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·14. August 2020
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·14. August 2020
Vorschau | Fünfmaliger Sieger gegen fünfmaligen Sieger, Triplesieger gegen Triplesieger, der Unaufhaltbare gegen die Unaufhaltbaren oder kurz: FC Barcelona gegen FC Bayern. Die Form spricht vor dem Champions-League-Viertelfinale allerdings für den deutschen FCB.
Anpfiff der Partie ist am Freitag, 21:00 Uhr, live auf Sky.
Vor dem Spiel haben wir uns mit Alex Truica (Barcawelt) über das Duell zwischen dem FC Barcelona und dem FC Bayern unterhalten.
Wohl kaum jemand hat den Spielstil des FC Barcelona so geprägt wie Johan Cruyff. Der Niederländer wollte nicht nur gewinnen, sondern dabei auch noch schönen Fußball spielen (lassen). Jeder Feldspieler sollte dabei in der Lage sein, jede Position auszufüllen. “Qualität ohne Ergebnisse ist sinnlos, Ergebnisse ohne Qualität sind langweilig”, so Cruyff einst.
Es gibt wohl kaum ein besseres Zitat, um die Saison eines Klubs zusammenzufassen, der vor der ersten titellosen Spielzeit seit sechs Jahren steht. Damals teilten sich die beiden Madrider Vereine das Rampenlicht. 2019/20 lieferte der FC Barcelona zumeist entweder das eine oder das andere – oder eben keines von beiden. Aber zu selten stimmten Qualität und Ergebnis. So reichten auch fünf Punkte Vorsprung auf Erzrivale Real Madrid vor der Coronapause nicht zum Meistertitel, in der Copa del Rey war frühzeitig Schluss.
Eines der Hauptprobleme: Barcelonas Spielstil ist sehr auf Lionel Messi (33) fokussiert: “Alles steht und fällt mit ihm und seiner Kreativität, im Dribbling wie im Passspiel. Hat er einen schwachen Tag, hat Barça einen schwachen Tag. Die Katalanen sind so leider komplett ausrechenbar, haben zudem ein sehr langsames Mittelfeld, wenn man von Frenkie de Jong (23) vielleicht mal absieht. Und der Kader und gerade das Rückgrat der Stammelf sind in die Jahre gekommen, darunter leidet alles: das Pressing, das Freilaufverhalten, das Umschaltspiel…”, so Alex Truica.
Zu den Problemen auf dem Platz gesellen sich auch solche abseits des Rasens. Wie der FC Bayern musste auch Barcelona diese Saison den Trainer wechseln. Nach einer 2:3-Niederlage gegen Atlético Madrid im Supercopa-Halbfinale Anfang Januar gab man Ernesto Valverde (56) den Laufpass. Nachfolger Quique Setién (61) ließ in La Liga bereits mit Las Palmas und Betis Sevilla spektakulären Offensivfußball spielen. Aufgrund oben genannter Probleme – seine Mannschaften pressen gerne sehr hoch – muss auch er sich den Gegebenheiten anpassen und das Drehmoment herunterfahren. Das alles hat zur Folge, dass der FC Barcelona ergebnistechnisch bieder wirkt. 1:0 gegen San Sebastian, 2:0 Leganés, 0:0 in Sevilla, 1:0 gegen Bilbao. Selbst gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten, Barcelonas Stadtrivalen Espanyol, gab es lediglich ein 1:0. Das meisterschaftsentscheidende Heimspiel gegen Osasuna verlor man in Überzahl 1:2.
Natürlich steckt in der Mannschaft noch immer viel individuelle Qualität. Die Stimmung rund um Barcelona könnte vor dem Viertelfinale gegen den FC Bayern aber besser sein. Truica: “Die Mannschaft ist sehr konzentriert und fokussiert – und weiß natürlich um die Schwere der Aufgabe. Die Stimmung unter den Fans würde ich als gedämpft einschätzen. Barças chaotische und letztlich schwache Saison, das Verpassen des Meistertitels, die Trainerentlassung, die größtenteils ernüchternden Auftritte unter Setién von einer Mannschaft, die nicht mehr auf der Höhe ihrer Schaffenskraft ist; dazu ein Gegner, der in bärenstarker Verfassung ist: All das trägt natürlich nicht unbedingt zur Euphorie bei.”
Wie Barcelona am Freitag auflaufen wird, ist noch offen. Von den Medien wurde bereits ein 4-4-2 in den Ring geworfen, mit einem Mittelfeld aus Sergi Roberto (28), Sergio Busquets (32), Arturo Vidal (33) und Frenkie de Jong. “Plan Anti-Bayern”, titelte die Sport. Ob Setién aber binnen so kurzer Zeit vom Barcelonas über Jahre implementierten 4-3-3 abweicht, ist zumindest mal fraglich. Personaltechnisch hat Setién relativ freie Wahl. Lediglich Samuel Umtiti (26) wird ausfallen, Ousmane Dembele (23) könnte kurz zum Einsatz kommen.
