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·25. Juni 2022

Kommentar zur Berichterstattung vor der EM: Viel Luft nach oben

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"Stets bemüht" - ein Euphemismus für ausreichend Motivation, aber einen wenig begeisternden Ertrag. Für die Berichterstattung über die anstehende EM in den großen Medien trifft selbst das nicht zu: Wirklich bemüht wirken die wenigsten, der Fokus liegt zudem kaum auf den sportlichen Themen.

EM-Stimmung kommt nicht so richtig auf

Es ist wieder Scrollen und Blättern angesagt: Obwohl die EM in zwei Wochen beginnt und die Vorbereitung auf Hochtouren läuft, sind Artikel über das Turnier selten auf der ersten Seite von Zeitungen, Apps oder Websites zu finden. Ob digital oder analog, die EM muss wilden Transfergerüchten, Testspiel-Ankündigungen oder dem NBA-Draft Vorrang lassen. Damit wird viel Potenzial verschenkt - dazu scheint es in vielen Fällen mehr um Klicks und Kommentare als um inhaltlich interessante Artikel zu gehen.


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In der Frauenfußball-Bubble selbst ist die Vorfreude groß - alle fiebern auf die Kracher in der Gruppenphase hin, rechnen mögliche Turnierwege aus oder zerbrechen sich den Kopf über Schwächen und Stärken der Favoriten. Außerhalb kommt davon aber eher weniger an, viele große Medien berichten wenig über die EM, ausführliche Analysen findet man erst recht nicht. Wenn schon, dann geht es um die Entwicklung des Frauenfußballs oder um die immerwährende Frage um Equal Pay.

Zwischen Alarmismus und Hype

Mit ebenso schöner Regelmäßigkeit wie Weihnachten und Ostern kommt alle zwei Jahre bei einem großen Turnier dieselbe Diskussion auf: Wie steht es denn aktuell um den Frauenfußball? Dabei geht es schnell in Richtung Alarmismus oder Hype. Zum einen gibt es immer wieder die gleichen Debatten um die Entwicklung in Deutschland: Warum geht es nicht so schnell voran wie woanders? Warum kennen so viele Deutsche keine einzige Nationalspielerin? Und vor allem: Warum nimmt die Aufmerksamkeit nicht zu? Alles valide Fragen, und es kann sinnvoll sein, den Anlass zu nutzen, um auf wichtige Fragen aufmerksam zu machen. Aber oft drehen sich die Debatten im Kreis und das Sportliche rückt in den Hintergrund.

Besonders ironisch ist die letzte Frage: Warum nimmt die Aufmerksamkeit nicht zu? Gerne wird dann über Angebot und Nachfrage geschrieben, über mangelnde Sichtbarkeit und über verpasste Chancen nach der Heim-WM 2011. Denen trauert man dann immer noch hinterher, während Redaktionen blind an den neuen Möglichkeiten vorbeifliegen. Warum denn nicht genug Aufmerksamkeit? Ja, das könnte man sich tatsächlich fragen, wenn die Kader-Bekanntgabe in derselben Zeitung nur ein kleines Kästchen von 15x20 cm verdient hat.

Und andererseits wird jedes Mal wieder die Hoffnung ausgedrückt, dass das hier nun "die beste WM / EM" aller Zeiten ist. Die sportliche Qualität habe in den letzten Jahren sehr zugenommen, es haben nun mehr Teams Chancen auf den Titel. Auch das stimmt, und es ist eben wichtig, eine Balance zu finden. Wenn immer nur kritisiert wird, kann es auch zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden - überall wird gesagt, dass Deutschland den Anschluss verliert, das steigert die Attraktivität nicht unbedingt. Wer will schon auf ein sinkendes Schiff setzen? Andererseits ist es auch mit den Lobpreisungen so, dass von Zuschauerzahlen und dem breiten Favoritenkreis gesprochen wird, weniger aber darüber, was diese Teams konkret ausmacht.

Equal Pay: Wichtiges Thema, aber kaum konstruktive Debatte

Wenn der Frauenfußball nicht wegen des Entwicklungs-Themas in den Schlagzeilen ist, dann geht es meist um money, money, money. In den letzten Wochen haben einige Verbände angekündigt, die Prämien anzupassen, so etwa die Niederlande oder die Schweiz. Die Meldung ist in vielen Fällen gepaart mit der Frage, direkt oder indirekt: Sollte Deutschland nachziehen? Die Reaktionen sind ebenso eintönig wie vorhersehbar: Dutzende bis Hunderte Kommentare, die sich meist sehr ähneln: Die Prämien seien unangemessen und ständen bei einer Erhöhung in keinem Verhältnis mehr zu den Einnahmen und Zuschauerzahlen.

Durch medialen Druck könnte vielleicht eine Veränderung angestoßen werden, das scheint aber selten der Hauptgrund dafür, dass das Thema so oft in den Medien ist. Als kontroverse Frage kann Equal Pay zwar interessant sein, bloß ist die Diskussion in den wenigsten Fällen konstruktiv und in den meisten recht ausgelutscht.

Auch bei Männer-Turnieren geht es immer wieder um die Frage, ob die Prämien jetzt zu hoch seien, die FIFA es mit der Werbung übertreibe oder die Kommerzialisierung den Fußball zerstöre. Bei all dem - die WM in Katar als Sonderfall mal ausgeklammert - geht es aber vorrangig um den Fußball, Taktik und herausragende Spieler. Zwischen den beiden Themen sollte es auch hier eine Balance geben, denn Sport ist immer politisch und die Fragen sollten nicht komplett verschwinden - beim Frauenfußball schwankt das Pendel aber sehr in die eine Richtung, und zwar so weit, dass man bei den Equal Pay-Debatten schon fast vergessen könnte, dass auch Fußball gespielt wird.

Angebot und Nachfrage? So verändert sich nie etwas

Nun könnte man natürlich sagen: Auf einen Artikel mit der Überschrift "Equal Pay in Deutschland? Warum die Maßnahme überzogen wäre" klicken vielleicht mehr Interessierte als auf eine Diskussion darüber, auf welcher Position Oberdorf bei der EM spielen sollte. Aber wenn sich langfristig etwas bewegen soll, muss man dem Publikum auch zutrauen, sich für die fußballischeren Aspekte zu interessieren. Es reicht nicht, darüber zu schreiben, dass es an Identifikationsspielerinnen mangelt - konsequenterweise muss man dann auch Kandidatinnen dafür vorstellen.

Es ist noch wichtig zu betonen, dass an alldem nicht die Autor*innen der Texte Schuld tragen. Viele leisten eine hervorragende Arbeit, auch für kleinere Medien, und es gibt viele Projekte für die EM, die sich genau auf den Sport konzentrieren. Bei all der Kritik sollten die, die sich aufrichtig bemühen und tolle Analysen und Artikel schreiben, besonders hervorgehoben werden.

Per se ist ja auch nichts falsch daran, auch über gesellschaftliche Themen zu schreiben, nur wirkt es in vielen Fällen so, als ginge der Fußball bei all dem etwas verloren. Und manche Medien, so etwa der Online-Teil einer der größten deutschen Zeitungen, haben noch keinen einzigen Artikel zur EM veröffentlicht. Um es mit einem weiteren Euphemismus zu sagen: Es gibt noch viel Luft nach oben.

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