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·12. Oktober 2020
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·12. Oktober 2020
In Kürze beginnt die neue Saison in der UEFA Europa League. In der Gruppe C treffen Bayer Leverkusen, Slavia Prag, Hapoel Beer Sheva und der OGC Nizza aufeinander. Wir stellen die Teams vor!
In der Saison 2019/20 im Endspurt den Champions-League-Platz eingebüßt und mit zwei Punkten Abstand auf Rang fünf geendet, will Bayer Leverkusen in der neuen Spielzeit für positivere Schlagzeilen sorgen. Hierfür gilt es auch die Europa League vollends anzunehmen – Trainer Peter Bosz (56) formulierte schon vor der Gruppenauslosung das Ziel, in diesem Wettbewerb überwintern zu wollen. Die zugelosten Gruppengegner lassen dieses Vorhaben freilich nicht unwahrscheinlicher erscheinen. Klar ist: Die Werkself, letzte Saison im Viertelfinale der Europa League ausgeschieden, geht als klarer Favorit in diese Gruppe.
Und das trotz des so durchwachsenen Transfersommers. Mit Kai Havertz (21, Chelsea) und Kevin Volland (28, Monaco) haben zwei Leistungsträger der vergangenen Jahre Abschied genommen und trotz der eingenommenen 95 Millionen Euro sollte B04 kaum aufrüsten. Gekommen sind lediglich Patrick Schick (24) und leihweise Santiago Arias (28), welcher sich in der Länderspielpause jedoch schwer verletzte und wohl ein halbes Jahr fehlen wird. Und so geht Leverkusen mit einem in der Spitze wie Breite schlechteren Kader in eine voraussichtlich strapaziöse Saison.
Es hakt also offensiv wie defensiv bei Leverkusen. Dementsprechend durchwachsen verlief auch der Saisonstart. Nach drei Spieltagen stehen nur drei Punkte zu Buche. Immerhin: Das Team von Trainer Bosz kassierte bislang nur zwei Gegentreffer – und das gegen durchaus offensivstarke Mannschaften (Wolfsburg, Leipzig, Stuttgart). Leverkusen schoss allerdings auch erst zwei Tore, so gar nicht typisch für die sonst so offensivgewaltige Mannschaft. Unverändert bleibt die taktische Variabilität: Leverkusen tritt, je nach Gegner, in verschiedensten System auf.
Der Umbruch in der Abteilung Attacke ist nach den Abgängen wie erwartet groß. Neu-Stürmer Schick muss sich erst an den Bosz-Fußball gewöhnen und andere Spieler aus dem Schatten Havertz‘ treten. Kerem Demirbay (27), muss in seiner zweiten Leverkusen-Saison endlich seine Klasse konstant auf den Rasen bringen. Auch Spieler wie Leon Bailey (23), Exequiel Palacios (22) oder Nadiem Amiri (23) müssen nun den nächsten Schritt gehen. Tun sie das, ist mit Leverkusen zu rechnen. Die Achse mit Torhüter Lukas Hradecky (30), Edmond Tapsoba (21), Charles Aranguiz (31) und den Bender-Zwillingen steht zumindest.
Leverkusen bleibt also trotz des Favoritenstatus eine Wundertüte. In dem Kader steckt viel Talent, auch die Mischung aus erfahrenen und jungen Spielern scheint zu stimmen. Dennoch wird das letztendliche Leistungsniveau abzuwarten sein, auch weil der recht dünne Kader keine allzu großen Rotationsspielchen zulässt. Dabei betonte Klubchef Fernando Carro (56) zuletzt noch einmal die Chancen der Europa League. Der FC Sevilla könne laut ihm als Beispiel genommen werden, wie ein Titel möglich ist, obwohl in der nationalen Liga Platz eins zementiert scheint. Carro halt also Großes vor – ob der Kader das hergibt, ist zweifelhaft.
Während Bayer Leverkusen als klarer Favorit auf Platz eins in der Gruppe C gilt, wird OGC Nizza von den Buchmachern wohl für den Tabellenrang direkt dahinter gehandelt. Zusammen mit dem OSC Lille vertritt der letztjährige Tabellensechste die französische Ligue 1 in der Europa League. Bei der Platzierung in der vergangenen Spielzeit half auch der Corona-bedingte Saisonabbruch, denn wirklich souverän trat Nizza 19/20 nicht auf.
Die Mannschaft von Patrick Vieira (44) beendete die vergangene Spielzeit mit 41 Punkten nach 28 Spieltagen, nur einen Punkt vor Olympique Lyon, Montpellier und der AS Monaco. Ein starker Schlussspurt (ohne zu wissen, dass es einer werden würde) mit nur einer Niederlage aus den letzten zwölf Ligaspielen sicherte Nizza noch das Europa-Ticket. Zuvor war „ Le Gym“ mit acht Niederlagen in 16 Ligaspielen deutlich weniger erfolgreich unterwegs. Die neue Spielzeit läuft mit zehn Punkten nach sechs Spielen zumindest solide.
