Rund um den Brustring
·19. Dezember 2024
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·19. Dezember 2024
Am kommenden Montag endet die Bewerbungsfrist für die Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart im März 2025. Dabei stellt sich schon vorab die Frage, welchen Einfluss von den Mitgliedern gewählte Vertreter überhaupt noch auf die Geschicke des Clubs haben.
Es kommt nicht häufig vor, dass der VfB Stellung zu dem bezieht, was Fans an jedem Spieltag über Spruchbänder aus der Kurve an die Öffentlichkeit kommunizieren. Nach dem 3:2‑Heimsieg des VfB gegen Union Berlin Anfang des Monats, war das anders. In einem Statement stellte der Vorstand der VfB Stuttgart AG fest:
Porsche darf aus unserer Sicht als Anteilseigner die gleichen Rechte wie Mercedes-Benz beanspruchen, was mit der Besetzung vom Aufsichtsrat der VfB Stuttgart 1893 AG mit einem stellvertretenden Vorsitz sowie in Rollen der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats inzwischen umgesetzt ist.
Und Alex Wehrle lässt sich zitieren
Grundsätzlich sind Diskussionen, auch kontrovers geführte, legitim und gehören zu einem großen Traditionsverein wie dem unseren dazu. Porsche mit Lutz Meschke an der Spitze hat unser Weltmarkenbündnis, um das uns viele Clubs beneiden, erst möglich gemacht und ist auch ein Wegbereiter für die Partnerschaft mit der LBBW. Porsche bekennt sich zum VfB, zur Region, zur Jugendförderung und zu 50+1. Wir können uns glücklich schätzen, einen so starken Partner an unserer Seite zu haben.
Aber worum geht es eigentlich? Beim Heimspiel gegen Union zeigten die Ultragruppen Schwabenkompanie, Schwabensturm und Commando Cannstatt folgende Spruchbänder:
© Cannstatter-Kurve.de (alle drei Bilder)
Hintergrund ist, dass Lutz Meschke, wie Carlos Ubina wie gewohnt gut informiert bereits am 3. Dezember zu berichten wusste, in den Präsidialausschuss des Aufsichtsrats aufrückt. Das beschloss dann der Aufsichtsrat am 4. Dezember, was wiederum Ubina einen Tag später vermeldete. Einen Tag später, zum Nikolaustag, hagelte es dafür Kritik in Form von Spruchbändern in der Kurve. Der Präsidialausschuss, so wird gemeinhin berichtet fungiert für den Aufsichtsrat als schnelle Eingreiftruppe, die kurzfristige Entscheidungen fällen oder für den Aufsichtsrat vorbereiten soll. Der Name leitet sich interessanterweise davon ab, dass in diesem das Präsidium des e.V. vertreten ist, außerdem der Investor. Bis Anfang dieses Jahres gab es nur einen Invester, weswegen der Ausschuss (vermutlich, man kann das nirgendwo nachlesen) aus Wolfgang Dietrich, Dr. Bernd Gaiser und Wilfried Porth bestand, später dann aus Claus Vogt, Rainer Adrion und Porth-Nachfolger Peter Schymon. Bis Anfang Dezember schließlich Interimspräsident Dietmar Allgaier, das gewählte Präsidiumsmitglied Andreas Grupp und weiterhin Schymon. Dass Porsche für sich die gleichen Privilegien einfordert wie Mercedes, ist erstmal aus deren Sicht nachvollziehbar. Zumal der VfB e.V. dem im Rahmen des Beteiligungsvertrags mit dem Autobauer wohl auch schriftlich zugestimmt hat.
Bemerkenswert wird es an zweierlei Stellen. Zum einen ist der Präsidialausschuss jetzt paritätisch mit zwei Vertretern des e.V. besetzt und zwei Vertretern von Investoren, wobei der Präsident des e.V. bei Pattsituationen doppeltes Stimmrecht hat. Das entspricht natürlich ziemlich exakt dem Prinzip 50+1, dessen Einhaltung man beim VfB seit der Abwahl Claus Vogts wie eine Monstranz vor sich her trägt, garniert mit der Bestätigung durch die DFL. Das hat aber weniger mit den realen Anteilsverhältnissen an der VfB AG zu tun, an der der e.V. über 75 Prozent hält, Porsche, Mercedes und Jako gemeinsam weniger als 25 Prozent. Dass dieses Verhältnis im Aufsichtsrat (6:5 bei einem vollbesetzten Präsidum, aktuell 5:5) seit dem Einstiegs von Porsche nicht mehr abgebildet ist, ist das eine, scheinbar war man VfB aber auch vertraglich bereit, die Mehrheitsverhältnisse im Präsidialausschuss fast zu nivellieren. Zum anderen muss man darauf achten, wer hier warum ein Statement zur Kritik der Kurve abgibt. Denn über die Besetzung der Aufsichtsrats-Ausschüsse entscheidet der Aufsichtsrat — und nicht etwa der AG-Vorstand.
