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·7. August 2024
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·7. August 2024
Die USA sind normalerweise ein sehr effektiver Zuschauermagnet. Das erfolgreichste Team in der Geschichte des Frauenfußballs, sehr viele Stars (und einige Stripes), bei jedem Turnier zumindest in der Mitfavoritenrolle. Aber als die USA am 25. Juli zu ihrem ersten Gruppenspiel einliefen, blickten sie nicht in gespannte Gesichter. Sondern vielmehr auf viele leere Ränge.
Das Stadion "Allianz Riviera", üblicherweise von dem Klub OGC Nizza genutzt, bietet Platz für 35.000 Zuschauer. Für das US-Spiel gegen Sambia fanden sich in der südfranzösischen Hafenstadt aber kaum mehr als 5.000 ein, um die Amerikanerinnen um Trinity Rodman und Sophia Smith spielen zu sehen. In Nice, wie die Stadt auf französisch genannt wird, war der Zuschauerandrang gar nicht nice.
Angesichts der traurigen Kulisse konnte man schon erahnen, dass es bei den anderen Spielen nicht viel besser laufen würde. Immerhin, die Frankreich-Spiele zogen den Schnitt hoch. Les Bleus zogen im Schnitt mehr als 20.000 Fans an. Die Franzosen wollten ihr eigenes Nationalteam sehen. Aber sonst war das Interesse bescheiden.
Wegen oder trotz der quer über das Land verstreuten Spielorte? Die Partien wurden in Nizza, in Marseille, Nantes oder auch in Saint-Etienne ausgetragen. Nicht da also, wo das Herz dieser Olympischen Spiele schlägt, wo sich die Athletinnen und Athleten aus aller Welt versammeln, in Paris. Wegen fehlender Kapazitäten bei den Stadien wurden die Fußballspiele aus Paris weggeschoben. Das ist kein neues Verfahren, bei den meisten Olympischen Spielen wurde es so gehandhabt.
Die Idee ist eigentlich charmant: Olympia sollte schließlich ein Turnier für das ganze Land sein, nicht nur für eine einzige Stadt, und so können auch Leute aus anderen Ecken einen Hauch des Olympia-Feelings mitbekommen. Bloß, dieses Feeling ist in Lyon, Marseille und Bordeaux nicht ganz angekommen. Dass dort überhaupt Fußballspiele stattfanden, wussten viele Franzosen nicht mal.
Die Spiele der französischen Männer und Frauen waren beliebt, weil sie eine Bühne boten, um Frankreich zu feiern. Für den Gastgeber sind es sportlich erfolgreiche Spiele, das Land jubelt über die Erfolge von Schwimm-Shootingstar Leon Marchand, über Judoka Teddy Riner oder über Tischtennis-Sensation Felix Lebrun. Die Fußballspiele waren ein Ort, um etwas von dieser nationalen, patriotischen Energie mitzubekommen, um die Marseillaise mitzusingen, vive la France. Um den Fußball ging es da weniger, vor allem bei den Frauen.
Bei einem Spiel der Französinnen schallten "Leon, Leon"-Rufe durch das Stadion, weil der Schwimmer gerade einen Goldmedaille errungen hatte. Ein schöner, spontaner Moment. Aber auch einer, der zeigte: Mit dem Herz waren viele Fans dann doch anderswo. Die Spiele fanden vielleicht doch zu weit weg von Paris statt, zu weit von den Millionen Touristen und Sportbegeisterten.
Die Partien im Pariser Parc des Princes waren bei den Zuschauern ein krasser Ausreißer nach oben. Beim Viertelfinale USA gegen Japan in Paris kamen 43.000 Zuschauer, während in Lyon und Marseille nur 12.000 Fans die Partien sehen wollten. Trotz verzweifelter Last-Minute-Sales, bei denen Tickets schon ab 15 Euro erstanden werden konnten.
In Paris waren die Spiele gut besucht - hier US-Fußballerin Rose Lavelle vor den Rängen / Andrea Vilchez/ISI/GettyImages
Nun könnte man einwenden: Ja gut, es sind nun mal die Olympischen Spiele. Ein Mal, ein einziges Mal, steht König Fußball nicht im Vordergrund. Fußball läuft halt immer, und bei Olympia wollen die Leute lieber rasante Ballwechsel beim Tischtennis sehen, unglaubliche Sprünge beim Bodenturnen und blitzschnelle Sprints, die kein Auge wirklich erfassen kann.
Bei Olympia geht es gerade nicht um Fußball, sondern um alle anderen Sportarten. Beim Bogenschießen oder Kanu-Slalom wären sie von den Zuschauerzahlen des Frauenfußballs überwältigt gewesen. Und trotzdem wird hier schon wieder gemeckert. Kann es der Fußball nicht einmal ertragen, nur eine Nebenrolle zu spielen?
All das sind richtige Punkte. Und doch zeigen die bisherigen Olympia-Ausgaben, dass da eigentlich mehr drin wäre. Bei der ersten Ausgabe, in Atlanta 1996, kamen im Schnitt 34.199 Fans. Das lag wohl auch an der Faszination für die neue Sportart, aber auch in den Jahren 2000, 2008, 2012 und 2016 kamen durchschnittlich mehr als 19.000 Zuschauer.
Die olympischen Turniere sind für den Frauenfußball historisch enorm wichtig gewesen, als eine Bühne, die sich alle vier Jahre öffnete. Sie zogen teils mehr Zuschauer an als die Weltmeisterschaften, sorgten für neue Fans und neue Nachwuchsspielerinnen. Und das, obwohl im Jahr 1996 zu den Spielen der Frauenfußball-Ligen höchstens ein paar neugierige Zaungäste kamen. Heute hat der Sport eine zuvor unvorstellbare Popularität erreicht, die Grenze der 20.000 Fans wird immer öfter von "Highlight-Spielen" geknackt.
Da wäre doch eigentlich zu erwarten gewesen, dass auch bei Olympia die Zahlen weiter steigen. Oder zumindest nicht zurückgehen. Gleichzeitig war es wohl etwas größenwahnsinnig von den Veranstaltern, die größten Stadien des Landes auszuwählen.
Die Entscheidung ist nachvollziehbar, denn bei den Männerspielen werden diese Arenen genutzt. Und eine weitere Aufsplittung von Olympia auf noch mehr Städte wäre logistisch wohl schwierig gewesen. Im Endeffekt wäre der Vorwurf, zu kleine Stadien bereitgestellt zu haben, immer schwerwiegender als der, sich zu hohe Ziele gesteckt zu haben.
Trotzdem war zu erwarten, dass die Stadien von Lyon und Marseille leer wirken würden - Stimmung kommt da nicht wirklich auf. Gerade in Frankreich hätte der Frauenfußball gut einen Boost gebrauchen können. In der heimischen Liga wird mancherorts immer noch auf Matschwiesen gekickt, das Zuschauerinteresse hält sich in Grenzen.
Es ist paradox, dass gerade zu dem Zeitpunkt, an dem Frauenfußball beliebter ist denn je, die Zuschauerzahlen bei Olympia schwach sind. Bei den nächsten Spielen in Los Angeles sind wohl wieder ganz andere Kulissen zu erwarten, in den USA ist die Begeisterung für den Sport weitaus größer.
Trotzdem sollten die Flop-Kulissen wie in Nizza zu denken geben. Ob die Stadien oder das Marketing, bei einem ansonsten sehr gelungenen Turnier fällt der Fußball negativ heraus. Den olympischen Geist auch fern von Paris und fern des französischen Teams einzufangen, das ist dieses Jahr nicht gelungen.