Mit Hinblick auf den durchaus großen Kaderumbruch kann der Verein von der französischen Riviera aber recht zufrieden mit den Saisonauftakt sein. Zehn Spieler sind gekommen, 20 Profis haben Nizza verlassen. Der bekannteste Abgang ist Marlang Sarr (21), der sich dem FC Chelsea angeschlossen hat. Mit Robson Bambu (22) hat sich Nizza für acht Millionen Euro einen Ersatz geleistet. Hinzukommen Amine Gouiri (20) von Lyon, Jordan Lotomba (21) aus Bern, Hassane Kamara (26) von Stade Reims, Morgan Schneiderlin (30) vom FC Everton und Jeff Reine-Adelaide (22), der per Leihe aus Lyon kam.
Die Transfers von Schneiderlin und Kamara zeigen, dass Nizza seiner so blutjungen Mannschaft mehr Erfahrung beifügen will. Mit durchschnittlich 23,5 Jahren hat man den jüngsten Kader der Liga. Zur Achse gehören Torhüter Walter Benitez (27), der ewige Dante (36), Mittelfeldspieler Pierre Lees Melou (27) und Stoßstürmer Kasper Dolberg (23). Drum herum sammeln sich viele junge und/oder neue Spieler, die bei Nizza den nächsten Schritt gehen wollen.
Sowie in der Altersstruktur sucht Nizza auch taktisch-fußballerisch nach einer Balance. In seiner ersten Saison ließ Trainer Vieira einen recht defensiven und gut organisierten Fußball spielen, worunter der Angriff litt. In der vergangenen Spielzeit hingegen fiel der OGC, meist im 4-3-3 oder 3-4-3 aufgestellt, durch eine starke Offensive und hingegen löchrige Abwehr auf. In der laufenden Saison ist der ehemalige Weltklassespieler angehalten, einen brauchbaren Mix daraus zu formen. Auf dem Transfermarkt wurde in jeden Mannschaftsteil investiert. Wie bei Leverkusen gilt: Alles hängt davon ab, ob der Kader sein Potenzial entfaltet.
Slavia Prag gehört wie auch Hapoel zu den zwei Außenseitern der Gruppe, allerdings muss hier noch eine Abstufung gemacht werden, denn unterschätzen sollte man die Tschechen keinesfalls. Slavia ist in den vergangenen vier Saisons dreimal Meister und zweimal Pokalsieger geworden. Darüber hinaus hat Prag bereits in den vergangenen zwei Saisons bewiesen, dass es europäisch durchaus mithalten kann.
19/20 stand Prag mit dem BVB, FC Barcelona und Inter Mailand in einer Champions-League-Gruppe. Auch wenn der Underdog letztendlich wie erwartet als Gruppenletzter ausschied, begeisterten die Tschechen mit mutigem und ansehnlichem Fußball, der die internationalen Topklubs vor große Probleme stellte. Inter und Barca konnten ein Unentschieden abgeknüpft werden, alle anderen Gruppenspiele gingen nur knapp verloren. Ein Jahr zuvor scheiterte Prag erst im Viertelfinale der Europa League am FC Chelsea, mit insgesamt 3:5 verkaufte man sich aber teuer. Davor wurde der FC Sevilla (!) ausgeschaltet. Slavia Prag weiß also, wie man sich auch international behauptet und selbst gegen scheinbar übermächtige Gegner besteht.
Die starken Darbietungen auf großer Bühne forderten allerdings ihren Tribut und so verließen Slavia in den letzten zwei Jahren zahlreiche Leistungsträger. 2019 waren es Linksaußen Miroslav Stoch (29, Saloniki), Innenverteidiger Michael Ngadeu Ngadjui (28, KAA Gent), Offensivspieler Jaromir Zmhrhal (26, Brescia Calcio) und Mittelfeldmotor Alex Kral (21, Spartak Moskau). In diesem Sommer verlor man Tomas Soucek (25) endgültig an West Ham United, auch Rechtsverteidiger Vladimir Coufal (28) schloss sich den „Hammers“ an.
Der Aderlass in den vergangenen Jahren ist also immens. Die Mannschaft, die seit Januar 2018 von Denn Trpisovsky (44) trainiert wird, bricht aber dennoch nicht ein. Trpisovsky hat Slavia eine klare spielerische Identität verliehen, die trotz geringen Ausgaben und Spieler-unabhängig funktioniert. Ähnlich wie Liverpool lässt Prags Trainer ein äußerst pressingintensives System spielen, welches hohe Ballgewinne provozieren und äußerst schnelle Bälle in die Tiefe ermöglichen soll. Prags Fußball ist anspruchsvoll und funktioniert sowohl in der Rolle als nationaler Favorit gegen tiefstehende Gegner als auch international gegen individuell deutlich stärkere Gegner.
