MillernTon
·10. November 2024
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Gegen den FC Bayern München liefert der FC St. Pauli ein sehr starkes Spiel ab – aber war am Ende doch nahezu chancenlos.(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Es war völlig klar, dass der FC St. Pauli viele Zutaten brauchen würde, um gegen den FC Bayern München etwas Zählbares zu holen. Eine dauerhaft stabile Defensive. FCSP-Spieler, die über sich hinauswachsen. Dann auf der Gegenseite einen FCB, der einen schlechten Tag erwischt. Und sowieso eine gute Prise Glück und einen perfekten Spielverlauf. Einiges davon war am Samstag da, aber eben nicht alles, um gegen das beste Team der Bundesliga zu punkten.
Im Vergleich zum 2:0 gegen die TSG Hoffenheim stellte Cheftrainer Alexander Blessin zwangsweise einmal um: Philipp Treu (Oberschenkelverletzung) wurde erwartungsgemäß in der Startelf durch Lars Ritzka ersetzt. Eine weitere denkbare Änderung (Wagner für Boukhalfa im Mittelfeld) gab es nicht, unter anderem weil Boukhalfa offensiv seine Stärken ausspielen sollte und dessen Abstimmung mit Jackson Irvine zuletzt überzeugte, so Blessin.
In der personellen Aufstellung gab es zwar nur eine Veränderung, in der Positionierung aber eine weitere: Dapo Afolayan tauschte mit Morgan Guilavogui die Seiten, agierte auf der linken Außenbahn. Blessin erklärte nach der Partie, dass man mit dieser Umstellung vor allem die starke linke Seite der Bayern mit dem schnellen Alphonso Davies besser kontrollieren wollte und zeigte sich damit nach Abpfiff zufrieden.
Auf Seiten des FC Bayern München rotierte Trainer Vincent Kompany auf vier Positionen und damit deutlich mehr als aufgrund der bisher geringen personellen Wechsel zu erwarten war. Im Vergleich zum 1:0 gegen Benfica Lissabon in der Champions League am Mittwoch begannen Raphael Guerreiro, Leon Goretzka, Leroy Sané und Kingsley Coman anstelle von Konrad Laimer, Joao Palhinha, Michael Olise und Serge Gnabry.
Vincent Kompany hatte nach Abpfiff warme Worte für den FC St. Pauli übrig, nicht nur aus sportliicher Perspektive: „Wir wurden toll in Hamburg empfangen. Ich denke wir alle haben gespürt, wie speziell und anders dieser Ort ist.“ // (c) Stefan Groenveld
Der FC Bayern München agierte nominell in einem 4-2-3-1. Diese Formation war auf dem Platz allerdings selten zu sehen, weil Joshua Kimmich seine Position im defensiven Mittelfeld bei Ballbesitz immer wieder verließ. Oft begab er sich auf die rechte Innenverteidigerposition, sodass der FCB mit einer Dreierkette aufbauen konnte. Dieses Positionsspiel hätte theoretisch dafür sorgen können, dass der FCSP auf den Außenbahnen Probleme bekommt.
Denn durch die hintere Dreierreihe konnten die Außenverteidiger der Bayern, Davies und vor allem Guerreiro, nach vorne schieben. Gegen die linke Seite des FC Bayern München verteidigte das Duo Guilavogui-Saliakas aber extrem gut, über die gesamte Spielzeit passierte hier offensiv eigentlich gar nichts. Auf der rechten Seite war die Situation etwas komplexer, weil Guerreiro viel öfter als Davies seine Position auflöste und in den offensiven Halbraum schob.
So wurde die linke Seite der Defensive des FC St. Pauli immer wieder vor Zuordnungsprobleme gestellt, teilweise ließ sich Boukhalfa von der Sechserposition rausziehen. Blessin erklärte nach der Partie, dass diese Situationen theoretisch schon gefährlich waren, weil die Bayern-Spieler schnell erkannten, dass Boukhalfa seine Position verließ und diesen Raum direkt bespielen wollen. Doch wirkliche Torgefahr konnte der FC Bayern in diesen Situationen nicht erzeugen und in der zweiten Halbzeit, so Blessin, war die Abstimmung beim FCSP auch klar verbessert.
