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Niklas Levinsohn·16. Oktober 2020

Forderung nach mehr Fans: Bundesliga erkennt den Ernst der Lage nicht

Artikelbild:Forderung nach mehr Fans: Bundesliga erkennt den Ernst der Lage nicht

Die Bundesliga-Klubs fordern eine Neuregelung des Zuschauereinlasses während der Corona-Pandemie. Das ist ein Stück weit nachvollziehbar, aber vor allem eins: unpassend.

In der Theorie hat jeder Profiklub in Deutschland ein Hygienekonzept, das einen gedrosselten Einlass von Zuschauern ins Stadion ermöglichen soll. In der Praxis bleiben viele Bundesliga-Spielstätten am Wochenende trotzdem leer. Schuld ist der ominöse Inzidenz-Wert, der angibt, wie viele Menschen sich pro 100.000 Einwohner in einem Zeitraum von sieben Tagen mit dem Coronavirus infiziert haben.


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Ist der Inzidenz-Wert zu hoch, müssen die (meisten) Fans zu Hause bleiben. Das Rheinische Derby zwischen Köln und Gladbach zum Beispiel wurde am 3. Oktober lediglich vor 300 Zuschauern gespielt, weil die Stadt Köln die kritische Schwelle von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gerissen hatte. Das eigentliche Hygienekonzept der Geißböcke ist auf bis zu 9.000 Zuschauer ausgelegt.

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Unter anderem aus Köln sind nun Stimmen laut geworden, doch bitte nicht mehr nur auf den Inzidenz-Wert zu schauen, wenn es um die Frage geht: Mit Fans oder ohne? „Wir sollten uns grundsätzlich fragen, ob wir nur den Inzidenz-Wert betrachten oder das umfangreiche Hygienekonzept der Klubs heranziehen“, gab Effzeh-Geschäftsführer Alexander Wehrle gegenüber dem ‚Stadt-Anzeiger‘ zu Protokoll.



Er ist mit diesem Vorstoß nicht alleine. Sein Augsburger Kollege Stefan Reuter etwa wird von ‚Spox‘ ähnlich zitiert: „Wir wünschen uns eine fakten-basierte Diskussion darüber, ob man diese Regelung modifizieren sollte.“ Nur ist es eben schwierig, fakten-basiert über etwas zu diskutieren, wenn die Faktenlage so dünn ist. Konkrete Fälle von Ansteckungen im Stadion sind zwar nicht bekannt, aber wären wohl auch kaum nachvollziehbar.

Es geht nicht nur um die Sachlage

Fairerweise muss man nach aktuellem Erkenntnisstand festhalten, dass Veranstaltungen im Freien mit einem eher geringen Infektionsrisiko verbunden sind. Einhaltung der üblichen Vorsichtsmaßnahmen vorausgesetzt. „Bei gleichzeitiger Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit im Freien aufgrund der Luftbewegung sehr gering“, so die Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI).

Den ersten Teil des Satzes haben sie bei Union Berlin offensichtlich überlesen. Davon abgesehen gäbe es aber womöglich tatsächlich eine Grundlage, auf der sich über den Vorschlag der Herren Wehrle und Reuter diskutieren ließe. Bloß wäre es falsch, die Frage nach dem Zuschauereinlass ausschließlich auf der Sachebene zu verhandeln. Im Fußball und in der Politik, durch Corona noch mehr als sonst miteinander verwoben, geht es nun mal auch um Symbole.

Christian Drosten hatte schon Ende September gewarnt: „Wir müssen aufhören, uns über so Dinge wie Fußballstadien zu unterhalten. Das ist wirklich komplett irreführend.“ Die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Deutschland pendelte da noch ober- und unterhalb der 2.000er-Marke. Heute hat das RKI 7.334 Neuinfektionen vermeldet. Auch die Zahl der Erkrankten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, ist im Vergleich zur Vorwoche deutlich angestiegen – von 487 auf 655.

Was die Bundesliga damit am Hut hat? Wir verweisen noch mal auf Kölns Geschäftsführer Alexander Wehrle, der für den Neustart der Liga im Mai laut ’n-tv‘ folgende Worte fand: „Ich glaube, das tut allen in unserer Gesellschaft gut, ein kleines Stückchen Normalität wieder zurück zu bekommen.“ Genau da liegt das Problem. Der Fußball mit seiner Symbolkraft ist Teil einer trügerischen Stimmung, die eine nicht vorhandene Normalität suggeriert.

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Für die Sommermonate mag das noch einigermaßen unerheblich gewesen sein. Doch wie glimpflich wir als Gesellschaft durch Herbst und Winter kommen, hängt auch davon ab, ob die Menschen mehrheitlich wieder bereit sind, sich selbst zurückzunehmen. Nicht irgendwann, sondern so schnell wie möglich. Volle Stadien sind da das falsche Signal. Dass Teile der Bundesliga ausgerechnet jetzt Zweifel an den Maßstäben säen, mit denen die Gesundheitsbehörden die Möglichkeit eines Spielbetriebs vor Fans ausloten, geht am Ernst der Lage vorbei.