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·30. August 2025

Krise im Sportverein: Wer kümmert sich um die Kümmerer?

Artikelbild:Krise im Sportverein: Wer kümmert sich um die Kümmerer?

„Ich brauche noch drei bis fünf Trainer für die neue Saison!“ – so klagte kürzlich ein Jugendleiter. Kein Einzelfall, überall im Land melden Fußballvereine einen Ansturm an Kindern und Jugendlichen. Die Verbände feiern diesen Boom, doch nüchtern betrachtet hat er weniger mit gesteigerter Fußballbegeisterung zu tun, sondern vor allem mit den seit 2012 steigenden Geburtsraten. Allerdings: Der Trend ist bereits wieder gebrochen, seit drei Jahren geht die Zahl stark zurück – und 2023 lag sie so niedrig wie seit über zehn Jahren nicht mehr.

Das bedeutet: In den kommenden zehn Jahren werden die Jugendabteilungen der Vereine Höchstleistungen bringen müssen – trotz des politischen Versagens bezüglich der oftmals katastrophalen Infrastruktur. Doch selbst wenn ausreichend Plätze und Hallen zur Verfügung stünden – es fehlt an einer noch wichtigeren Ressource. Den Menschen, die all das möglich machen: den Ehrenamtlichen. Ihre Zahl sinkt im Sport seit Jahren. Auch die größten Faktenleugner können das nicht ignorieren.


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Ehrenamt in der Krise

Die Entwicklung ist alarmierend. Unsere Recherche zeigt:

  • Das Ehrenamt im Sport hat sich in den letzten zehn Jahren negativ entwickelt
  • Es gibt immer mehr Arbeit für die, die noch da sind
  • Viele finden keine Nachfolger für wichtige Vereinsposten
  • Das Engagement-Verhalten (weniger Zeit pro Person) ändert sich

Die Folge: Fast jeder fünfte Verein gerät in eine existenzielle Schieflage. Nicht zuletzt, weil die Umfelder zu wenig Unterstützung und vor allem zu wenig Wertschätzung bieten. Tatsächlich unterstützen wir das Ehrenamt zu wenig.

Wertschätzung ist wichtiger als Bezahlung

Im vergangenen Jahr durfte ich gemeinsam mit meiner Kollegin Susanne Amar eine große Workshopreihe zur Stärkung des Ehrenamts im Sport gestalten. Neben hochkarätigen Gästen wie Katarina Peranić und Jan Holze (Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt) sowie Fußball-Größen wie Ewald Lienen oder Andreas Rettig entstand ein klares Bild: Ehrenamtliche wollen vor allem eins – Wertschätzung. Von daher: Danke für euer Kommen und die Anerkennung, die ihr den Engagierten zukommen lassen habt. Unsere Ergebnisse finden sich im Handbuch „Ehrenamt mittendrin!“, gestalterisch umgesetzt von Lea Gleisberg hier.

Aber Hand aufs Herz: Was läuft in unserem Land schief, wenn Menschen, die Jugendteams und ganze Vereinsstrukturen am Leben halten, kaum Anerkennung erfahren? Dass mittlerweile sogar Rettungskräfte dieselbe Klage erheben, ist ein gesellschaftlicher Offenbarungseid, in meinen Augen gar eine Schande!

Wer soll Kindern den richtigen Weg weisen?

Vorstände und Abteilungsleiter in den Clubs müssen ihre Rolle neu verstehen: Ehrenamtliche sind keine „Selbstläufer“. Sie brauchen klare Ansprechpartner, faire Rahmenbedingungen und die Möglichkeit, ihre Ideen einzubringen. Personalführung gehört längst auch in Sportvereine. Gleichwohl haben viele Führungskräfte in den Klubs nur wenig Erfahrung damit. Ehrenamt muss koordiniert werden.

