MillernTon
·1. Oktober 2023
Hertha BSC vs. FC St. Pauli 1:2 – Statement-Sieg in der Hauptstadt

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·1. Oktober 2023
Bei Hertha BSC gelingen dem FC St. Pauli der dritte Sieg in Folge und der Sprung an die Tabellenspitze. Unser Bericht aus Berlin.Titelfoto: Peter Böhmer
Tim ist an diesem Wochenende leider verhindert, die gewohnte taktische Analyse entfällt also. Sie wäre mir bei bestem Willen mit der recht flachen Sicht auf dem Unterrang in G auch gar nicht möglich gewesen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich bei Spielen mit weniger als sechs Toren Unterschied ohnehin immer viel zu nervös bin, um auf solche Feinheiten zu achten.
Es war eine Demonstration. Nein, nicht auf dem Platz, sondern vor dem Spiel.Angemeldet von Berliner St. Pauli-Fans, direkt auf dem Coubertinplatz vorm Eingang zum Gästeblock. Und wenn alles organisatorisch so gut geklappt hätte wie dort, wäre es ein noch perfekterer Tag gewesen.Vielen Dank jedenfalls an alle, die rund um den FC St. Pauli auch immer wieder solche Themen aufgreifen und platzieren.Auch im Stadion wurden Transpis zu diesem Thema im Gästeblock platziert, welches von der Bundespolitik und der EU aktuell so desaströs behandelt wird, obwohl so viele Menschen im Mittelmeer sterben.#FightFortressEurope, Seenotrettung ist ein Menschenrecht.Mehr Informationen unter anderem bei Seebrücke oder Sea-Watch.
Es war eine Demonstration. Ja, auch auf dem Platz. Die spielerische Überlegenheit des FCSP war so deutlich, wie man es bei einem Auswärtsspiel bei einem Bundesligaabsteiger wohl noch nie gesehen hat. Johannes Eggestein erzielte in der 25. Minute die verdiente Führung, mit der er sich selbst für die starken Leistungen der letzten Wochen endlich auch als Torschütze belohnte. Vorausgegangen waren eine gute Vorarbeit durch Elias Saad und eine Drehung von Eggestein mit Abschluss, die auch schon ein Tor verdient gehabt hätte. Aber Eggestein setzte körperlich – und gedankenschneller – nach als die Herthaner Defensive und grätschte den Ball zur umjubelten Führung in die Maschen.
Glücklicher Johannes Eggestein nach dem 1:0. // (c) Peter Böhmer
Erneuter Jubel brandete auf, als Deniz Aytekin auf den Punkt zeigte. Ja, es waren über 100 Meter Luftlinie, aber ich war mir absolut sicher, dass dieser Elfmeter auf gar keinen Fall zurückgenommen werden würde, zu klar war das Foul an Smith auch aus dem Gästeblock zu erkennen gewesen.Leichte Verwunderung darüber, dass es so lange dauerte… komplette Verwunderung, als Aytekin dann raus marschierte. Und auch nach Anblick der Videobilder kann ich noch nicht nachvollziehen, wieso der Strafstoß zurückgenommen wurde. Der Kontakt war zweifellos nicht geeignet, das Schienbein zu brechen oder den Meniskus nach hinten durchzutreten – aber er war ebenso zweifellos da und kommt in der Laufbewegung von Smith, der dann auch ohne Verzögerung direkt zu Boden geht. Das ist auf gar keinen Fall eine Schwalbe und für mich gibt es hier keinen Grund, den Elfmeter zurückzunehmen.
Ich bin in meinem Umfeld verschrien als „Schiri-Versteher“ und schätze Deniz Aytekin nach wie vor als besten Schiedsrichter in Deutschland – aber hier kann ich nur hilflos die Schulter zucken.Überraschenderweise formulierte Aytekin es im Interview nach dem Spiel sogar recht ähnlich und sprach davon, dass Hertha hier Glück gehabt hätte. Verrückt – und Wasser auf die Mühlen aller VAR-Kritiker.
Apropos umjubelt: Ich träume seit Mitte der 90er davon, einmal mit dem FC St. Pauli zu einem DFB-Pokalfinale in dieses Stadion reisen zu dürfen – gestern war dann zumindest schon mal ein guter Vorgeschmack. Damit meine ich weniger das Drumherum, als vielmehr das Gefühl, mit etwa 15.000 St. Paulianer*innen diese Gästekurve zu füllen. (Die Zahl ist grob geschätzt, es können auch 12.000 oder 20.000 gewesen sein, keine Ahnung.)In Block G klappte auch die Koordination des Supports durch USP sehr gut, was bei der Größe der Kurve ja keineswegs selbstverständlich ist. Auch der gegenüberliegende Block auf der anderen Seite des Marathon-Tores wurde immer wieder mit Wechselgesängen eingebunden. Gute Übung für das Pokalfinale im Mai…
Weniger traumhaft waren die Begleitumstände. Verzögerungen bei der Busanreise schon in Hamburg durch nicht bereitgestellte Busse (es waren am Ende hoffentlich trotzdem alle irgendwie angekommen), eine unfassbar schlechte Abwicklung am Zugang zum Stadion… Als regelmäßiger Besucher des DFB-Pokalfinales konnte mich letzteres nicht überraschen, aber man fragt sich schon, wer solche „Konzepte“ entwickelt und das tatsächlich beruflich und gegen Bezahlung machen darf.
