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·30. April 2020
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·30. April 2020
Europameister, Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger, italienischer Pokalsieger und französischer Meister. Johan Micoud hat viel erreicht, vor allem aber war er ein Freigeist, der seine Kunst auf dem Platz auslebte und Werder Bremen Anfang der 2000er-Jahre prägte.
Johan Micoud wurde am 24. Juli 1973 in der Französischen Küstenstadt Cannes geboren. Im Sommer 1992 wurde Micoud mit 18 Jahren fester Bestandteil des Profikaders des Klubs in dieser Stadt. Cannes ist gerade in die zweite Liga abgestiegen und Zinédine Zidane zu Girondins Bordeaux gewechselt. In seiner ersten Profisaison gelingt Cannes der Wiederaufstieg in die Ligue 1. Der junge Johan Micoud spielt in der Aufstiegsrunde in allen sechs Partien von Beginn an und schießt beim 3:0 gegen Stade Rennes auch ein Tor.
In seiner ersten Saison in Frankreichs höchster Spielklasse spielte Micoud 15-mal, ist dabei aber noch nicht prägend. Ein Tor gelingt ihm in dieser Zeit, es ist das erste von insgesamt 50 Toren in Frankreichs höchster Spielklasse. AS Cannes erreichte in dieser Saison den sechsten Tabellenplatz und landete in den Jahren danach auf den Plätzen Neun und 14. Micoud avancierte zum Stammspieler, absolvierte fast alle Partien und machte sich einen Namen in Frankreich. In diesen zwei Jahren in Cannes schoss er in 73 Spielen 13 Tore und bereitete zwei Treffer vor. Noch war er nicht der große Vorlagengeber späterer Tage, noch zeichnete Johan Micoud der Zug zum Tor aus.
Im Sommer 1996 wechselte Zinédine Zidane von Girondins Bordeaux nach Italien zu Juventus Turin. Und die Geschichte wiederholte sich, die Girondins verpflichtete Johan Micoud als Ersatz für “Zizou”.
Nach dem schweren letzten Jahr von Zidane, dss Bordeaux nur auf Rang 16 in der Liga beendete, fing sich die Mannschaft wieder und konnte in der Spielzeit 96/97 den vierten Platz belegen. Johan Micoud war sofort Stammspieler, machte 36 von 38 Ligaspielen und traf achtmal. Auch die Folgesaison lief gut, Bordeaux wurde Fünfter und erreichte abermals den UEFA Cup. Und auch bei Johan Micoud zeigte sich eine Entwicklung, eine Wandlung zum mannschaftsdienlichen, genialen Spielmacher.
In der Spielzeit 98/99, Micouds drittem Jahr in Bordeaux, wurde die Girondins dann französischer Meister. Der offensive Mittelfeldspieler spielte 31 Mal, erzielte neun Tore und legte drei weitere auf, initiierte zudem zahlreiche Angriffe aus der Tiefe heraus.
Im UEFA Cup kamen die Franzosen bis ins Viertelfinale. Dort traf man auf den AC Parma aus Italien. Im Hinspiel in Bordeaux brillierte Johan Micoud. Wenige Minuten vor der Halbzeitpause trug Girondins Bordeaux einen kleinteiligen Angriff mit vielen kurzen Pässen und variablem Positionsspiel vor, Micoud baute den Angriff mit auf, der Ball wurde auf die linke Seite gespielt und der Mittelfeldspieler lief nach vorne, um eine Flanke mit einem energischen Kopfball zu verwerten.
In der Nachspielzeit der ersten Hälfte kam Micoud an der Mittellinie an den Ball und hob ihn mit einer Bewegung rückwärts über seinen Gegenspieler. Er drehte sich geschmeidig um und bewegte sich in Richtung Tor. Das Kombinationsspiel war herrlich anzusehen, Micoud konnte Sylvain Wiltord sehenswert einbinden – das 2:0 fiel.
Beide Angriffe wurden von Johann Micoud initiiert und geleitet. Hier zeigte sich seine hohe Spielintelligenz. Zwar konnten die Franzosen nicht weiterkommen, verloren das Rückspiel in Parma mit 0:6, Micoud hatte aber Eindruck hinterlassen. Auf dem ganz großen europäischen Parkett.
Micoud führte Bordeaux zur Meisterschaft, spielte mit dem Klub in der Königsklasse, sammelte weitere internationale Erfahrungen. Doch in Bordeaux war die Entwicklung langsam an ihrem Ende angelangt, der nächste Schritt musste her. Micoud suchte eine neue Herausforderung, er wechselte zur AC Parma.
Über sieben Millionen Euro zahlte die AC Parma für den Franzosen an Girondins Bordeaux. In zwei Jahren in Parma spielte Micoud 65-mal, erzielte 13 Tore und bereitete zwei weitere vor. In seiner ersten Saison wird Parma Vierter in der Serie A. Das zweite Jahr lief aber weniger gut, sowohl tabellarisch, als auch was die finanzielle Lage des Klubs angeht. Der Vertrag mit Micoud wurde aufgelöst, die Karriere schien an einem elementar wichtigen Punkt absolut ungewiss.
Auch bei der Französischen Nationalmannschaft lief es derweil nicht optimal. Zwar fährt Micoud mit zur WM 2002 in Japan und Südkorea, das Turnier wird für den Titelverteidiger mit dem Aus in der Vorrunde aber zum Disaster. Beim 0:0 gegen Uruguay, dem einzigen Punktgewinn Frankreichs bei der WM, spielte Micoud immerhin 90 Minuten durch – ein schwacher Trost.
