen, dass das über weite Strecken der Partie nicht nur gut ging, sondern der VfB phasenweise auch die bessere Mannschaft war, hat dabei natürlich auch die Klasse eines Angelo Stiller. Der Neu-Nationalspieler hat seine spielgestalterischen Fähigkeiten auch gegen Real Madrid unter Beweis gestellt und auch gegen die größten Fußballer des Planeten gezeigt, wie gut er darin ist, unter Druck Lösungen zu finden. Ähnliches gilt für Enzo Millot, auch Atakan Karazor machte ein starkes Spiel. Die drei zentralen Akteure der Stuttgarter waren der Hauptgrund, warum es der VfB immer wieder schaffe, sich trotz gegnerischen Pressings flach hinten raus zu kombinieren und Räume zwischen den Linien zu finden, in die sie hineinstoßen konnten. Auf diese Art und Weise erspielte sich der amtierende Vizemeister zuhauf Torchancen. 17 Schüsse und ein Expected-Goals-Wert von 1,94 (SofaScore) sind ein ausgezeichnetes Zeugnis, das so nur die wenigsten Mannschaften in den heiligen Hallen Real Madrids abgeben können.
Maximilian Mittelstädt im Duell mit Kylian Mbappé. (Photo by Angel Martinez/Getty Images)
Das einzige Manko und damit das womöglich spielentscheidende: Die Chancenverwertung. Besonders im ersten Durchgang erspielte sich der VfB Stuttgart eine Vielzahl an Möglichkeiten, darunter eine hundertprozentige nach acht Minuten durch Millot. Und an der Stelle greift eine berühmte Fußballfloskel: „Wenn du die Dinger nicht machst …“ – dann gewinnt Real Madrid. Die Königlichen sind in der Champions League seit Jahren berühmt-berüchtigt dafür, nicht höher zu springen als ein 15-facher Sieger muss. Die Blancos wissen genau, was sie tun und haben häufig das Spielglück auf ihrer Seite. So auch an jenem Mittwochabend gegen den VfB Stuttgart. Der Gegner machte die Chancen nicht und sobald man sich entschied, die eigenen Muskeln spielen zu lassen, wurde es schwierig für ihn.
Zugegeben, der Führungstreffer unmittelbar nach dem Seitenwechsel kam auch durch die Mithilfe von Maximilian Mittelstädt zustande, der sich beim entscheidenden Pass auf Vorlagengeber Rodrygo verschätzt hatte. Aber in der Folge lief der Ball deutlich flüssiger bei den Hausherren, Real Madrid bekam Lust am Fußballspielen. Das ist eigentlich nie eine gute Nachricht für den Gegner, und auch für den VfB Stuttgart hätte das durchaus vorzeitig in einem 0:2 münden können. Eher untypisch für Real-Spiele war, dass der Gegner mitten in eine Phase stärker werdender Madrilenen hinein den Ausgleich erzielte. Dass das 1:1 durch Deniz Undav letztlich wertlos war, lag ausgerechnet an Ex-Stuttgarter Antonio Rüdiger, bei dessen späten Führungstreffer nach Ecke sowohl Alexander Nübel als auch die Deckung der Stuttgarter unglücklich aussahen. Und so ging Real Madrid als Sieger vom Feld, durch einen weiteren Treffer von Joker Endrick in der Nachspielzeit sogar mit 3:1.
Endrick bejubelt das 3:1 gegen den VfB Stuttgart . (Photo by Thomas COEX / AFP) (Photo by THOMAS COEX/AFP via Getty Images)
Am Ende war es ein „typisches Real-Madrid-Spiel“, wie Hoeneß im Interview mit Prime Video selbst sagte. Die eigenen Chancen nicht genutzt und so Real Madrid zwangsläufig ins Spiel kommen lassen, das mit der nötigen Prise Abgeklärtheit und etwas Glück den ersten Sieg im ersten Spiel der neuen Champions-League-Saison feiert.
Ungeachtet dessen, dass der VfB Stuttgart nun Real Madrid persönlich kennengelernt hat, werden die Schwaben mit etwas Abstand zu den Ereignissen nur Positives aus ihrem Auftritt im Bernabéu schöpfen können. „Wir können hinter alle Dinge, die wir uns vorgenommen haben, Häkchen machen“, antwortete Hoeneß auf die Frage von 90PLUS, was er seinen Spielern nach der Partie in der Kabine gesagt habe. „Mutig zu sein, offensiv zu sein, unseren Spielstil auf den Platz zu bringen – das haben wir alles geschafft und das ist etwas Positives, was wir rausnehmen können.“
Gleichzeitig gebe es „natürlich auch Erfahrungen, die wir heute Abend gesammelt haben und mitnehmen müssen in unserem weiteren Prozess“, so Hoeneß, der der Meinung war, seine Mannschaft könne „erhobenen Hauptes und mit einem Gefühl des Stolzes hier rauslaufen“. Mit Vorausblick auf die weiteren Aufgaben in der Champions League, die da unter anderem noch Paris und Juventus heißen, ist die 1:3-Niederlage viel mehr ein Erkenntnisgewinn. Ein Erkenntnisgewinn darüber, dass der VfB Stuttgart definitiv in der Champions League mithalten kann – wenn er seiner Linie treu bleibt. Und das werden Hoeneß und seine Spieler.
(Photo by Angel Martinez/Getty Images)