Sowieso war eigentlich alles ziemlich gut, was der FC St. Pauli gegen den Ball anbot. Das Team zog sich erwartungsgemäß in ein tiefes 5-4-1 zurück und dagegen hatte der FC Bayern München eigentlich über fast die gesamte Spielzeit keine wirklichen Lösungen parat. Hauke Wahl zeigte sich zufrieden: „Aus dem Spiel heraus haben wir den Bayern extrem wenig gegeben. Wir haben unfassbar gut verteidigt über 90 Minuten.“ Und tatsächlich war der FC Bayern München trotz sehr viel Ballbesitz vor allem in der ersten Halbzeit ziemlich selten in Tornähe aufgetaucht. Den ersten Abschluss hatten sie nach 14 Minuten, bis zum Pausenpfiff sollten nur drei weitere folgen.
Das ist für ein Team, welches zusammen mit Bayer Leverkusen in der Torschuss-Statistik auf einem anderen Planeten agiert (beide über 180 Torschüsse bisher – es folgt Gladbach mit 143), ziemlich wenig. Weniger als vier Abschlüsse in einer ersten Halbzeit hatten sie in dieser Saison noch nie. In acht von neun bisherigen Ligaspielen hatten sie sogar doppelt so viele. Diese Zahlen hätte es vermutlich nicht gebraucht, denn es konnten alle auf dem Platz erkennen, wie gut die Defensivarbeit des FC St. Pauli funktionierte. Absolut beeindruckend ist es trotzdem.
Doch was nützt all das, wenn es dann doch ein Gegentor gibt? In der 22. Minute spitzelte Irvine Gegenspieler Davies den Ball vom Fuß. Der Ball bewegte sich auf Leon Goretzka zu, Irvine spitzelte den Ball erneut weg, der dadurch in Richtung Zentrum zu Eggestein kam. Dieser konnte den Ball aber nicht kontrollieren, Jamal Musiala spritzte dazwischen. Eggestein wehrte sich und gewann den Zweikampf eigentlich auch. Doch da war noch Boukhalfa in Ballnähe und es folgte dann wohl ein „Nimm Du ihn, ich hab ihn sicher“-Moment, den Musiala für sich nutzen konnte, weil er ein weiteres Mal nachsetzte (was allein schon das griffige Gegenpressing der Bayern gut beschreibt).
Es kam, was kommen musste: Musiala nahm aus knapp weniger als 30 Metern Maß und erzielte ein Traumtor. Auch wenn diese Situation anders ausgehen muss, weil Boukhalfa und Eggestein konsequenter agieren müssen, bleibt von diesem Gegentor vor allem ein Gefühl der Machtlosigkeit. Denn da lässt der FCSP gegen die beste Offensive der Liga so wenig zu, wie noch kein anderes Team und die erzielen dann halt einfach ein Traumtor (xG: 0,02) aus der Distanz.
Trotz des Rückstandes änderte sich am Spiel selbst nur wenig. Der FC Bayern München hatte weiterhin viel Ballbesitz, kam aber nicht durch gegen das kompakte 5-4-1 des FC St. Pauli. Bayern-Trainer Vincent Kompany war nach Abpfiff voll des Lobes: „Wir haben gegen ein sehr energiereiches Team gespielt. Sie waren sehr kompakt, diszipliniert und sehr abgeklärt in der Spielverwaltung. Auch nachdem wir das erste Tor erzielt haben, ist St. Pauli nie panisch geworden, hat seinen Matchplan nicht geändert, ist geduldig geblieben.“
So ging es mit einem 0:1-Rückstand in die Pause. Und aus Sicht des FCSP musste man sich darüber schon ärgern. Weil man eigentlich ein nahezu perfektes Spiel ablieferte. Ohne diese Einzelaktion von Musiala hätten sie mit hervorragender Defensivarbeit genau das erreicht, was sich Blessin von seinem Team gewünscht hatte: So lange wie möglich das 0:0 halten.
Zeitsprung, hin zur Phase kurz vor dem Gegentreffer. Denn bei all dem Fokus auf die Arbeit gegen den Ball und all dem Ballbesitz des FC Bayern München, darf nicht vergessen werden, dass der FC St. Pauli sogar eine kleine Druckphase erzeugen konnte rund um die 20. Minute, mit mehreren Ecken. Besonders auf solche Standardsituationen hatte Blessin einen Fokus gelegt, um Torgefahr zu erzeugen.
