FC Bayern vor der Champions League: Der Flick-Faktor | OneFootball

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·7. August 2020

FC Bayern vor der Champions League: Der Flick-Faktor

Artikelbild:FC Bayern vor der Champions League: Der Flick-Faktor

Spotlight | Am Samstag setzt der FC Bayern zuhause gegen Chelsea seine Champions League-Saison fort. Die Chance auf den Titelgewinn ist dabei für die Münchener so groß, wie lang nicht mehr. Ein entscheidender Faktor dafür: Trainer Hansi Flick.

  • Deutschland mit Flick: Viermal in Folge mindestens im Halbfinale
  • Champions League: Bayerns Konkurrenz schwächelt
  • FC Bayern 2020: Variabilität – und ein herausragender Lewandowski

Deutschlands Superserie mit Flick

Die Idee, Hansi Flick (55) zum Cheftrainer des FC Bayern zu befördern, bedurfte eines gewissen Mutes. Zwar war er schon vorher in der Branche als exzellenter Taktiker bekannt, doch Erfahrung als Cheftrainer hatte er im Profifußball kaum vorzuweisen. Von 2000 bis 2005 trainierte er einen Amateurklub namens TSG 1899 Hoffenheim – und damit so lange wie niemand anders im 21. Jahrhundert.


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Ein Spiel gab es jedoch, vor jenem 4:0-Einstand gegen Borussia Dortmund, in dem Flick eine Profimannschaft coachte: Das Viertelfinale der EM 2008 gegen Portugal. Die Geschichte beginnt allerdings drei Tage zuvor, gegen Gastgeber Österreich. Zwar gewann Deutschland durch ein äußerst sehenswertes Tor von Michael Ballack 1:0. Allerdings gerieten Josef Hickersberger und Bundestrainer Joachim Löw kurz vor der Pause wiederholt mit dem Vierten Offiziellen Damir Skomina aneinander. Schiedsrichter Manuel Mejuto González wies beiden im Anschluss einen Logenplatz zu.

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So wurde Hansi Flick bei seinem ersten Turnier als Co-Trainer im Alter von 43 Jahren zum ersten Mal selbst verantwortlich – mit Erfolg. Deutschland gewann das Viertelfinale 3:2 und musste sich erst im Finale den Spaniern geschlagen geben.

Dieser Lauf sollte hier jedoch nicht enden. Zwei Jahre später besiegte man bei der WM in Südafrika auf dem Weg zu Platz 3 England – mit etwas Glück – 4:1 und Argentinien 4:0, 2012 kam man erneut ins Halbfinale. Die Performance gegen Italien war viel weniger ein Fall für die Annalen, der Torjubel von Mario Balotelli schon eher.

2014 in Brasilien reichte es dann zum ganz großen Coup, Deutschland wurde der erste europäische Weltmeister in Südamerika und stellte ganz nebenbei noch den Rekord für die meisten erzielten Tore bei einer Weltmeisterschaft ein, Brasilien gelangen 2002 ebenfalls 18 Treffer. Wobei bei Deutschland der Anteil gegen portugiesischsprachige Teams nicht zu vernachlässigen ist.

Pause als willkommene Auszeit

Nach dem Weltmeistertitel verließ Hansi Flick die Nationalmannschaft, Marcus Sorg (54) und Thomas Schneider (47) heißen die beiden Co-Trainer bis heute. Mit Flick verschwand allerdings auch eine gewisse spielerische Sicherheit und Souveränität. Zwar erreichte Deutschland bei der EM in Frankreich 2016 erneut das Halbfinale, zwei Jahre später gab es in Russland jedoch den Urknall. Die Nationalmannschaft wurde vom Fluch der Weltmeister heimgesucht und musste als Gruppenletzter früh die Koffer packen.

Pünktlich im Zweijahresturnus steht diesen Sommer also wieder ein K.O.-Turnier an. Aufgrund der Coronakrise ist es allerdigs nicht die EM, sondern die Champions League – mit Hansi Flick als Cheftrainer des FC Bayern.

Nach dem 4:2-Pokalsieg über Bayer Leverkusen und dem damit einhergehenden Double gab Flick seiner Mannschaft zwei Wochen frei, bevor sie Stück für Stück die Vorbereitung auf die Königsklasse aufnahmen. Mit einem 1:0 gegen Olympique Marseille am vergangenen Freitag ist auch die Generalprobe geglückt.

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Von vielen Seiten besteht die Befürchtung, dass es dem Rekordmeister im entscheidenden Moment an Spielpraxis mangeln könnte. Auch aus der Mannschaft selbst war ähnliches zu vernehmen. Davon war im Test gegen Marseille nur wenig zu sehen. Im Gegenteil. Die zwei Wochen wirkten mehr wie eine willkommene Auszeit nach dem stressigen Schlussspurt in Bundesliga und Pokal. Die Münchener dominierten den französischen Vizemeister nach Belieben, erspielten sich neben dem Siegtreffer von Serge Gnabry (25) noch weitere gute bis sehr gute Torchancen.

