Essens Drittliga-Sehnsucht: Nie waren die Vorzeichen so gut | OneFootball

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·11. Oktober 2021

Essens Drittliga-Sehnsucht: Nie waren die Vorzeichen so gut

Artikelbild:Essens Drittliga-Sehnsucht: Nie waren die Vorzeichen so gut

Rot-Weiss Essen in der 3. Liga, auf diesen Moment warten viele Fußballfans seit bald 14 Jahren. Obgleich man im Ruhrgebiet Abstürze gewohnt ist, riecht es in dieser Saison verdächtig nach der fetten Chance, die Sackgasse Regionalliga endlich zu verlassen. Ein Statusbericht von der Hafenstraße.

Das 11:0 macht den starken Start perfekt

Ausgelassen feierte der proppenvolle Gästeblock im Velberter Stadion am Samstagnachmittag ein historisches Ergebnis, herbeigeführten von einer furiosen Mannschaft: Rot-Weiss Essen hatte den KFC Uerdingen mit sage und schreibe 11:0 besiegt, es war der höchste Erfolg der bewegten, 114-jährigen Vereinsgeschichte. RWE war in eine für Punktspiele ganz und gar außergewöhnliche Sphäre vorgedrungen, die im deutschen Profifußball – zu dem die Essener nur zu gerne alsbald wieder gehören würden – seit vielen Jahrzehnten nicht erreicht worden ist. Nun lassen sich 90 Minuten gegen einen nach dem Investoren-Rückzug stark taumelnden Ex-Drittligisten aus Krefeld sicherlich überinterpretieren, der gesamte Saisonstart in der Regionalliga West aber nicht. Die Chance, ab 2022 endlich an der 3. Liga teilnehmen zu dürften, ist noch größer als in den Vorjahren.


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Zugegeben: Nach nur zehn absolvierten Spielen ist diese Aussage noch gewagt. Doch RWE grüßt nicht nur wie in manch vorheriger Saison früh von der Spitze. Der Punkteschnitt von 2,5 sagt einiges aus über die Stärke der Mannschaft, die zudem einen Großteil der Verfolgerschaft in der Hinrunde früh bespielt und in den direkten Duellen meist gesiegt hat. Alles begann mit dem 1:0-Erfolg über den Wuppertaler SV Ende August, da hatten die Rot-Weißen um ihren drittliga-erfahrenen Cheftrainer Christian Neidhart wenige Tage zuvor ein schmerzhaftes 1:4 gegen den kleinen SV Straelen einstecken müssen, eine Pleite wie ein reinigendes Gewitter zum richtigen Zeitpunkt. Denn die fast schon alljährliche Unruhe hatte in der Englischen Woche gar keine Zeit, sich einzustellen. Auf Wuppertal folgte noch ein 2:1 im nächsten "Spitzenspiel" über Fortuna Köln – der Fehlstart war klar und eindeutig abgewendet, die Tabelle sah gut aus.

Selbst aus eigener Schwäche wird noch Stärke geschaffen

Seitdem üben sich die Westdeutschen in Seriosität mit nur ganz kurzen Ausnahmen. Beispielhaft stand das 3:2 bei Preußen Münster, das vor der Saison als größter Konkurrent ausgemacht worden war. Zur Pause stand es 0:2, Essen hatte gruppentaktisch und individuell fast alles falsch gemacht und steuerte auf einen ungemütlichen Abend zu. Nach der Pause dann das Gegenteil: Rot-Weiss dominierte nach einer Umstellung und erarbeitete sich im Sechs-Punkte-Spiel einen Erfolg, der sich gar nach noch mehr anfühlte. Münster schwächelte schließlich in der Folge weiter, kämpft mit sich und Verletzungsproblemen. Vier Punkte liegen zwischen den westfälischen Rivalen, Essen hat zudem noch ein zusätzliches Spiel in der Hinterhand. Drei Zähler sind es auf Wuppertal, vier auf Rot-Weiß Oberhausen, die kürzlich ein 1:1 an der Hafenstraße erkämpften. Klubs dieser Art sind es, die auf Ausrutscher des Topfavoriten hoffen müssen, denn die Stärke des diesjährigen Aufsteigers Borussia Dortmund II bringen sie nicht mit. Doch wird RWE solche Fehler in diesem Jahr überhaupt anbieten?