Ablösefrei wechselte Johan Micoud im Sommer 2002 in die Bundesliga zu Werder Bremen. Trainer Thomas Schaaf sah in dem 29-Jährigen einen Spieler, der sofort helfen und der Werder auf ein neues Niveau heben kann.Und tatsächlich: Nach vielen Jahren im Mittelmaß spielte Werder wieder aufregenden Fußball. Micoud war der Spielmacher, der Denker und Lenker. Er koordinierte die Angriffe und lieferte die entscheidenden Ideen für die letzten Anspiele vor dem Tor. Thomas Schaaf gewährte dem Offensivspieler, der im Kopf oftmals schneller war als seine Mitspieler, Freiheiten. Als Freigeist blühte er auf, entdeckte den Spaß am Vorbereiten, initiierte viel.
Erstmals in seiner Karriere bereitete er in einer Saison mehr Tore vor, als er erzielte. In 28 Ligaspielen 2002/03 gelingen ihm fünf Tore und acht Vorlagen. Werder landet im Tabellenmittelfeld und qualifiziert sich für den UI Cup. Das Spiel von Werder Bremen entwickelte sich sukzessive positiv, es schien als sei Micoud das Puzzleteil, das Werder noch gefehlt hatte. Der Franzose machte seine Mitspieler besser – ein wichtiges Element.
Auch in der Folgesaison war Micoud das Herz des Bremer Spiels. Die Harmonie mit Offensivkollegen wie Ailton war beeindruckend, die Konstanz beängstigend, die Leichtfüßigkeit bewundernswert. Werder wurde Meister, Ailton mit 28 Treffern Torschützenkönig und Johan Micoud zeigte seine Genialität, führte Werder als kreativer Motor der Mannschaft zum Titel. Durch einen 3:1-Auswärtssieg in München am 32. Spieltag wurde Werder Deutscher Meister. Johan Micoud zeigte beim 2:0 mit einem sensationellen Heber, für den er nur eine Ballberührung brauchte, seine ganze Klasse.
Auch in den Folgejahren blieb Micoud kreativer Kopf dieser Mannschaft, brillierte im Offensivzentrum. Er schaffte es, diese Mannschaft, eine Zusammenstellung begnadeter Spieler, zu einer Einheit verschmelzen zu lassen. Johan Micoud wurde in Bremen geschätzt, aber auch außerhalb. Er war wie ein guter Wein, der nach längerem Reifen nur umso besser wurde.
Mit Miroslav Klose hatte er einen Abnehmer für seine Pässe im Sturm, der noch etwas variabler war als Ailton. Auch andere Stürmer konnten im Zusammenspiel mit Micoud glänzen, darunter der sehr dynamische Ivan Klasnic. Auch das ist beeindruckend und spricht für den kreativen Spielmacher: Er passte sich, seine Spielweise und die Passhärte den Bedürfnissen der Offensivkollegen an.
Nach vier Jahren in Bremen verließ Micoud Werder im Sommer 2006 und wechselte nach sechs Jahren ablösefrei zurück nach Bordeaux. Micoud dachte dort schon an das Karriereende, später sagte er allerdings in einem Interview, er habe Werder zu früh verlassen. In Bordeaux att er sich zunächst schwer mit dem Fußball. Nach einiger Zeit wirkte er aber wieder an der Entstehung einer neuen Spielkultur mit. Bordeaux wurde 2006/07 Sechster, Micoud war in der Liga an sieben Toren beteiligt. Im selben Jahr gewann Bordeaux den Ligapokal, es ist der letzte große Titel in Micouds Karriere. Die prägende Figur früherer Zeit wird er nicht mehr. In seiner letzten Saison wurde Bordeaux Vizemeister, der Glanz von Micoud verblasste aber trotz neun Torbeteiligungen.
Johan Micoud war ein Spielmacher. Ein klassischer Zehner, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Der Fußball ist komplexer, noch taktischer geworden. Früher konnte ein Einzelner das Spiel lenken, wenn er ein besonderes Spielverständnis hatte. Micoud hatte genau das, er hat dirigiert, hatte eine ausgereifte Technik und bewegte sich elegant. Was er am Ball tat, sah leicht aus. Er war ein Künstler und auch das Gehirn seiner Mannschaft, nicht umsonst bekam er den Spitznamen “Le Chef”. Micoud war einer, der das schöne Spiel zu seiner Aufgabe gemacht hat und dabei nicht nur elegant, sondern auch etwas gemütlich gewirkt hat.
Abseits des Platzes war Micoud während seiner Karriere keine einfache Persönlichkeit, einmal ohrfeigte er einen Journalisten, im Mannschaftstraining verpasste er Fabian Ernst eine Kopfnuss. Der damalige Werder-Manager Klaus Allofs sagte im Nachhinein, normalerweise hätte man einen Spieler dafür suspendiert. Nicht aber Micoud, auf dessen Qualitäten man nicht verzichten konnte.
Es passt zum Feingeist Micoud, dass er seit 2009 ein Weingut in Frankreich betreibt. Es passt auch zu ihm, dass er einer von wenigen Spielern in Deutschland ist, für die Fans eine eigene Melodie gedichtet haben. Der Song “Hey Jude” von den Beatles, hochbegabte der Musikbranche, wurde auf Johan Micoud, einen hochbegabten mit dem Ball, umgedichtet.
Johan Micoud hat die Fans nicht nur in Bremen begeistert, weil er den schönen Fußball mitbrachte und pflegte. Man kann es als unglücklichen Umstand sehen, dass er stets im Schatten seines Landsmannes Zinédine Zidane stand. Andererseits wäre ein solcher Fußballer 2002 wohl kaum in die Bundesliga gekommen.