Zwar habe man auch versucht, mit langen Bällen kurz vor die letzte FCB-Kette zu arbeiten, bei denen dann Eggestein den Ball für die Achter klatschen lassen sollte. Doch aus dem Spiel heraus, so Blessin, ist die Qualität der Bayern in Sachen Gegenpressing und Tempo in letzter Linie einfach extrem hoch, sodass man sich mehr auf Standardsituationen konzentrierte. In zwei dieser Situationen wurde es auch richtig eng für die Bayern, als der Ball in den Fünfmeterraum flog, doch der FCSP bekam keinen Abschluss hin. Zwar einen Abschluss, aber keinen gefährlichen, bekam dann Karol Mets in der 29. Minute hin, als er artistisch den Ball aus dem Rückraum über das Tor setzte.
Den hat Jamal Musiala aber auch perfekt getroffen, meine Güte! Johannes Eggestein, Eric Smith und Nikola Vasilj werden Zeugen eines ziemlich tollen Treffers. Dieses Tor zum 1:0 reichte dem FC Bayern München, weil der FC St. Pauli offensiv nicht zwingend wurde. // (c) Stefan Groenveld
Was man in der 29. Minute noch nicht ahnen konnte: Dieser Torschuss von Mets sollte die letzte wirklich gefährliche Aktion des FC St. Pauli gewesen sein. Zwar zählt die Statistik noch einen weiteren Torschuss des FCSP – doch der Versuch von Morgan Guilavogui in der 79. Minute vom linken Strafraumeck landete… am rechten Strafraumeck.
Für die geringe Torgefahr des FC St. Pauli gab es zwei Gründe. Zum einen agierte der FC Bayern München bereits zum Ende der ersten, spätestens aber zum Anpfiff der zweiten Halbzeit extrem dominant und ballsicher. Zwar fehlte es dem Team von Kompany weiterhin an zwingenden Torgelegenheiten, aber mit einer 1:0-Führung im Rücken erweckte das schon einen sehr souveränen Eindruck (und erinnerte – wenngleich individuell auf höherem Level – sehr an den Hürzeler-Fußball des FC St. Pauli der Vorsaison). Die Ballsicherheit der Bayern war dabei genau das, was dem FCSP bei seinen Ballaktionen fehlte. Hier sprang die Annahme ein paar Zentimeter zu weit weg, dort fehlte die Passgenauigkeit und wieder woanders waren die Gegenspieler einfach handlungsschneller und teilweise auch einfach athletischer.
Mit zunehmender Spieldauer wurde aber auch deutlich, welchen Preis der FC St. Pauli dafür zahlen musste, gegen den FC Bayern München defensiv so gut zu arbeiten. Denn es fehlte an Power, um offensiv gefährlich zu werden, was unter anderem daran zu erkennen war, dass im zweiten Abschnitt oft nicht mal mehr versucht wurde, die Tiefe hinter den Bayern-Innenverteidigern zu attackieren. Blessin: „Wenn du die ganze Zeit verteidigst und Räume zuläufst (…) dann fehlen dir irgendwann die Körner.“ Das dürfte auch daran gelegen haben, dass man auf Seiten des FC St. Pauli von der Bank eben nicht noch offensiv so nachrüsten konnte, wie der FC Bayern, der in der zweiten Halbzeit noch Gnabry, Müller und Olise einwechselte.
Vielmehr liegt es aber daran, dass der FC Bayern München, besonders das Innenverteidiger-Duo mit seinem Tempo, sehr gut verteidigte. Und das ist nicht nur gegen den FCSP so. Der Blick in die Zahlen zeigt nämlich, dass der FC St. Pauli mit seinen nur drei Torschüssen nicht besonders negativ hervorsticht: In den letzten sieben(!) Ligaspielen haben die Bayern nur jeweils fünf oder weniger Torschüsse zugelassen. Werder Bremen hatte sogar keinen einzigen, Benfica Lissabon unter der Woche in der Champions League auch nicht. Der FC Bayern München ist nicht nur offensiv, sondern vor allem defensiv aktuell das Maß der Dinge in der Bundesliga.
In einer Situation während der zweiten Halbzeit hätte das Spiel aber noch einmal eine ganz andere Dynamik bekommen können. In der 66. Minute fing Morgan Guilavogui einen Kimmich-Querpass ab und war drauf und dran, eine sehr gute Kontersituation für den FC St. Pauli zu starten. Min-jae Kim aber grätschte ziemlich risikoreich und kompromisslos in Guilavogui hinein. Ein Foul, welches vor allem aufgrund seiner Dynamik eine eher dunkelgelbe Farbe hat. Blessin sprach im Anschluss auf der PK davon, dass Kim in der Situation eine Verletzung „billigend in Kauf“ genommen habe und das „entsprechend auch so bestraft“ werden müsse. Zudem erklärte er, dass er sich die Zeitlupe lieber nicht anschauen wolle, weil es dann „wahrscheinlich noch schlimmer“ aussehe.