Dementsprechend wäre es auch am Aufsichtsratsvorsitzenden — oder einem seiner Stellvertreter -, sich zur Kritik zu positionieren, die Entscheidung zu begründen und dem Investor warme Worte zukommen zu lassen. Von Dietmar Allgaier hört man in dieser Causa allerdings: nichts. Stattdessen redet der Vorstandsvorsitzende, der von diesem Aufsichtsrat und seinem Ausschuss eigentlich kontrolliert werden sollte. Der gleiche Vorstandsvorsitzende aber natürlich, der an den Verhandlungen mit Porsche beteiligt war, diesen Vertragsinhalt gekannt haben muss und der sich nicht — verdientermaßen — nicht nur das Zustandekommen des “Württembergischen Weltmarkenbündnisses” ans Revers heftet, sondern auch den dadurch begünstigten wirtschaftlichen und sportlichen Aufstieg des VfB. Was er auch im großen Interview mit dem Kicker vom 9. Dezember nicht müde wird zu betonen:
…andererseits haben wir jetzt natürlich durch die 41 Millionen Euro an frischem Eigenkapital durch Porsche eine sehr stabile Situation. (…) Darum war auch die strategische Partnerschaft mit Porsche sehr wichtig, um das finanzielle Fundament zu legen. (…) Jetzt sind wir in einer ganz anderen Situation. Für die finanzielle Situation war der Einstieg von Porsche extrem wichtig.
Und natürlich darf man den Anteil, den der für unmöglich gehalten Einstieg eines zweiten Investors und dann auch noch eines Konkurrenten des Ankerinvestors, am sportlichen Erfolg und der wirtschaftlichen Stabilität des Vereins hat, nicht unterschätzen. Aufbauend auf dem dadurch wesentlich gefestigteren Fundament — verglichen mit der Situation kurz vor der Relegation 2023 — ist es Wehrle, Wohlgemuth und Kasper gelungen, die Mannschaft sportlich zu verstärken, auch mit größerem finanziellen Aufwand, und gleichzeitig neue Sponsoren an Land zu ziehen. Man ist mittlerweile sogar in der Lage, mit der LBBW einen seriösen Trikotsponsor zu finden und einem Nationalspieler die Ausstiegsklausel abzukaufen. Der sportliche Erfolg und die derzeitige finanzielle Lage überstrahlen aktuell vieles andere in der Mercedesstraße. Mitunter stellen sie leider auch einiges in den Schatten.
Denn Alex Wehrle sagt im Interview mit dem Kicker nicht nur kluge (“Wir entwickeln eine Strategie, um idealerweise auch mal eine Mannschaft zusammenhalten zu können, und hinterfragen, an welchen Stellschrauben wir dazu drehen müssen.”) oder weniger kluge (“Mein Gefühl sagt mir, dass wir noch lange [mit Hoeneß] zusammenarbeiten.” Sachen zum Sportlichen, sondern äußert sich auch zum Verhältnis zwischen AG und e.V.
Porsche wird in Bälde in den Präsidialausschuss einziehen. Wie wird dann die Konstellation aussehen: Zwei e.V.- und zwei Investorenvertreter? Das ist ein Thema des Aufsichtsrats. (…) (…) Interimspräsident Dietmar Allgaier wird für eine volle Amtszeit kandidieren. Hat Sie das überrascht, nachdem er eingangs gesagt hatte, dass sich sein Amt als Landrat nicht dauerhaft in Einklang mit dem als VfB-Präsident bringen lässt? Das ist seine persönliche Entscheidung gewesen, die sicherlich wohlüberlegt ist. Wir als AG kennen unsere Rolle genau und deswegen wäre es nicht richtig, dass wir uns in e.-V.-Angelegenheiten einmischen. Aber wie finden Sie es, dass er weitermachen will? Ich habe schon vor ein paar Wochen gesagt, dass wir mit ihm wirklich sehr gut zusammenarbeiten. Er hat Ruhe reingebracht, kennt durch seine Tätigkeit als Landrat Gremienarbeit in Aufsichtsräten und er hat Lust drauf, sich auch mit den anderen Abteilungen zu beschäftigen, was für den e.V. nicht unwichtig ist. Die AG wird aber auf gar keinen Fall Wahlempfehlungen aussprechen. Allgaier will den Mitgliedern vorschlagen, einen Geschäftsführer im e.V. zu installieren, was ihn als Präsident und Landrat entlasten würde. Schafft man damit nicht eine Präsidentenrolle für einen sehr beschränkten Bewerberkreis? Das ist komplett dem e.V. vorbehalten. Ich glaube aber, dass Dietmar Allgaier nicht so festgelegt ist, sondern dass es ihm eher darum geht, dass noch ein vierter Vollzeitmitarbeiter in Leitungsfunktion dazukommt. Der e.V. mit 120.000 Mitgliedern plus 15.000 Mitgliedern in den Jugendclubs ist extrem gewachsen. Wir haben eine sehr erfolgreiche Leichtathletik-Abteilung mit deutschen Meistern, Europameistern, Parasport mit Nico Kappel. Da kann man sicherlich noch einiges tun. Man hört, Jan Räker, der in der AG als Direktor für Infrastruktur fungiert, sei ein heißer Kandidat für die Führungsrolle im e.V. … Das schließe ich wie für andere Direktoren komplett aus. Der e.V. wird und muss eine solche Position völlig unabhängig von der AG besetzen. Wir halten uns hier komplett raus.