Sie machen einfach weiter. Coronapause? Egal. Saisonende und drei Wochen spielfrei? Kein Problem. Auch im Achtelfinalrückspiel ließ der FC Bayern seinen Worten Taten folgen und besiegte Chelsea souverän 4:1. Wie auch schon an der Stamford Bridge war Robert Lewandowski (31) an allen Toren direkt beteiligt. Der Pole steht im Moment bei 13 Saisontoren in der Champions League, genauso viele wie die gesamte Mannschaft des FC Barcelona. Einzig Lionel Messi und Cristiano Ronaldo (35) gelangen zuvor gleich viele oder mehr Treffer in einer Königsklassenspielzeit.
Die Münchener wirken außerordentlich hungrig und entschlossen, zudem hochkonzentriert. Genau die richtige Mischung für ein K.O.-Turnier. Mit Robert Lewandowski haben sie zudem Europas – im Moment – besten Gamechanger in ihren Reihen. Dass er an der Spitze der Torjägerliste steht – kann bei einem Stürmer mal passieren. Aber auch bei den Assists ist er mit deren fünf führend. Ergibt also insgesamt 18 Torbeteiligungen in sieben Spielen.
Das Double hat die Mannschaft von Hansi Flick (55) bereits sicher, die Lust auf das zweite Triple der Vereinsgeschichte – ein Wert, den vorher nur ihr Gegner erreichte – ist groß. Bei den Münchenern liegen die Karten auf dem Tisch. Dass Benjamin Pavard (24) ausfällt, ist bekannt. Dass Kingsley Coman (24) wieder mitwirken kann, seit heute auch. So stellt sich die Mannschaft praktisch von allein auf. Hansi Flick wird wohl auch gegen Barcelona auf sein bisher erfolgreiches 4-2-3-1 setzen. Trainer und Mannschaft sind sich der Schwere der Aufgabe bewusst. Leon Goretzka (25), Thomas Müller (30) und Hansi Flick betonten unisono, wieviel Respekt sie vor dem FC Barcelona haben.
Natürlich fiel auch häufig die Frage, wie man ihn denn aufhält, den eigentlich Unaufhaltbaren in Reihen der Katalanen? Thomas Müllers Antwort: im Team. “Auch wenn Messi individuell in einer sehr guten Verfassung ist, verteidigst du gegen ihn nie alleine. In den Partien gegen Messi hat es immer dann funktioniert, wenn das ganze Team da war. Wenn der erste den Ball nicht gewinnt, kommt der nächste. Gemeinsam müssen wir gegen die individuelle Qualität agieren”. Ach ja: Möglichst wenige Freistöße in Strafraumnähe zu verursachen, könnte sich auch als probates Mittel herausstellen.
Aber genauso unisono betonten sie, dass der FC Barcelona – wenngleich es viele der vergangen Spiele anders anmuten ließen – mehr als Lionel Messi ist. Mes que Messi, mes que un clúb. Hansi Flick: “Sie haben Weltklassespieler in ihren Reihen, nicht nur Messi: Pique, Suárez, ter Stegen, Griezmann. Sie sind gespickt mit Weltklassespielern und haben enorme Qualität. Da müssen wir dagegenhalten. Wir haben einen Plan und hoffen, dass der morgen auch funktioniert.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, wo Flick den Hebel ansetzen kann. Zum einen steht Barcelona gewohnt hoch. Auch die Außenverteidiger Jordi Alba (31) und Nelson Semedo (26) schalten sich gerne in die Offensive ein. Mit langen Bällen in die Spitze – bei den Münchenern könnten hier vor allem die Flügelspieler Kingsley Coman, Serge Gnabry (25) und Alphonso Davies (19) zum Faktor werden – ist Barcelona zu knacken. Ihre Absicherung heißt in den meisten Fällen Gerard Piqué (33). Aber auch am Europa- und Weltmeister nagt langsam der Zahn der Zeit.
Auch Standardsituationen könnten entscheidend sein. Von Trent Alexander-Arnolds (21) und Divock Origis (25) genialer Coproduktion im vergangenen Champions-League-Halbfinale mal abgesehen, sind wirklich kopfballstarke Spieler in Barcelonas Abwehr rar gesät. Robert Lewandowski erzielte den vierten Treffer gegen Chelsea wie? Genau. Zudem gehen die Katalanen im Strafraum gerne ungestüm zu Werke. Beim 2:2 gegen Atlético Madrid traf Saúl Ñíguez gleich zweimal vom Punkt, auch beim 3:1 gegen Napoli verursachte Ivan Rakitic (32) einen Strafstoß.
Der Sieger dieser Partie trifft am Mittwoch, 19. August im Estadio José Alvalade entweder auf Manchester City oder Olympique Lyon.
Mein Tipp ist, dass Barça Probleme haben wird mit Bayerns Giftigkeit und Gier, mit ihrer Entschlossenheit, mit ihrem Pressing, mit ihrer Wucht und Unberechenbarkeit im Angriff. Alles Weitere wird man dann sehen.
FC Barcelona: ter Stegen – Semedo, Piqué, Lenglet, Jordi Alba – Busquets, Rakitic, F. de Jong – Griezmann, Messi, Suárez
FC Bayern: Neuer – Kimmich, Boateng, Alaba, Davies – Thiago, Goretzka – Coman, Müller, Gnabry – Lewandowski
(Photo by LLUIS GENE/AFP via Getty Images)
Victor Catalina