Der Blick auf die Zeitlupe zeigt aber, dass das Gegenteil der Fall ist: Zwar rauscht Kim schon kräftig in Guilavogui rein und aufgrund der Dynamik ist das schon dunkelgelb eingefärbt. Aber sein Fuß ist nicht durchgestreckt, das Trefferbild nicht so, wie es in Realgeschwindigkeit aussah. Auch wenn man das aus Sicht des FC St. Pauli gerne anders gehabt hätte, aber einen Platzverweis hat diese Aktion wohl eher nicht verdient gehabt.
Die Aktion von Kim ließ aber auf jeden Fall die Emotionen ziemlich hochkochen. Saliakas sowie Blessin oder Nemeth (das war auch auf der PK noch unklar), sahen jeweils die gelbe Karte aufgrund zu deutlicher Beschwerden nach Empfinden des Schiedsrichter-Gespanns. Für das Spiel des FC St. Pauli war diese Aktion so etwas wie der Startschuss in eine wildere Phase. Das Team versuchte nun, die Bayern-Spieler wesentlich früher zu stören, es wurde insgesamt auch deutlich intensiver in den Zweikämpfen. Blessin erklärte: „Wir wollten die letzten Minuten etwas mehr öffnen, um alles nochmal zu probieren.“ Das Spiel wurde zudem durch höheres Anlaufen des FCSP etwas wilder. Offener wurde es allerdings nicht bzw. wenn, dann eher einseitig (Blessin: „Für dieses wilde Spiel haben uns die Körner gefehlt.“). Der FC Bayern München kam in den letzten Minuten der Partie zu seinen besten Chancen, sieben seiner zwölf Torschüsse erarbeitete man sich ab Minute 75.
Bei einer der Verteidigungsaktionen während der letzten Bayern-Chancen verletzte sich dann auch noch Eric Smith. Er hatte Schmerzen am Oberschenkel und musste kurz vor Schluss auch noch ausgewechselt werden. Da gibt es wohl schon die Befürchtung, dass Smith sich ernsthafter verletzt hat. Eine genaue Diagnose wird es zu Beginn der kommenden Woche geben, erklärte der Verein noch am Samstagabend. Einen möglichen längeren Ausfall von Smith bezeichnete Blessin nach Abpfiff als „worst case“. Die Daumen sind gedrückt.
Eric Smith zeigte gegen den FC Bayern München, dass er nicht nur einen feinen Fuß besitzt, sondern auch eine gröoße Stütze für den FC St. Pauli in der Innenverteidigung ist. Nun droht er aber verletzt auszufallen. // (c) Stefan Groenveld
Der FC St. Pauli verliert also das Spiel gegen den FC Bayern München. Angesichts der Prognosen vor der Partie ist eine 0:1-Niederlage sicher eher positiver, als viele erwartet hätten. Null Punkte bedeutet diese Niederlage aber leider trotzdem, aller guten Leistung des FCSP zum Trotz. Da Bochum (0:5) und Kiel (1:6) ihre Spiele gegen die Bayern aber jeweils mit fünf Treffern Differenz verloren haben, hätte es in Sachen Torverhältnis im Vergleich zur direkten Konkurrenz aber wesentlich schlechter laufen können. Und sowieso: Dass sogar der FC Bayern München lange Zeit Probleme hatte, die kompakten Defensivreihen des FC St. Pauli zu knacken, dürfte das Vertrauen in die eigene Spielweise extrem stärken.
So wartet man also weiterhin am Millerntor auf einen Treffer des FC St. Pauli in dieser Saison. Wäre auch zu schön gewesen, wenn dieser noch den späten Ausgleich gegen den FC Bayern München bedeutet hätte. Doch trotz der Torlosigkeit kann der FCSP auf diese Partie stolz sein und dürfte neben einiger Erfahrung auch Selbstvertrauen daraus ziehen. Andere Clubs müssen nach Spielen gegen die Bayern Grillfeste veranstalten, um die Wogen zu glätten. Beim FC St. Pauli hingegen überwiegt nach Abpfiff zwar die Erkenntnis, dass man gegen diesen FC Bayern München nur schwer hätte gewinnen können. Aber eben auch die Gewissheit, dass dieser FCSP mit seiner Spielweise auch dem besten Team des Landes knifflige Aufgaben stellt.
Immer weiter vor!// Tim
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