Hertha BSC – Das Grab für jeden Optimisten | OneFootball

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Hertha BASE

·15. Mai 2022

Hertha BSC – Das Grab für jeden Optimisten

Artikelbild:Hertha BSC – Das Grab für jeden Optimisten

Es ist 18:24, ich sitze von Bergen umringt an einem kleinen See auf ca. 1.500m Höhe in den französischen Alpen. Die Abendsonne scheint, man hört Vogelgezwitscher und die Welt scheint wunderbar und friedlich. Doch der Kontrast zwischen äußerer Umgebung und innerer Gefühlslage könnte größer nicht sein. Ein kleiner Text über den heutigen Spieltag, die Saison von Hertha und dem Leid eines Menschen, der sich selbst als Optimisten bezeichnen würde.

Hertha, du tust weh

Eigentlich hatte ich nicht geplant, in diesen Wochen einen Text für Hertha BASE zu schreiben. Befinde ich mich immerhin in meinen Flitterwochen und bereise Europa mit dem Wohnmobil. Daher kommt es auch, dass ich das letzte Saisonspiel meiner Hertha nicht gucken kann. Und wenn ich ehrlich bin, war ich froh drum. Ich wusste seit Tagen, dass das heute ein emotionaler Krimi wird, gänzlich unabhängig vom Ergebnis. Das hat Fußball halt so an sich und macht ihn besonders. Wir können mit ihm und durch ihn emotionale Höhen erleben, wie es kaum eine andere Sache auf der Welt vermag. Doch auf der anderen Seite kann er einem das Herz brechen, wie es ebenfalls nur wenige andere Dinge können. Und ein solcher Tag ist heute.


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Sisyphos – nur anders

Wer mich ein wenig kennt, sei es über Twitter, die Podcastfolgen, den Blog hier oder auch persönlich, merkt schnell, dass ich ein tendenziell positiv gestimmter und optimistischer Mensch bin. Das hat so seine Vorteile: Man kann oft mit einem Lächeln und schönen Gedanken durch die Welt spazieren, viel Vorfreude empfinden und sich gut gelaunt fühlen. Doch dem Optimist-Sein findet sich inhärent ein großes Problem wieder: Oft ist die Welt eben nicht so positiv, wie man annimmt oder zumindest annehmen möchte. Und in solchen Momenten wird man regelmäßig enttäuscht, auf den Boden der Tatsachen zurück geschleudert und muss danach versuchen, erneut aufzustehen.

Hertha BSC versteht es so gut wie niemand anders, diesen Kreislauf in rasanter Geschwindigkeit Woche für Woche aufs Neue in Schwung zu bringen. Am Wochenende spielt die Alte Dame scheiße und verliert, oft verdient Man ist den Abend nach dem Spiel geknickt, doch schon ab Sonntagmorgen rede ich mir ein, dass es ja nicht so schlimm sei. Irgendeine Ausrede oder Begründung findet man immer: Der Gegner ist ein Top-6-Klub, der Schiri hat schlecht gepfiffen, man hatte Alu-Pech beim Abschluss oder der Gegner macht das Tor seiner Karriere (looking at you, Vogelsammer im DfB-Pokal). Montag, spätestens Dienstag dann fängt man an sich auf das Spiel am nächsten Wochenende zu freuen, dröhnt sich die Woche über mit Hertha-Content zu und wartet am Morgen des Spieltags gespannt auf den Anpfiff. Nur um wieder zu verlieren. Und wieder, und wieder, und wieder.

Hingeworfene Brotkrumen

Bis irgendwann ein gutes Spiel oder gar ein Sieg dabei ist. Beispielsweise das 3:2 gegen den BVB kurz vor Weihnachten oder ein 3:0 gegen einem zu diesem Zeitpunkt extrem starke TSG aus Hoffenheim, die in den Vorwochen 13 von möglichen 15 Punkten geholt hat. Und so steigt das gesamte Grundniveau des Optimismus sprunghaft an, nur um die Wochen danach Stück für Stück wieder abzusinken.