Auch in der laufenden Saison überzeugt Slavia einmal mehr: Fünf von sechs Ligaspielen wurden gewonnen, dabei 19 Tore geschossen und nur zwei kassiert. Aktuell ist die tschechische Fortuna Liga Corona-bedingt für zwei Wochen unterbrochen, wie es dann weiter geht, ist noch unklar. Unklar ist auch Slavias Position in Gruppe C: Unter normalen Umständen wird man wohl Dritter, aber was ist international bei Slavia schon normal?
Während Slavia Prag sich noch realistische Chancen auf ein Weiterkommen ausrechnen kann, sieht die Lage von Hapoel Beer Sheva deutlich aussichtsloser aus. Der israelische Vertreter ist der klare Underdog der Gruppe C. Einzig die bisherigen Ergebnisse dieser Europa-League-Saison machen Hoffnung. Hapoel setzte sich in der Qualifikation gegen insgesamt vier Gegner durch, zuletzt gegen Prags Ligakonkurrenten Viktoria Pilsen (1:0).
Der aus der israelischen Arbeiterbewegung entstandene Verein (Hapoel bedeutet Arbeiter), blickt auf recht erfolgreiche Vorjahre. In der vergangenen Saison konnte der israelische Pokal gewonnen werden. Von 2016 bis 2018 wurde Hapoel dreimal Meister, den Supercup gewann man in der Zeit zweimal. Danach musste sich der Klub aus der Stadt Be’er Sheva, die ihm Süden des Landes liegt, jedoch erst einmal neu finden. Zuletzt wurde Hapoel zweimal Tabellenvierter und ist damit in den Schatten des Doppelmeisters Maccabi Tel Aviv getreten. In der neuen Saison, die aktuell Corona-bedingt unterbrochen wurde, hat man nach zwei Spielen drei Punkte.
In seinen Kaderstrukturen erinnert Hapoel etwas an Shaktar Donezk aus der Ukraine. Für die Struktur und das Rustikale im Spiel wird meist auf einheimische Spieler gesetzt. So besteht die Achse aus dem sehr erfahrenen Torhüter Ohad Levita (34), Abwehrchef Loai Taha (30) und Mittelfeldspieler Marwan Kabha (29) – allesamt Israelis. Um das spielerische Element kümmern sich hingegen eher südländische und südamerikanische Kräfte. Argentinier Mariano Bareiro (25) gibt dem zentralen Mittelfeld Dynamik, Kolumbianer Jhonatan Agudelo (27) stürmt und Spielmacher ist der Portugiese Josue (30).
Die immense Bedeutung Josues für die Israelis ließ sich in den letzten zwei EL-Qualifikationsspielen erkennen. Gegen den Motherwell FC legte der offensive Mittelfeldspieler, einst beim FC Porto und Galatasaray aktiv, das erste Tor durch einen Freistoß auf, das 2:0 erzielte er per Elfmeter selbst. Der vierfache portugiesische Nationalspieler ist Ideengeber und Torschütze zugleich – in seinen 38 Partien für Hapoel war er an 18 Toren direkt beteiligt. Auch gegen Pilsen ermöglichte Josue das Weiterkommen per Strafstoß. Das 3:0 gegen Motherwell erzielte ein weiterer Schlüsselspieler: Linksaußen Elton Acolatse (25), der durch hohes Tempo und gute Dribblings besticht.
Hapoel wird es seinen individuellen überlegenden Gruppengegnern jedenfalls nicht einfach machen. Trainer Yossi Abukasis (50), seit Januar im Amt, stellt sich taktisch flexibel auf den jeweiligen Kontrahenten ein. Die Formationen können zwischen Vierer- und Fünferkette wechseln. Hapoel überlässt meist dem Gegner den Ball, agiert defensiv sehr solide und setzt dann durch Umschaltbewegungen seiner technisch beschlagenen wie flinken Offensivspieler Nadelstiche. Auch die Standardstärke der Israelis muss hervorgehoben werden. Dass ein Leverkusen gegen Hapoel 70% Ballbesitz hat, sich aber die Zähne an der Defensive ausbeißt und am Ende durch ein Eckball- oder Kontertor verliert, scheint nicht abwegig. Unterschätzen sollte man Hapoel also nicht.
Bayer Leverkusen geht als klarer Favorit in Gruppe C, allerdings könnte Nizza den Bundesligisten ärgern. Prag und Hapoel gelten zurecht als die Außenseiter, können jedoch gefährlich werden. Die Kräfteverhältnisse sind klar und dennoch bietet diese Gruppe Überraschungspotenzial.
(Foto: IMAGO)
Marc Schwitzky