Rund um den Brustring
·22. April 2024
Rund um den Brustring
·22. April 2024
In Bremen läuft beim VfB am Sonntagnachmittag wenig zusammen. Ein ärgerlicher Rückschlag im Kampf um die vorderen Plätze, gleichzeitig nach elf Ligaspielen ohne Niederlage vielleicht auch ein Weckruf, um die Sinne neu zu schärfen.
Ich hatte fast schon vergessen, wie sich Niederlagen anfühlen. Klingt komisch, ist aber so, wenn die letzte über zwei Monate her ist. Als am späten Sonntagnachmittag die Bremer Bank jubelnd auf Feld stürmte, weil sie nach ebenso langer Wartezeit endlich wieder drei Punkte geholt und gleichzeitig den favorisierten VfB geschlagen hatten, spürte ich ihn wieder: Diesen Ärger über die Fehler der eigenen Mannschaft und des Schiedsrichters, über die verpassten Chancen und — bei Auswärtsniederlagen besonders ärgerlich — die unerfreuliche Heimfahrt. Die Vorstellung, was gewesen wäre, wenn Undav nicht die Latte trifft sondern ins Tor, wenn Leweling quer legt oder wenn gegnerische Spieler umnieten für Torhüter kein Kavaliersdelikt wäre. Kurz danach meldete sich aber das Langzeitgedächtnis, das mir den Tabellenstand in Erinnerung rief und die Tatsache, dass dies nicht ein weitere Rückschlag im Abstiegskampf war, sondern ein Dämpfer im Kampf um die vorderen Plätze der Bundesliga-Tabelle, in der der VfB im schlechtesten Fall auf Platz 5 landen wird.
Dennoch müssen wir natürlich über das Zustandekommen dieser Niederlage reden, in der Werder Bremen genau zwei Schüsse auf den Kasten von Alexander Nübel zustande brachte: Einen Elfmeter und einen nach einer Flanke aus dem Halbfeld. Alles andere ging vorbei oder wurde geblockt, nur diese beiden Schüsse saßen eben und machten Marvin Duksch zum Matchwinner. Vorausgegangen waren jeweils äußert seltene defensive Fehler des VfB — ein verlorenes Laufduell des als Wingback aufgebotenen Leweling sowie ein zu offener Passweg auf Flankengeber Romano Schmid und eine Fehleinschätzung von Waldemar Anton — aber das ist normalerweise nichts. was unsere Brustringträger aus der Bahn wirft. Vielmehr entschied Werder das Spiel letztlich deshalb für sich, weil sie ihre unglaubliche Effizienz durch leidenschaftliches Verteidigen über die Zeit brachten, indem sie den VfB zu selten zur Entfaltung kommen ließen. Oder wie Serhou Guirassy es wie häufig ziemlich trefflich auf den Punkt brachte:
Wie schon gegen Heidenheim hatte der VfB auch in Bremen so seine lieben Probleme mit einer Mannschaft, um jeden Ball kämpfte und in der Lage war, aus ihrem überschaubaren Offensivspiel das Maximum rauszuholen. Während bei den Gästen nach einigen herausragenden Spielen wieder der Punkt erreicht war, an dem sie sich etwas zu sehr an ihrer eigenen spielerischen Eleganz ergötzten, gewann die Heimmannschaft viele Bälle im Mittelfeld, weil die Brustringträger entweder einen Schritt zu spät kamen oder zu optimistische Pässe spielten. Hinzu kam ein wenig Schiedsrichterglück, denn Robert Hartmann pfiff gefühlt jede zweite Szene zugunsten der Norddeutschen und hatte mit Felix Zwayer einen Video Assistant Referee als Backup, dessen Entscheidungsfindung einmal mehr schwer nachvollziehbar war.
Dennoch: Der Heimsieg der Bremer war verdient, weil der VfB nie das auf den Platz brachte, was ihn in den letzten beiden Spielen auszeichnete. Exemplarisch, dass das einzige Auswärtstor, zugleich das 17. insgesamt von Deniz Undav, am Ende über die Linie gestochert werden musste. Zu oft trafen die Männer im Brustring die falsche Entscheidung, legten den Ball gegen eine mit zunehmender Spieldauer immer dichter stehende Bremer Abwehr einmal zu häufig quer oder schossen aus ungünstigen Situationen und ermöglichten Torwart Zetterer trotz erneut fragwürdigen Verhaltens auf dem Platz — ich erinnere an die Ausrede mit den Kraut-Trikots im Hinspiel — eine Nominierung für die Kicker-Elf des Tages. Hinzu kam, dass Chris Führich anders als Enzo Millot in der Vorwoche in der ersten Hälfte kaum ersetzt werden konnte und Jamie Leweling offensichtlich kein klassischer Wingback ist, so dass die linke Seite offensiv lahmte, während die rechte Seite defensiv so ihre Probleme hatte. Dadurch wurde Serhou Guirassy immer wieder aus dem Strafraum herausgezogen, um das Angriffsspiel anzukurbeln und fehlte dann vorne als Abnehmer. Hoeneß’ Korrektur zur Halbzeit, als er Führich und Stenzel hereinnahm, verpuffte mit dem Treffer zum 2:0 und auch Silas konnte offensiv bis auf ein paar Läufe, die die Bremer nur mit Fouls stoppen konnten, offensiv wenig beitragen.
Es kam also alles so ein bisschen zusammen: Fehlende Schärfe in den eigenen Reihen, ein Gegner am Limit, wenige aber wirkungsvolle Fehlentscheidungen auf und neben dem Platz und ein wenig hilfreicher Schiedsrichter. Unterm Strich ein gebrauchter (Spiel-)Tag der nur durch den späten Ausgleichstreffer des neuen deutschen Meisters in Dortmund noch ein wenig erhellt wurde. Trotz der zwei schweren nächsten Gegner aber wie in der Vergangenheit kein Grund zur Besorgnis. Wieder einmal hat die Mannschaft gemerkt, dass sie sofort bestraft wird, wenn sie einen Gang zu weit runtergeschaltet hat. Die Reaktion war in der Vergangenheit verlässlich immer eine wesentliche Leistungssteigerung in den folgenden Wochen. Nichts anderes dürfen wir in Leverkusen und gegen München erwarten. Wie viele Punkte dabei am Ende herausspringen liegt auch in der Hand dieser zwei außergewöhnlich besetzten Mannschaften. Wie es Guirassy in seinem Tweet ankündigte können wir uns aber darauf verlassen, dass die Brustringträger ihnen es so schwer wie möglich machen werden, sie zu schlagen.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass stellt fest: Wir sind nicht die Geilsten. Stuttgart.international erinnert daran, dass es derzeit durchaus weiterhin andere wichtige Themen beim VfB gibt: “Auch wenn die meisten Mitglieder und Fans gerade nichts mehr von Vereinspolitik hören wollen, wäre es besser zu diskutieren, bevor es zu spät ist.”
Titelbild: © Stuart Franklin/Getty Images