
Textilvergehen
·22. November 2019
Generationswechsel auf der Waldseite: Abschied von einem Capo

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·22. November 2019
Trainer Urs Fischer hat auf der Pressekonferenz vor dem Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach (AFTV) gesagt: “Wir müssen wachsam sein und dürfen dem Ball nicht den Rücken zukehren.” Bei allem Respekt, den der Coach dem Gegner entgegenbringt, so drängte er doch darauf, dass Union vorwärts verteidigt und Chancen kreiert. Klar ist, dass Union sich nicht in eine Situation drängen lassen darf wie in den letzten 20 Minuten beim letzten Spiel in Mainz. Das nannte Fischer auch beinahe 2 Wochen später noch als Warnung. Definitiv ausfallen werden für die Partie neben dem Langzeitverletzten Andy Gogia auch Suileiman Abdullahi und Joshua Mees.
Sehr schön übrigens, wie Christian Arbeit zum Schluss der Pressekonferenz beinahe schon traditionell bittet, nicht mit dem Auto zu kommen, um dann zu sagen: “Selbst Schiffe sind glaube ich weitgehend ausgebucht. Zumindest fahren mehrere hundert Gladbacher als auch einige hundert Unioner mit dem Schiff zum Spiel.” Diese Bootstour dürfte tatsächlich eine hübsche Flotte auf der Spree abgeben.
Das Spiel gegen einen Tabellenführer ist alleine etwas Besonderes. Aber auch in anderer Hinsicht wird es in Erinnerung bleiben. Denn die Partie gegen Mönchengladbach am Samstag ist auch ein Abschied. Vossi, einer der Capos auf der Waldseite, wird aufhören. Nach gut 13 Jahren wird damit ein Generationswechsel vollzogen und ich empfinde das als ein einschneidendes Ereignis. Denn all diejenigen, die in den Jahren seit dem absoluten Tiefpunkt Abstieg in die vierte Liga zu Union gefunden haben, haben Vossi als Anpeitscher erlebt.
Im aktuellen Stadionheft gibt es ein langes Interview mit ihm, das es hier auch als AFTV-Video online gibt. Darin kann Vossi den Klassiker aller Union-Fragen “Wo warst du eigentlich damals in Falkensee-Finkenkrug” für sich klar beantworten: Im Stadion auf einer Styropor-Kiste mit dem Megafon in der Hand. Es war sein erster Einsatz als Einheizer.
Mir gefällt an dem Gespräch im Stadionheft, dass es die Entwicklung des organisierten Supports bei Union in den vergangenen Jahren zeigt und dass es aus Vossis Sicht auf keinen Fall so sein soll, dass nur die Waldseite den Ton vorgibt. Ich mag, wie er die Wichtigkeit der Schlachtrufe betont, die aus der Emotion irgendwo im Stadion angestimmt werden. Und wir alle haben sicher einen Moment vor Augen, wenn es im Spiel plötzlich ein paar Leute packt und sie trotzig kampfeslustiges “Eisern Union!” anstimmen, wie das die Nebenleute ansteckt und immer lauter wird, bis das ganze Stadion brüllt.
Die Präsenz auf dem Capo-Podest hat auch Nachteile. Die Leute dort stehen im Fokus, vieles konzentriert sich auf sie und vieles wird auf sie projiziert. Dazu sagte Vossi im Interview: “Es gibt aber auch die andere Seite der Medaille, dass es auch negative Auswirkungen haben kann. Die hat es in meiner Zeit auch gegeben, und dann muss man gucken, wie bekomme ich das jobmäßig etc. hin. Aber es hatte auf jeden Fall auch Einfluss auf meine Zeit oder vielleicht auch auf meinen Abschied.”
Holt euch das Stadionheft (als Heft oder aufs Telefon). Nicht nur wegen der 6 Seiten Interview, sondern auch, weil dort etwas anderes zu lesen ist als die generischen, langweiligen Texte, die man gerade im Bundesliga-Alltag oft sieht. Dort sind Stadionhefte häufig nicht mehr als ein Werbeträger für Sponsoren mit Texten, die niemanden weh tun, aber auch niemanden interessieren.
Denn ich empfinde die Auseinandersetzung mit den Umständen des Derbys (Beschuss aus dem Gästeblock während des gesamten Spiels, Einlass-Sturm im Heimbereich und Betreten des Spielfelds durch einige Unioner nach Abpfiff) als sehr wohltuend. Zum einen gibt es mit drei verschiedenen Texten (einer von den Programmierern, also den Machern des Stadionhefts, einer von Präsident Dirk Zingler und einer vom Wuhlesyndikat, der größten Ultragruppe) ein Spektrum, das schon alleine wenige Stadionhefte abbilden.
Mir gefällt aber auch, wie selbstkritisch mit den Themen umgegangen wird, die ganz klar auf der Heimseite geschehen sind. Da hätte man es sich einfacher machen können und den Beschuss aus dem Gästeblock und undifferenzierte Medienberichterstattung, die nicht zwischen einer Fackel in der Hand und dem Beschießen von Menschen unterscheiden kann, verdammen können. Das gibt es auch und ich finde das auch richtig. Aber der überwiegende Teil befasst sich mit dem, was wir alle als Unioner beeinflussen können.
Die Statements im Stadionheft sind nicht das Ende der Diskussion. Wir alle wissen, dass noch eine Bestrafung durch das Sportgericht des DFB aussteht und es sein kann, dass sich beispielsweise die Einlass-Situation dauerhaft ändern wird (ich hoffe es nicht).
In Eberswalde gibt es im Plattenbau die kleine Galerie Fenster, in der seit einigen Wochen Fotos von Sebastian Wells (fotografiert beispielsweise für 11Freunde) ausgestellt werden, auf denen Fußballanhänger (vor allem in und um das Stadion an der Alten Försterei) in ihrer kompletten emotionalen Bandbreite gezeigt werden.
Daniel aus unserem Team war gestern dort bei einer Diskussions-Veranstaltung und hat ein paar Bilder geschickt. Aber schaut doch selbst mal vorbei. Hier sind alle Termine zu finden.