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·27. Januar 2025
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Jule Brand treibt den Ball mit ihren schlaksigen Beinen schnell vor sich her, macht Meter um Meter. Eine Gegenspielerin nach der anderen bleibt hinter ihr zurück, eine schnelle Körpertäuschung folgt, die so unbekümmert aussieht, als wäre sie aus Versehen. Und schon hat Brand einige der besten Spielerinnen der Welt ausgespielt, passt nach links zu einer Mitspielerin und leitet eine gute Torchance ein.
Eine Szene, die sich im November 2021 ereignete. Die TSG Hoffenheim verlor auswärts in der Champions League mit 0:4 gegen den FC Barcelona, aber Jule Brand nutzte ihre Chance, sich auf der großen Bühne zu zeigen. Wegen Aktionen wie dieser holte der VfL Wolfsburg dann nach Ende der Saison, 2022, Jule Brand nach Niedersachsen.
Die ehemalige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg fasste es am besten zusammen, als sie kurz nach dem Spiel gegen Barcelona über das neue Küken beim DFB-Team sagte: "Jule weiß manchmal noch gar nicht, was sie alles kann."
Der nächste Schritt nach Wolfsburg schien konsequent, auch Brand zeigte sich ehrgeizig bezüglich ihrer zukünftigen Entwicklung. "Meine Schonzeit ist vorbei", sagte sie gegen Ende ihrer Zeit in Hoffenheim in einem Interview. Spätestens nach ihrer Auszeichnung als "Golden Girl", als beste Nachwuchsspielerin Europas, wollte sie nicht mehr als Talent bezeichnet werden, sondern als ernstzunehmende Bundesligaspielerin.
Jetzt, zweieinhalb Jahre nach ihrem Wechsel nach Wolfsburg, steht der Abgang von Jule Brand fest. Der Verein bestätigte, dass die 22-Jährige den VfL nach Ende der Saison ablösefrei verlassen wird. Die Enttäuschung über den Abgang von Fanliebling Brand ist groß, und auch die Wolfsburger Verantwortlichen werden sich ärgern. Sportlich ist der Weggang von Jule Brand aber kein so großer Verlust wie beim Prestige des Klubs.
Denn auf dem Rasen haben Brand und die Grün-Weißen selten so richtig zusammengefunden. Brand brauchte zur Eingewöhnung etwas Zeit, für eine junge Spielerin nicht ungewöhnlich. Aber der VfL hatte sie von Anfang an als Stammspielerin eingeplant, und so wurden die Risse in der Beziehung spätestens im Herbst 2023 sichtbar.
Sportdirektor Ralf Kellermann kritisierte Brand damals mit ungewöhnlich scharfen Worten öffentlich: "Wenn Jule eine Top-Spielerin werden will, muss sie hart an sich arbeiten und zu 100 Prozent für den Fußball leben. Bei dem, was alles auf sie einprasselt, ist das nicht so einfach", so Kellermann. Um den Vorwurf, Brand habe nicht alles getan, um ihre Leistungen zu steigern, zu finden, musste man nicht allzu sehr zwischen den Zeilen lesen.
Auch Brand selbst war ihre Unzufriedenheit anzusehen. Immer wieder hing der Kopf nach einem verzockten Angriff nach unten, und von ihrer Entwicklung hatte die 22-Jährige wohl selbst mehr erwartet. "Ich weiß, dass meine Leistung nicht immer zu dieser Erwartungshaltung gepasst hat", reagierte Brand auf Kellermanns Kritik.
Wolfsburgs Manager Ralf Kellermann schlug 2023 scharfe Töne an / Selim Sudheimer/GettyImages
Womit die Nationalspielerin korrekt ansprach, dass zwar ihre Performance der eine Faktor war, der zur schiefen Gleichung führte, aber die Erwartungen ein anderer. Brand wechselte als Teenagerin nach Wolfsburg, sie hatte viele tolle Aktionen gezeigt und wurde mit Fug und Recht als großes Talent bezeichnet.
Aber viel in Brands Spiel wirkte intuitiv, fast schon zufällig. Sie traf oft die richtige Entscheidung, aber schien selbst noch nicht ganz zu wissen, warum. In Niedersachsen haben sie ihrem viel umjubelten Neuzugang zu Beginn viel zugemutet, vermutlich zu viel.