Dabei fing die Saison im weiteren Sinne doch so gut an. Der Sieg gegen Liverpool im Testspiel ließ mein Fan-Herz höher schlagen. Ich dachte mir: Klar, war nur ein Testspiel. Aber es war halt doch immerhin Liverpool, die nicht mit ihrer C-Elf, sondern Spielern wie van Dijk und Mane gespielt haben. Dieser Neuzugang bei uns, der Jovetic, Mensch ist der gut. Und auch Serdar, wieso hat der nur acht Millionen Euro gekostet? Ich war mir sicher, dass wir mit Pal Dardai an der Seitenlinie, dem emotional und sportlich extrem gut verlaufenem Saisonabschluss 2020/21 unter ihm und dem neuen Sportdirektor Fredi Bobic nach zwei Chaosjahren eine vergleichsweise entspannte Saison erleben dürfen.

Artikelbild:Hertha BSC – Das Grab für jeden Optimisten

(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)

Doch schon die letzten Testspielen gegen Hannover 96 und St. Pauli ergaben nur Unentschieden, gegen Meppen quälte man sich 90 Minuten bis mich Davie Selke in der Nachspielzeit erlöste. Anschließend: Saisonauftakt gegen Köln. Die zwar einen neuen Trainer hatten, in der abgelaufenen Spielzeit jedoch erst in der Relegation die Klasse hielten, das Hinspiel gegen Kiel ging vor heimischem Publikum sogar verloren. Keine großen Sorgen also, man sollte das Spiel doch locker gewinnen können, dachte ich. Tja, ich lag falsch. Es sollte nicht das letzte Mal in dieser Saison bleiben.

Jovetic traf zwar bereits nach fünf Minuten zur Führung, doch das Spiel ging am Ende verdient und deutlich mit 1:3 verloren. Der Rest ist soweit bekannt, Derby-Niederlage, Dardai-Demission, Korkut-Installation, Derby-Niederlage, Korkut-Entlassung und Magath-Einstellung. Felix Magath. Das saß, ich brauchte mehrere Tage, um das wirklich zu verarbeiten. In meiner Kindheit Bayern-Trainer und Meistermacher bei Wolfsburg, in meinem Kopf war er eine Legende. Dieser Mann sollte MEINE Hertha trainieren? Unmöglich!

Aufschwung

Und Magath lieferte. Im ersten Spiel durch Corona verhindert und im Hotel, doch sein Co-Trainer Fotheringham war für ein paar Tage der Messias in Berlin. Ein Sieg gegen Hoffenheim und drei so dringend benötigte Punkte, gleichzeitig das erste gewonnene Spiel der Rückrunde. Der Optimist in mir erstrahlte. Die anschließend dritte und letzte Derby-Niederlage vor seit über zwei Jahren erstmals ausverkauftem Olympiastadion tat extrem weh und hinterließ tiefgehende Spuren im Verhältnis zwischen (sogenannten) Fans und Mannschaft. Es ist halt einfach so Hertha-like, das erste aufkeimende Gefühl der Hoffnung nach dem Sieg gegen die TSG unmittelbar im Anschluss niederzubrennen.

Sicher geglaubter Klassenerhalt

Das Spiel gegen Augsburg, das erste von drei Endspielen gegen direkte Konkurrenten ließ dann selbst mich staunend zurück. Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheit ging ich fest von einer Niederlage aus. Und wurde dafür belohnt. Der große Vorteil eines Pessimisten, er kann nun mal im Worst Case bestätigt, im Best Case positiv überrascht werden. Gegen Stuttgart wählte ich einen ähnlichen Ansatz, wurde wieder belohnt. Und auf was für eine Art und Weise. Das 2:0 von Belfodil in der Nachspielzeit emotionalisierte mich und gefühlt das komplette Olympiastadion wie kaum ein anderes Tor der letzten Jahre. Es fühlte sich nach Klassenerhalt, nach Rettung an. Wie sollte Stuttgart nach diesem Spiel, lust- und kraftlos, jetzt zusätzlich endgültig gebrochen, noch einmal zurück kommen?

Magath mahnte

Trainer Magath zeigte sich schon vor Bielefeld vorsichtig, mahnte Fans und Presse und sagte, er habe schon die seltsamsten Dinge an den letzten Spieltagen erlebt. Ich war so blöd und glaubte ihm nicht, dachte mir: „jaja, lass ihn mal reden, wir schaffen das schon.“ Ich war wieder zum Optimisten geworden. Was danach folgte ist ein Saisonendspurt, wie ihn nur Hertha hinbekommt.

