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·9. Juli 2025
"Kampfgeist, Hektik und deutsche Tugenden" - Die EM-Kolumne von Verena Schweers

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·9. Juli 2025
Es war so ein Spiel, das irgendwie typisch für ein zweites Gruppenspiel war. Am Ende steht das Positive: Deutschland schlägt Dänemark mit echten Comeback-Qualitäten, vorzeitiger Einzug ins Viertelfinale gesichert und der Gruppensieg bei der EM ist auch noch möglich. Wer hingeschaut hat, weiß, dass dieses Spiel kein glanzvoller Galaabend war, sondern eher ein wichtiger Arbeitssieg. Christian Wück sprach von einem Sieg der Mentalität. Ich sage persönlich: ordentliche Leistung mit Steigerungspotenzial im spielerischen Bereich, welches spätestens ab jetzt abgerufen werden muss. Die Gegnerinnen werden stärker, das Spiel gegen Schweden am Samstag wird die erste richtige Standortbestimmung. Dann folgt im Viertelfinale eine wirkliche Herausforderung - egal ob es gegen Frankreich, England oder die Niederlande gehen wird.
Das Spiel war kein Leckerbissen, aber das war auch nicht zu erwarten. Die DFB-Frauen mühten sich gegen Dänemark ab, fanden vor allem in der ersten Halbzeit weder in die Partie noch die Mitspielerin mit ihren Pässen. Die Frage nach dem Warum konnten auch die Spielerinnen nicht wirklich beantworten. Alles wirkte etwas hektisch und über weite Strecken kam es mir so vor, als wäre die Mannschaft nie wirklich in ihrem Spiel angekommen. Vorne im letzten Drittel waren sie oft genug, aber dort wurde dann meist die falsche Option gewählt. Statt des klugen Passes auf die besser postierte Mitspielerin sahen wir oft Einzelaktionen, die in Duellen mit den dänischen Verteidigerinnen erfolglos blieben. Solche Momente zogen sich durch das ganze Spiel – gute Ansätze, schlechte Entscheidungen. Allerdings hat man wenigstens nach den zwei Toren in der zweiten Halbzeit ein Team gesehen, dass immer wieder anrennt und Dinge ausprobiert – auch wenn es des Öfteren nicht so gut funktionierte. Trotz vieler deutscher Fans und einer euphorischen Stimmung im St. Jakobs Park konnte das Team den Flow und ein ruhigeres und sichereres Aufspielen nach dem Auftaktsieg gegen Polen nicht mit nach Basel nehmen.
Am meisten Sorgen bereitet mir weiterhin, dass vor allem die bereits angesprochenen Abwehrprobleme bestehen bleiben. Die deutsche Defensive wirkt teilweise unsortiert und in manchen Momenten kopflos. Paradebeispiel dafür war der Führungstreffer der Däninnen: Ein klares Überzahlspiel der Deutschen reicht nicht, zwei Däninnen an einem Torschuss zu hindern. Niemand stellt und begleitet. Leider ist das kein Einzelfall, immer wieder fehlt die Zuordnung oder ein stabiles Stellungsspiel. Gefährlich wird es dann für unsere Mannschaft, wenn die Gegnerinnen schnell umschalten und unsere Innenverteidigung überraschen. Mit Athletik und Schnelligkeit sind wir zu schnell überspielt und es wird vor unserem Tor sofort gefährlich.
Ich glaube aber nicht, dass das gestrige Spiel der Maßstab für den weiteren Turnierverlauf ist, ansonsten wird es schwer. Es muss mehr Präzision her, mehr Kontrolle im Spielaufbau und weniger Hektik.
Trotzdem möchte ich auch loben. Fürs Durchbeißen, fürs Aufstehen nach dem Rückstand, für den Willen, das Spiel zu drehen. Aber mit Lob allein wird man kein Europameister. Der Anspruch sollte doch sein, mehr als nur mit deutscher Mentalität zu versuchen irgendwie durchkommen.
Besonders negativ viel ein weiterer Akteur auf – der VAR: Die Entscheidungen zogen sich wie Kaugummi, minutenlange Prüfungen, in denen der Spielfluss komplett zum Erliegen kam. Die Schiedsrichterin pausiert das Spiel ewig (auch für die eigene Behandlungspause). Solche Unterbrechungen bringen auch die Spielerinnen aus dem Tritt, wodurch kein Spiel so richtig an Fahrt aufnehmen kann. Dies berichteten unisono beide Mannschaften. Auch für uns Zuschauer war es leider dann oft langatmig und wenig verständlich.
Was aber richtig Spaß macht, ist das Drumherum bei dieser EM. Vielleicht liegt es daran, dass die Schweiz als Gastgeberin genau den richtigen Ton trifft. Nicht überdreht, nicht größenwahnsinnig, sondern einfach perfekt organisiert. Die Stadien sind gut gewählt, um Atmosphäre zu erzeugen. Fast jedes Spiel ist ausverkauft und die deutschen und dänischen Fans stellten in Basel einen neuen EM-Rekord auf. Es ist ein Turnier, bei dem man Lust bekommt, sich auch mal ein Spiel ohne deutsche Beteiligung anzuschauen. Neben dem Platz läuft es also bei dieser Europameisterschaft und ich bin mir sicher, dass es uns auf dem Platz auch einfacher fallen wird, wenn wir auf spielstärkere Teams treffen und nicht ständig gegen ein Abwehrbollwerk anlaufen müssen.
Die ehemalige Nationalspielerin Verena Schweers / Maja Hitij/GettyImages
Verena Schweers ist eine ehemalige Bundesliga- und Nationalspielerin. Ihre Profi-Karriere startete die Abwehrspielerin beim SC Freiburg, bevor es über den VfL Wolfsburg zum FC Bayern München ging. Mit den Wölfinnen gewann Verena Schweers sowohl zwei Mal die UEFA Women's Champions League als auch die Meisterschaft. Außerdem holte sie mit dem VfL den DFB-Pokal gleich dreifach. Für die A-Nationalmannschaft absolvierte die 36-Jährige 47 Länderspiele. 2020 beendete Verena Schweers ihre Karriere im Alter von 31 Jahren.
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