Natürlich war aber nicht damit zu rechnen, dass Brand streckenweise stagnieren würde, oder im Nationalteam oft aufblühen würde, in Wolfsburg dann aber wieder nicht. All das heißt nicht, ihr Wechsel sei ein komplettes Missverständnis gewesen. Brand hatte durchaus ihre Momente, auch ihre Spiele und auch ihre Phasen, in denen sie wochenlang eine prägende Spielerin für den VfL sein konnte.
Aber das Endprodukt war unter dem Strich oft zu wenig: Sie erzielte in keiner Saison in der Frauen-Bundesliga mehr als fünf Tore oder fünf Vorlagen, und tauchte zu oft ab, als dass sie eine wirklich verlässliche Leistungsträgerin gewesen wäre.
Am Ende steht sportlich eine gegenseitige Enttäuschung: Wolfsburg schaffte es nicht, Brand so weiterzuentwickeln, dass Talent durch Konsistenz und Intuition durch Intelligenz ersetzt würden. Ihre Stärken kamen im Wolfsburger System selten zum Vorschein, auch weil sie kaum den Platz vor sich hatte, den sie für ihre Slalomläufe braucht.
Sportlich ist Brand ein Verlust, natürlich, aber längst nicht unersetzlich. Mit der Australierin Sharn Freier hat Wolfsburg bereits die Brand-Nachfolgerin präsentiert. Und auf den Außenpositionen hat der VfL weitere Optionen wie Rebecka Blomqvist oder Sveindis Jonsdottir. Ist der Wechsel von Jule Brand also nur das konsequente Ende eines sportlichen Missverständnisses?
Auch das stimmt nicht. Jule Brands Abgang ist durchaus ein Verlust für die Wölfinnen. Jahrelang präsentierte sich Wolfsburg als idealer Platz zur Entwicklung von jungen Nationalspielerinnen, als Hochleistungsumfeld inklusive Garantie für einen Stammplatz bei den DFB-Frauen. Bei Jule Brand hat das nicht geklappt, und das könnte für den VfL noch weitreichendere Konsequenzen haben.
Kellermanns öffentliche Kritik an Brand war vielleicht substanziell nicht falsch, aber dennoch ein ungeschickter Schachzug. Wer will schon zu einem Verein, der einen einem Hagel an medialer Kritik aussetzt, statt die Spielerin davor zu schützen?
Und auch das Ausbildungsversprechen hat durch Brands ausgebliebene Fortschritte gelitten. Denn das Talent der 22-Jährigen bleibt weiterhin klar sichtbar, und bei ihrem nächsten Klub – ob er Manchester, München oder Chelsea heißt - könnte es wieder stärker zum Vorschein kommen.
Und last, but not least, verliert Wolfsburg natürlich sein größtes Aushängeschild – wenn nicht sportlich, dann definitiv medial. Die VfL-Verantwortlichen wissen sicherlich, dass heutzutage für den Wert einer Spielerin nicht mehr bloß Dribbelquoten und Tore zählen, sondern auch die mediale Präsenz.
Gerade wenn es darum geht, sich zu vermarkten, hängt der VfL weit zurück: Eine neue Studie zeigt, dass der Verein bei den Werbeeinnahmen nicht mit den deutschen Konkurrenten Bayern und Frankfurt mithalten kann, und schon gar nicht mit den englischen Vereinen. Nach Lena Oberdorf geht nun schon die zweite junge Nationalspielerin mit großem Fan-Anhang.
Bei der Kaderplanung spielen solche Überlegungen sicherlich nicht die wichtigste Rolle, aber sollten durchaus ernstgenommen werden – dahinter stehen knallharte wirtschaftliche Interessen. Und auch von Seite der Spielerinnen aus ist es wichtig, wie sich ein Verein medial inszeniert: Bietet der Klub eine starke Plattform, können auch sie schließlich bessere Werbedeals einheimsen.
Mit dem Wechsel von Jule Brand verliert Wolfsburg also einiges an sportlicher Qualität – aber vor allem könnte der Status als Station Nummer Eins für junge DFB-Talente weiter ins Wackeln geraten. Wolfsburg wird in Zukunft sein Ausbildungsversprechen stärken müssen – es gibt ja auch Erfolgsstorys – und sich vor allem medial besser inszenieren müssen, um im Rennen um die besten Nachwuchsspielerinnen mithalten zu können.