Im Stadioninneren dann wieder die Erinnerung daran, was uns wahrscheinlich in der Bundesliga erwarten dürfte, sollte irgendwann mal wieder ein Aufstieg gelingen. Das komplette Programm an Unterhaltungsmaschinerie auf Ballermann-Niveau, eine Musikauswahl aus der Hölle, bei der bemüht mit viel Lokalkolorit musiziert wird, das Heim-Publikum aber (mit Ausnahme vom Frank Zander-Song) nicht mitmacht. Im Gegenteil, wenn die Kurve denn vor Anpfiff schon mal singt, knallt man weiter die Dauerbeschallung drüber. Immerhin weiß man nach solchen Spielen dann immer wieder, was man an der Stadionregie am Millerntor hat. Gleiches gilt auch für unser dezent auftretendes Stadionsprecher*innen-Team – vielen Dank dafür, dass ihr diese Aufgabe so ausfüllt, wie ihr ihr es tut.
Mein persönliches Wochenende war hingegen relativ entspannt, da ich schon vor der „Alle mit dem Bus!“-Ankündigung eine ICE-Tour mit Junior und Übernachtung im Hause U. mit anschließender Pyjama-Party gebucht hatte. Da herrschte auch bei der zwölften Wiederholung der Highlights nach dem Spiel im gut gefüllten Wohnzimmer noch beste Stimmung – vielen Dank!Dieser Bericht entsteht daher gerade im ICE auf der Rückfahrt nach Hamburg.
Zurück zum Sportlichen: Wenn man zur Pause also meckern wollte, dann allerhöchstens, weil es nur 1:0 stand.In der zweiten Hälfte ging das Spiel genau so weiter. Der FCSP war die überlegene Mannschaft, die Angriff um Angriff auf das Tor der Herthaner rollen ließ. Trotzdem dauerte es bis zur 71. Minute, ehe der braun-weiße Anhang wieder jubeln durfte. Dieser Jubel galt allerdings erst mal nur der Einwechslung von Jackson Irvine, der damit in Rekordzeit nach seiner Bänderverletzung aus dem Länderspiel wieder fit geworden war.
Eine Viertelstunde vor Schluss dann die vermeintliche Entscheidung: Es dürfte das erste Mal in der langen Karriere des Marcel Hartel gewesen sein, dass er innerhalb von nur etwa 20 Sekunden zwei Mal auf das gegnerische Tor köpft. Dafür ist „1x Latte, 1x Unterkante Latte und rein“ eine wirklich gute Ausbeute. Der Jubel war erneut groß, denn Hertha hatte bisher nicht vermuten lassen, hier nochmal zurückkommen zu können.
Ausgerechnet Jackson Irvine war es dann (in Zusammenarbeit mit einem eher riskanten Zuspiel von Vasilj), der den Berliner Anschlusstreffer ermöglichte. So sicher dieses defensive Passspiel in den allermeisten Fällen auch war, in der 83. Minute darf dann so ein Ball einfach auch mal lang weggedroschen werden.Klar, so ein „doofes“ Tor kann immer mal fallen, die eigentliche Kritik geht daher auch eher in die Richtung, dass wir Hertha zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch in einer Situation gelassen hatten, in der sie mit einem Tor zurück ins Spiel kommen konnten. Denn die Chancen, dass Spiel schon vorher zu entscheiden, waren ja definitiv da gewesen. Ich habe die Pressekonferenz noch nicht gesehen, kann mir aber gut vorstellen, dass Fabian Hürzeler dies ebenfalls als Kritikpunkt genannt hat – auch wenn das natürlich alles „Jammern auf hohem Niveau“ ist.
Und damit nähere ich mit dem Hamburger Hauptbahnhof und schließe diesen Bericht, mit dem seligen Lächeln im Gesicht, aktuell als Spitzenreiter und „Nummer 1 der Stadt“ entspannt der nächsten Woche entgegenblicken zu können.Samstag kommt der 1. FC Nürnberg, vorher gibt es heute um 19.10h noch die Auslosung der 2. Runde im DFB-Pokal – mal schauen, wer uns da auf dem Weg zu einem erneuten Spiel im Olympiastadion zugelost wird.
Forza St. Pauli!// Maik
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