Von einem Spieler abhängig ist Essen jedenfalls nicht mehr. Vor dem besagten 11:0 stand etwa Vorjahres-Torschützenkönig Simon Engelmann (29 Tore) bei nur zwei Treffern aus neun Spielen, hatte persönlich mit einer schwächeren Phase zu kämpfen. RWE siegte dennoch, auch weil etliche andere Akteure gefährlich sein können: Isaiah Young mit seinem Tempo über die linke Seite, Oguzhan Kefkir mit dem ganz feinen Fuß, Cédric Harenbrock als Allrounder mit guter Übersicht und Sandro Plechaty, rechter Schienenspieler mit ungeheurem Offensivdrang, sind hier zu nennen. Drittliga-Vizerekordtorschütze Zlatko Janjic, der im Vorjahr an 22 Toren des SC Verl in der 3. Liga beteiligt war, bleibt da in der Regel nur die Jokerrolle – ein in der Regionalliga wohl einmaliger Luxus. In der Defensive scheint Heimkehrer Felix Bastians, der nach ertragreichen Jahren in China seine Karriere heimatnah ausklingen lassen will, das fehlende Puzzlestück, sodass zuletzt selbst der Ausfall von Abwehrchef Daniel Heber kompensiert werden konnte.

Neidhart bringt den richtigen Mix mit

Oft war es in der Vergangenheit mangelnde Geduld im Umfeld vom sowie im Verein selbst, die das Kartenhaus umpustete und für ein frustrierendes Saisonende fernab der Tabellenspitze sorgte. Unter dem Trio Marcus Uhlig (Vorstandsvorsitzender), Jörn Nowak (Sportdirektor) und Trainer Neidhart steht das Fundament viel fester. Zwar ließ auch Nowak jüngst durchblicken, im Optimalfall schon 2025 die Rückkehr in die 2. Bundesliga zu erreichen – ganz ohne Ambitionen geht es an einem Standort, der lehrbuchhaft den "schlafenden Riesen" in der Fußballbranche verkörpert, eben nicht. Neidhart ist bis dato der optimale Mann für diese Mission: Der 53-Jährige, der einst den SV Meppen in die 3. Liga führte, entwickelt Spieler spielerisch wie menschlich weiter, ist bei Fans als authentischer und aufrichtiger Charakter geschätzt. Das besondere Vertrauen des Vereins, das für diesen Posten benötigt wird, hat er sich schon im Vorjahr erarbeitet. Wenn nicht er, wer dann sollte es schaffen?

Doch im Norden der Ruhrgebietsstadt ist man Abstürze zu gut gewohnt – keiner gibt sich der Illusion hin, dass in den nächsten 28 Spielen keine Schwächephase mehr auftritt. Daher werden auch die kommenden Wochen genau beobachtet: Der SC Wiedenbrück, der 1. FC Köln II, Fortuna Düsseldorf II, Alemannia Aachen und Borussia Mönchengladbach II sind die nächsten Gegner, der Großteil ist heimisch im Mittelfeld der Tabelle. Heißt: In allen fünf Begegnungen ist mit deutlich mehr Gegenwehr als von Uerdingen am Samstag zu rechnen. Die Fans, von denen zuletzt gegen Oberhausen bereits 12.500 – mehr durften nicht – ins Stadion strömten, werden nichtsdestotrotz mit Vorfreude wiederkommen. Im Optimalfall kann sich RWE schon in dieser Zeit von der Konkurrenz weiter absetzen. In einer Saison, in der schon der Auftakt so verdächtig glatt läuft, wird man ja noch träumen dürfen an der Hafenstraße.

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