Es ist schon ziemlich eindrucksvoll, mit welcher Chuzpe Alexander Wehrle sich an einem Montag mit diesen Worten im Kicker zitieren lässt während der VfB am selben Tag das obige Statement mit seinem Zitat veröffentlicht, in dem klar wird, dass die Besetzung des Präsidialausschusses scheinbar nicht nur Sache des Aufsichtsrats ist, sondern auch des Vorstands. Und auch sonst ist die Aussage, die AG kenne ihre Rolle genau und mische sich nicht in e.V.-Angelegenheiten ein, ziemlich gewagt.
Denn schließlich war es die AG, die die Verhandlungen mit Porsche über deren Einstieg führte und auch vom Wunschzettel Lutz Meschkes gewusst haben muss, den dieser im Gegenzug für die vielen Millionen auf den Tisch legte: Abwahl des Aufsichtsratsvorsitzenden, zwei Plätze im Aufsichtsrat und einer im Präsidialauschuss, mutmaßlich auch die Absetzung Vogts als e.V.-Präsidenten und, wie wir aus amateurhaft geschwärzten Protokollen wissen, auch die Wahl Lutz Meschkes zum Aufsichtsratsvorsitzenden. Das ist im Übrigen das, worauf die Kurve in ihren Spruchbändern Bezug nimmt. Und es war auch die AG, die nach bisherigen Erkenntnissen zuließ, dass die Aufsichtsratsmitglieder unter ziemlichem zeitlichen Druck über die Forderungen von Porsche entscheiden mussten. Forderungen, die alle direkten Einfluss auf Repräsentanten des e.V. und damit auf den Einfluss der Mitglieder im VfB hatten. Und schließlich war es auch die AG, die eine Arbeitsgruppe ins Leben rief, um “an der formalen Klärung bestehender Problemstellungen zu zukunftsgerichteten Strukturfragen, insbesondere auch zum Aufsichtsratsvorsitz, zu arbeiten”. Was nichts anderes bedeutete, als dass man das Ausgliederungsversprechen, wonach der e.V.-Präsident stets auch der AG-Aufsichtsratsvorsitzende ist, verwässern und diese verwässerte Form auch gleich in der Satzung festschreiben wollte — woran man bei der Mitgliederversammlung im Juli grandios scheiterte.
Alexander Wehrle steht für den sportlichen Erfolg, die wirtschaftliche Konsolidierung und auch für den Einsatz für VfB-Fans beispielsweise in Bochum oder an der kroatisch-serbischen Grenze zurecht im Rampenlicht. Uns muss aber klar sein, dass seit der Ausgliederung alles, was rund um den Profifußball passiert noch weniger dem Einfluss der Mitglieder unterliegt als es das ohnehin vorher schon tat. Gezielt wurde der Einfluss der Mitglieder im VfB in den letzten Jahren abgebaut. Erst durch die Ausgliederung, dann durch die Beeinflussungsversuche rund um die Abwahl von Wolfgang Dietrich und später, als es darum ging, ob die Mitglieder oder der Vereinsbeirat über die Zulassung eines Präsidenten zur Wiederwahl entscheiden dürfen. Zuletzt wurde sogar der Einfluss von gewählten Mitgliedervertretern im Aufsichtsrat beschnitten und wie oben beschrieben die Mehrheitsverhältnisse in der AG de facto abgeschafft. Die AG unter Führung ihres Vorstandsvorsitzenden hat massiven Einfluss auf das, was im eingetragenen Verein passiert, kann aber dafür, anderes als die Vertreter des e.V., nicht von den Mitgliedern zur Rechenschaft gezogen werden.
Wie neulich schon beschrieben, passt ein Feierabend-Präsident, der das Operative größtenteils einem Angestellten überlässt und bei Terminkollisionen eher seinem Amt als Landrat nachkommt als dem des VfB-Präsidenten, ganz vorzüglich in diese Gemengelage. Denn wenn der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende nicht mal zu Kritik am Aufsichtsrat äußert, warum sollte er sich dann zu anderen Dingen äußern, die in der AG passieren? Ob es nun wirklich so war, dass Dietmar Allgaier sich von Alex Wehrle und Wilfried Porth zu einer Kandidatur in Verbindung mit einem Geschäftsführer überreden ließ, wie kolportiert wird, weiß ich nicht. Naheliegend ist aber, dass ein gewählter Präsident Allgaier, der nicht Mal Zeit für Statements hat, einem Vorstandsvorsitzenden Alexander Wehrle sehr gelegen käme, um die eigene Position als starker Mann in Bad Cannstatt weiter zu festigen und um die eigenen Vorhaben auch so weit wie möglich gegen Querschüsse aus dem e.V. zu immunisieren. Das mag in Einzelfällen sogar notwendig sein, angesichts der Vorkomnisse der letzten Jahre.
Es sollte jedoch nicht strukturell im VfB Stuttgart angelegt sein, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt.
Titelbild: © Selim Sudheimer/Getty Images