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Vertikalpass

·16. Juli 2021

House of Ehrenmänners

Artikelbild:House of Ehrenmänners

ZEIT Online hat heute in einer effektheischenden Artikelserie für Aufsehen gesorgt. In vier Texten lässt sie alle schlecht aussehen: Claus Vogt, Thomas Hitzlsperger, Wilfried Porth, André Bühler, „rund 100 Leute, die auf Twitter das Meinungsbild in Stuttgart bestimmen“ und die aktuelle Mannschaft auch gleich mit. Nur die Ehrenmänner Rainer Mutschler und Bernd Gaiser kommen gut weg. Komisch eigentlich.

Dabei hat ZEIT Online den eigentlichen Skandal gar nicht aufgedeckt: Die internen Dokumente, die uns von der kleinen digitalen Elite zugespielt wurden, und die vielen Gespräche, die wir über Monate mit der subversiven Gegenöffentlichkeit geführt haben, werfen Fragen auf, gar einen ungeheuren Verdacht. Wir haben Erkenntnisse, die vieles bisher Erzählte in ganz neuem Licht erscheinen lassen. Wir wollten eigentlich eine mehrteilige Artikelserie machen, aber es hat dann doch nur zu diesem Text gereicht (sorry, aber es ist Freitag Abend!).


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Es geht dabei um nichts weniger als grundsätzliche Fragen, die sich in vielen Clubs stellen oder stellen werden: Was muss man mitbringen, um heutzutage einen Profiklub erfolgreich zu trainieren? Und wer entscheidet eigentlich darüber, was man als Trainer mitbringen muss?

Wir fragen uns: Kann dieser Mann wirklich den VfB trainieren?

Dass es mit dem neuen Cheftrainer Pellegrino Matarazzo und der sogenannten „alten Seilschaft“ um Mario Gomez, Holger Badstuber, Gonzalo Castro und Daniel Didavi von Anfang an nicht funktionierte, hat wohl vor allem mit Matarazzo selbst zu tun, der schon in den ersten Wochen seiner Amtszeit überfordert scheint und streckenweise, so schildern es Beteiligte, kaum ein Training vernünftig leitet. In Mannschaftssitzungen hat er Spielernamen nicht parat, schreibt sogar einmal zwölf Namen in die Mannschaftsaufstellung, er verschleppt Entscheidungen zu Fragen der taktischen Aufstellung, er kann sich hinterher sogar an seine taktischen Vorgaben nicht mehr erinnern. Das zeigen interne Dokumente, die uns vorliegen.

Vieles von dem, was in dieser Anfangszeit und in den folgenden Monaten schief läuft, wie sich die Fehler und Versäumnisse des neuen Trainers aneinanderreihen, ist der Öffentlichkeit unbekannt. Aber Dokumente, die vertikalpass vorliegen (klar, wem sonst?), zeigen, wie Matarazzo wirklich arbeitet.

Noch zwei Jahre zuvor war Matarazzo bei seiner Bewerbung zum Co-Trainer, bei der er mit einer Hoffenheim-Trainingsjacke auftrat, mit 0:5-Stimmen durchgefallen (Die Bewerbung liegt uns vor). In der Wahlkommission saßen damals Wolfgang Dietrich, Rainer Mutschler, Bernd Gaiser, „Jordi Stuttgart“ und Oliver Schraft, fünf ausgewiesene Sportkompetenzler. Nun will dieser Mann die Sehnsucht der leidenschaftlichen VfB-Fans nach mutigem und offensivem Fußball stillen. Mit seiner Klage, es sei im Fußball zu viel Taktik im Spiel, spricht er in Zeiten von abkippenden Sechsern und falschen Neunern vielen aus dem Herzen. Matarazzo sucht den Kontakt zu den Fans, den Fußballromantik-Bloggern und Influencern auf Social Media.

Als in Stuttgart im Frühjahr 2020 der Aufstieg in die erste Bundesliga zu misslingen drohte, geriert sich Matarazzo, der Fan-Trainer, öffentlich zum Retter. Der Mann, den seine Anhänger „Rino“ nennen, mag nicht der brillante Trainer sein, als der er sich darstellt, aber er weiß sich gut zu verkaufen. Von seiner Arbeit drang immer nur das an die Öffentlichkeit, was dem VfB-Trainer in die Hände spielte, während alle Informationen, die seine Eignung als Trainer in Zweifel zogen, verborgen blieben. Der Italo-Amerikaner ist kein Architekt des Erfolgs, denn Erfolg muss sich in Stuttgart erst einstellen. Und Rang 9 ist zwar ordentlich für einen Aufsteiger, aber nicht mehr. Alleine in den letzten vier Jahren landeten drei von neun Aufsteigern weiter vorne in der Tabelle, darunter der damalige Bundesliga-Debütant RB Leipzig und der VfB selbst (2018). Glanz erhielt die vergangene Saison vor allem dank dem 5:1 in Dortmund, dem Konfettisieg, als die gegnerische Mannschaft aus Dortmund ihren Trainer Lucien Favre erfolgreich los wurde. Die drei anschließenden Spiele gewann der VfB wieder nicht. Das war typisch: Die Mannschaft, angeleitet von einem Trainer, der zuvor noch nie auf diesem Niveau gearbeitet hat, spielt leidenschaftlich, aber instabil. Sie erinnert an eine A-Jugend. Das zeigen interne Dokumente, die uns vorliegen.

Doch es geht auch um große Gefühle. Zwei Spieler, mit denen vertikalpass im Zuge der monatelangen Recherche sprach, weinten als wir sie auf die Gehaltskürzungen ansprachen, die durch die Corona-Pandemie notwendig wurden. Ein dritter Spieler lehnte unsere Anfrage ab, weil ihn das Thema VfB zu sehr aufwühle. Die neue Mercedes G-Klasse ist halt auch eine Herzenssache.

Offen ist, ob Matarazzo im Dezember 2019, als er neuer VfB-Trainer wurde, mit besten Absichten beim Verein für Bewegungsspiele antrat. Womöglich schon, und vielleicht hat er dann die gleiche Erfahrung gemacht wie einige vor ihm: Es plappert immer irgendeine ehemalige Vereinsgröße mit einer Wochenzeitung oder irgendein Spieler weint sich immer beim Vorstand aus oder der Sportdirektor will in die Aufstellung hineinreden. Für einen Anfänger wie Matarazzo ist das eine große Aufgabe. Vielleicht ist es am Ende eine Systemfrage, wie erfolgreich Pellegrino Matarazzo beim VfB ist.

Aber womöglich geht es ihm gar nicht um Erfolg, sondern nur um sich selbst. Matarazzo gibt doch tatsächlich damit an, mit Rudi Völler befreundet zu sein – weil der ihm auf dem Weg zur Toilette mal über den Weg lief! Und von einigen ehemaligen Spieler ist zu hören, dass sich Matarazzo, das selbsternannte Mastermind auf der Trainerbank, von ihnen gerne als „Principe“ anreden ließ.

Disclaimer: Nur damit Ihr es wisst: Sollte aus diesem Text ein Shitstorm entstehen, werden wir uns in einem Facebook-Post darüber beklagen.

Zum Weiterlesen: Bruddelei nennt den Text „Zeit-Verschwendung“ und widmet sich dem Artikel im Detail. Rund um den Brustring findet viele Schwachstellen in der Zeit-Serie.

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