Im Achtelfinalrückspiel gegen Chelsea gestaltet sich die Aufgabe mehr als nur machbar. 3:0 gewann der FC Bayern an der Stamford Bridge, dazu muss Frank Lampard (42) auf etliche Spieler verletzt oder gesperrt verzichten. Einen Freifahrtschein wollen sich Flick und sein Team deswegen jedoch nicht ausstellen lassen. Immer wieder ist zu hören, wie ernst sie den Gegner trotz der eigentlich komfortablen Ausgangslage nehmen. Hansi Flick hält die Motivation in der Mannschaft hoch. Zudem besitzt er auch menschlich eine sehr hohe Kompetenz.

Europäische Konkurrenz schwächelt

Wo unter seinen Vorgängern Carlo Ancelotti (61) und Niko Kovac (48) das Potential bestand, dass der ominöse FC Hollywood wieder zutage tritt, sind unter Flick auch Führungsspieler bereit, persönliche Befindlichkeiten zugunsten des Erfolgs hinten anzustellen. David Alaba (28) und Thiago (29) merkt man die Diskussionen um ihre ungeklärte Zukunft kaum an. Joshua Kimmich (25), der bevorzugt im Mittelfeld spielt, rückt freiwillig auf die Position des verletzten Rechtsverteidigers Benjamin Pavard (24).

Dazu kommt, dass der FC Bayern – wie auch die deutsche Nationalmannschaft – Zeit hat, sich während des Turniers zu steigern. Im Viertelfinale träfen die Münchener entweder auf den FC Barcelona oder Napoli. Beide Mannschaften haben eine eher enttäuschende Saison hinter sich. Barcelona ließ sich nach der Coronapause – trotz fünf Punkten Vorsprung – von Real Madrid noch den Schneid abkaufen. Napoli gewann zwar die Coppa Italia, wurde in der abgelaufenen Serie A-Saison jedoch lediglich Siebter.

So könnte es einmal mehr auf das Halbfinale hinauslaufen. Die möglichen Gegner: Juventus, Lyon, Real Madrid oder Manchester City um Ex-Bayern-Coach Pep Guardiola (49). Der Vollständigkeit halber sei auch hier gesagt, dass die beiden erstgenannten diese Saison nicht zwingend die Sterne vom Himmel gespielt haben. In Turin müssen Cristiano Ronaldo (35) oder Paulo Dybala (26) das Klavier des Öfteren allein oder zu zweit tragen. Vom “Sarrismo”, der in Neapel noch die Serie A eroberte, sind – wenn überhaupt – nur Grundzüge zu erkennen. Olympique Lyon hat in den vergangenen fünf Monaten ein Pflichtspiel bestritten und diese Saison genauso oft schon den Trainer gewechselt.

FC Bayern: Variabler, als in den letzten Jahren

Große Teile der Konkurrenz spielen im Moment also unter den eigenen Möglichkeiten, auch Real Madrid und Manchester City lieferten nach der Coronapause nicht ausschließlich Galaauftritte. Und die Münchener haben sich im Vergleich zu den letzten Jahren nicht nur in puncto Mannschaftsgefüge gesteigert, sondern auch, was die Variabilität angeht. Der Mannschaft gelingt es, konstant aus allen Teilen Torgefahr zu erzeugen.

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Serge Gnabry hat mehrfach bewiesen, dass er gerade in großen Spielen zur Höchstform auflaufen kann – zuletzt im Pokalfinale. Auch Kingsley Coman (24) zeigte zuletzt aufsteigende Tendenzen. Thomas Müller (30) mag in seiner Karriere zwar schon torgefährlicher gewesen sein, dafür drückt er unter Flick dem Bayern-Spiel im Stile eines echten Zehners seinen Stempel auf – und scheint besonders in dieser Saison gerne Vorlagen zu geben. Dazu haben die Münchener in Thiago einen Mittelfeldmaestro, der genau weiß, wie er das Spiel zu dirigieren hat. Kurz: Das Offensivspiel steht und fällt nicht mehr allein mit der Form von Robert Lewandowski (31). Trotzdem gelingt es dem Polen, aus diesem Gefüge noch einmal herauszuragen. 100 Tore erzielte der FC Bayern in der abgelaufenen Bundesligasaison, mit 34 Treffern steuerte Lewandowski ziemlich genau ein Drittel dazu bei.

Das alles, zusammen mit dem Implementieren von Jugendspielern in den Kader, trägt die Handschrift von Hansi Flick. Aus einem heillosen Chaos zu Beginn der Saison ist eine Mannschaft geworden, die technisch wie taktisch auf allerhöchstem Niveau performen kann. Damit ist der Champions League-Titel natürlich nicht garantiert. Aber mit der Erfahrung, die Hansi Flick als Co-Trainer bei der Nationalmannschaft sammeln konnte, ist die Chance so groß, wie lang nicht mehr.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Victor Catalina

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