Führung in Bielefeld, Stuttgart gleichzeitig gegen Wolfsburg hinten. Der Klassenerhalt war rechnerisch sicher. Bin man in der Nachspielzeit ein Gegentor kassierte, zusätzlich glich Stuttgart in der 87. Minute ebenfalls aus. Heimspiel Mainz, schmeichelhaftes Unentschieden bis zu 82. Minute. Mir war scheißegal, dass der Punkt absolut unverdient gewesen wäre, was macht das in dieser Situation für einen Unterschied. Doch die Mannschaft zeigte sich erneut in den Schlussminuten unkonzentriert. Wie schon in Bielefeld. Wie schon gegen Augsburg in der Hinrunde. Und wie schon gegen Leverkusen in der Hinrunde.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Dass Bayern nicht in der Lage ist, die Normalform gegen Stuttgart am nächsten Tag abzurufen? In Anbetracht der Umstände leider keine Überraschung, und dennoch massiv ärgerlich. Klar, man soll nicht auf die Konkurrenz hoffen, aber mal ehrlich, wer tut das nicht im Abstiegskampf? Denn wie gesagt, ob man Spiele am Ende verdient gewinnt oder verliert, verdient absteigt oder nicht, interessiert schlussendlich doch keinen.

Showdown in Dortmund und Stuttgart

Kommen wir zum Samstag. Und ich merke, dass der Text um einiges länger geworden ist als geplant. Wenn du, wenn Sie noch lesen, herzlichen Glückwunsch und vielen Dank.

Die Spieltage 32 und 33 haben mich konditioniert. So, wie jahrelang vor mir Hertha-Fans konditioniert wurden. Ich bin zum Pessimisten geworden. Alles andere als eine Niederlage beim BVB und gleichzeitigem Sieg der Stuttgarter gegen Köln hätte mich gewundert. Wie passend, ausgerechnet das Köln, welches uns am ersten Spieltag vor Augen geführt hat, dass auch diese Saison ein Krampf werden wird, hatte es mit in der eigenen Hand, ebenjene Saison für uns trotz aller Umstände tabellarisch zu retten. Das Führungstor von Belfodil kam überraschend, änderte jedoch nichts an meiner mentalen Verfassung, ich blieb pessimistisch. Auch weil Stuttgart zu diesem Zeitpunkt bereits führte.

Um die 60. Minute rum sagte ich zu meiner Frau, Köln hatte mittlerweile ausgeglichen: „Hey, es bräuchte noch drei Tore in 2 Spielen, damit wir in die Relegation müssen. Aber das wird auch passieren.“ Innerlich keimte dennoch eine Hoffnung auf. Wie so oft in dieser Saison. Tja, was folgte ist bekannt. 84. Minute Führung für Dortmund, 90+2 in Stuttgart erneute Führung für die Schwaben. Relegationsplatz für uns.

Zweite Liga, wir kommen!

Und ich? Ich hatte den großen Fehler begangen, für ein paar Minuten, insbesondere ab der 90. Minute in Stuttgart, zum Optimisten zu werden. Ich wollte es ein letztes Mal in dieser Saison sein, der Optimist. Vier Minuten? Ach das wird Köln schon hinbekommen. Wie gesagt, großer Fehler. Wäre ich Pessimist geblieben, vielleicht wäre der Fall nicht so tief gewesen. So habe ich eine Leere gespürt, die seit 2012 nicht mehr da war. Die vermutlich jeder Hertha-Fan gerade spürt. Wie soll man damit klar kommen? Ich weiß es momentan nicht und kann keine Lösung bieten. Ich kann nur darauf hoffen, dass die Zeit hilft die Wunden zu heilen.

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(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Und so bleibe ich jetzt dabei und bin für die Relegationsspiele pessimistisch. Wir werden verlieren, egal gegen wen. Und wir werden in die zweite Liga gehen. Das steht für mich fest. Doch wir haben heute den Morgen nach dem Spiel. Ich kenne mich, leider. Ich werde spätestens ab Montag davon ausgehen, dass wir gewinnen. Ein ewiger Kreislauf, den Hertha auch noch ein letztes Mal in dieser Saison weiterführt. Und egal wie es ausgeht, ob 1. oder 2. Liga. Ich werde mich auf die neue Saison freuen. Und vom bestmöglichen Szenario ausgehen. Weil ich das nun mal bin. Und Hertha wird mir erneut wehtun und mich erneut enttäuschen. Und es wird ok sein. Wahrscheinlich. Denn es geht weiter immer weiter, wird für immer Hertha bleiben.

HaHoHe, auf eine bessere Zukunft!

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