Der Bildungsforscher Professor Dr. Heinz Reinders betonte im Kicker-Interview: Die nächste Generation sucht nach Sinn, Identifikation und Leitbildern – nicht nach ein paar Euro extra. Denn, so sein treffendes Fazit: „Wenn das Geld weg ist, sind auch die Leute weg.“ Viele Ehrenamtliche betonen, dass nicht die Zeit das größte Problem ist. Es sind die Umstände: fehlendes Material, schlechte Organisation, keine Wertschätzung.

Politische Dimension ist immens

Die Politik wäre gut beraten, genau hinzuhören, zumal im nächsten Jahr in vielen Bundesländern Wahlen sind. Denn die engagiertesten Teile unserer Gesellschaft drohen sich zurückzuziehen – oder schlimmer: den Rattenfängern am rechten Rand zuzuwenden. Schon heute gibt es Regionen, in denen demokratische Vereinskultur kaum noch selbstverständlich ist. Die Idee, die Bereich Ehrenamt und Sport in einem Bundestagsausschuss zusammenzulegen, mag interessant klingen. Gemessen wird die Politik aber an Taten, z. B. an Erleichterungen für die Ehrenamtlichen und an bessere Bedingungen in den Umfeldern. Diesbezüglich hört man bisher wenig.

Was kann der organisierte Sport tun?

Die Vorstände in den Vereinen werden sich hingegen wohl oder übel auf neue Zeiten einstellen müssen, die alten kommen nicht zurück. Es gilt:

  • Digitalisierung & Kommunikation sind Pflicht, nicht Kür.
  • Hauptamtliche Unterstützung prüfen – je mehr Ehrenamtliche, desto komplexer das Management.
  • Eltern einbeziehen und von Anfang an über Vereinsregeln und -kultur informieren.

Die Trainerinnen und Trainer brauchen feste Ansprechpartner, wollen ernst genommen werden und ihre Ideen in den Verein einbringen. Sie wollen vernünftig ausgestattet werden und nicht vor jedem Training erst eine Viertelstunde lang genügend Bälle zusammensammeln. Junge Trainer sollten nicht alleine übermotivierten Eltern ausgesetzt sein, von denen viele zum ersten Mal einen Sportverein von innen kennenlernen. Die meist gestellte Frage von neuen Eltern lautet: „Wird bei Regen auch trainiert?“ Wir mögen darüber lachen, aber sie ist völlig normal.

Workshops & Austausch

Am 30.09. setzen Susanne Amar und ich unsere Vortragsreihe beim Berliner Fußball-Verband fort. Wir freuen uns auf alle, die zuhören, Fragen stellen, eigene Erfahrungen teilen. Denn auch wir wollen dazulernen. Wer mehr Informationen über unser Angebot benötigt oder unsere Idee gar unterstützen möchte, wendet sich über Social Media bzw. per Mail an uns.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Vereinsvorstand erzählte uns, dass in seiner Region Trainer inzwischen utopische Summen fordern. Geld ist nicht alles – aber wir sollten auch nicht so tun, als spiele es keine Rolle. Junge Studierende müssen von etwas leben. Wenn der Minijob an der Supermarktkasse attraktiver erscheint als das Engagement im Verein, ist das ein Alarmzeichen. Gleichzeitig ersetzt Geld kein Leitbild und keine Identifikation mit dem Verein.

Mein Tipp: Stärkere Kooperationen mit der lokalen Wirtschaft. Sponsoring von Ausstattung, Trainingskleidung oder steuerfreien Übungsleiterpauschalen bis 250 Euro. Das alles kann die Wertschätzung sichtbar machen und Engagement-Talente halten. Statt Spielerprämien in Bezirks- oder gar Kreisligen auszuschütten, wäre dieses Geld bei den Ehrenamtlichen besser investiert – denn sie sichern die Zukunftsfähigkeit des Vereins. Dort ist das Geld besser und nachhaltiger investiert.

DFB mit Tag des Amateurfußballs

Nachtrag: Der DFB veranstaltet am übernächsten Wochenende den Tag des Amateurfußballs. Dankenswerterweise haben engagierte Mitarbeiter mir die nötigen Informationen zugeschickt. Es wird auch um das Ehrenamt gehen.

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