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·14. Juni 2022

EM-Halbfinale 1972: Arbeitssieg in Belgien

Artikelbild:EM-Halbfinale 1972: Arbeitssieg in Belgien

Die Belgier hatten großes Pech bei der Europameisterschaft im eigenen Land. Trafen sie doch gleich im ersten Spiel auf die vermeintlich beste deutsche Mannschaft aller Zeiten. Da es nur ein Turnier mit vier Teilnehmern war, begann die EM schon mit dem Halbfinale - und da standen die "Roten Teufel" von der Papierform her auf verlorenem Posten gegen die von den Genies Franz Beckenbauer und Günter Netzer angetriebene DFB-Auswahl.

Die Zeitung La libre Belgique schrieb im Vorfeld pathetisch vom "größten Kampf, den Belgiens Auswahl je zu bestehen hatte". Den wollten offiziell 55.669 Zuschauer in Antwerpen miterleben - die meisten davon in der Hoffnung, den Favoriten stolpern zu sehen. Für die "Roten Teufel" war eine Siegprämie von umgerechnet 6000 Mark pro Kopf ausgelobt worden, für den EM-Sieg dann 7500 Mark. Kapitän Paul van Himst stellte an diesem Tag den Länderspielrekord von Vicky Mees (68 Einsätze) ein und nahm sich vor, "das Spiel meines Lebens" zu machen. Darunter ging es wohl nicht gegen diese Deutschen. Doch es reichte letztlich nicht für Belgien.


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Denn es war die Zeit, in der Gerd Müller, der die Bundesligasaison 1971/1972 mit dem Rekordwert von 40 Treffern abschloss, nur eine halbe Chance für ein Tor brauchte - jedenfalls wenn er Normalform hatte. Er hatte sie am 14. Juni 1972 auf der "unbespielbaren Steinwüste" des Stade Bosuil, in die sich Bundestrainer Helmut Schön versetzt fühlte. Der Rasen war knochentrocken und entgegen seiner Bitte auch noch mal am Spieltag gemäht worden, auf Anordnung von Kollege Raymond Goethals. Es war der einzige Dissens zwischen Gastgeber und Gästen, die sogar im selben Hotel logierten und schon bei der Busabfahrt aufeinandertrafen. Der Kicker registrierte "Händedrucke zwischen Spielern, Winken oder Kopfnicken".

Beckenbauer: "Belgien war die beste Mannschaft unserer Gegnern"

Das Spiel litt unter den Rahmenbedingungen, vereinzelt fanden sich Steine auf dem Platz, auch wurden von deutschen Reportern "Unebenheiten in den Strafräumen" festgestellt. Prompt lief der Ball auch nicht allzu flüssig beim Starensemble, das seit dem ersten deutschen Sieg in Wembley am 29. April (3:1) über Nacht zum Topfavoriten des Turniers avanciert war. Bis auf die Außenstürmer Jürgen Grabowski und Siggi Held nominierte Schön im Halbfinale die Siegerelf von Wembley, die allerdings nicht annähernd so glamourös aufspielte wie im legendären Viertelfinalhinspiel. Die größte Parallele war noch die Spielkleidung (Grün-Weiß).

Das lag auch an den Belgiern, die Titelverteidiger Italien eliminiert hatten und denen DFB-Kapitän Franz Beckenbauer hinterher bescheinigte: "Belgien war die beste Mannschaft von allen unseren Gegnern." So sprach man im deutschen Lager hinterher von einem Arbeitssieg - den wieder einmal Gerd Müller möglich gemacht hatte. Nach 24 Minuten köpfte "der Bomber der Nation" eine Netzer-Flanke zum 1:0 ein. In der Pause befahl Belgien-Trainer Raymond Goethals die "Alles oder nichts"-Taktik - und erntete das Nichts. Weil Sepp Maier, der mit seinem 40. Einsatz Hans Jakob und Hans Tilkowski als Rekordnationaltorhüter ablöste, souverän hielt (Kicker: "Klasseleistung!") und Kollege Müller nach Netzers Traumpass per Lupfer wieder zuschlug (72.). Der belgische Ehrentreffer von Odilon Polleunis (83.) änderte nichts an den Fakten: Deutschland stand vier Tage später im Finale, das es mit weit weniger Aufwand gegen die Sowjetunion gewann (3:0).

"Gerd Müller war ein fantastischer Torjäger"

Belgien gewann das Spiel um Platz 3 mit 2:1 gegen Ungarn und konnte sich damit trösten, dem neuen Europameister unterlegen gewesen zu sein. Kurz nach dem Abpfiff fanden die Roten Teufel aber keinen Trost: "Wir hätten sie doch schlagen können", klagte Paul van Himst. Torwart Christian Piot, der sich vor beiden Toren verschätzt hatte, fand gar: "Die Niederlage geht auf meine Kappe, auf das beste Spiel meiner Karriere gegen Italien folgte leider gegen die Deutschen mein schlechtestes."

Doch ebenso wie eine Niederlage lässt sich auch der Sieg personalisieren. Van Himst sagte noch 50 Jahre später dem Kicker: "Gerd Müller war ein fantastischer Torjäger. So einen musst du in einer Mannschaft haben." Die Deutschen hatten ihn in der Mannschaft, und auch wegen seines Torriechers war sie für ein paar rauschhafte Wochen die wohl beste der Welt - und Europas König.

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