
Vertikalpass
·30. Juli 2024
Ein VfB? Eine Utopie!

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·30. Juli 2024
Auf der einen Seite Euro-Zeichen in den Augen, um die VfB AG mit möglichst viel Geld zu versorgen, um die Wahrscheinlichkeit des sportlichen Erfolgs zu erhöhen. Auf der anderen Seite Mitgliederrechte, Mitsprache, 50+1, Werte, Leichtathletik, Faustball, alte Garde. Machen wir uns nichts vor: Es gibt mindestens zwei VfBs mit gegensätzlichen Interessen. Ein Problem seit der Ausgliederung 2017.
Claus ist raus: Es war keine Überraschung, dass Präsident Claus Vogt bei der Mitgliederversammlung abgewählt wurde. Zu viel hatte sich aufgestaut in den letzten Wochen, zu viel war schlecht gelaufen in den zurückliegenden Monaten und Jahren. Jetzt kam alles zusammen: Die Vorwürfe der Führungs- und Entscheidungsschwäche, fehlende und falsche Kommunikation und am Ende der Knall beim Schmieden des Weltmarkenbündnisses mit dem Bruch des Ausgliederungsversprechens – auch wenn die Umstände herausfordernd und schwierig waren.
Wobei Vogt nicht alleine war: Die Abgabe des Aufsichtsratssitzes wurde von den Vorständen initiiert und von allen Aufsichtsräten inklusive seiner Präsidiumskollegen gebilligt. Gleichwohl kam mit Vogt nie Ruhe in den Verein, die AG und die Gremien, er sah sich während seiner gesamten Amtszeit immer Vorbehalten und Kritik ausgesetzt. Die Liste seiner Gegner und Kritiker ist lang, von Porth bis Gaiser, von Mutschler bis Hitzlsperger, von Meschke bis Schäfer. Die Liste der Mitglieder, die ihn des Amts entheben wollten, wurde auch immer länger, ihr Vertrauen hatte Vogt längst verloren.
Dafür, dass der VfB jetzt in der Champions League spielt, kann Vogt nichts. Genau so wenig wie für die zwei Fastabstiege in den Jahren zuvor. Was er sich jedoch mit Recht auf die Fahnen schreiben lassen darf, ist die Gründung der Frauenfußballabteilung, VfB-Leichtathletinnen und Leichtathleten mit Medaillenchancen bei Olympia und ein stärkeres gesellschaftlicheres Engagement des VfB Stuttgart – u.a. durch die Stiftung.
Bei Vogts Präsidiumskollegen Rainer Adrion wurden die 75 Prozent zwar knapp verfehlt, aber er kündigte schon im Vorfeld an, bei mehr als 50 Prozent Ablehnung den Hut nehmen zu wollen. Es gibt also einen Neuanfang – wieder einmal. Dasselbe gilt für die Aufgaben des Vereinsbeirats, dessen Kompetenzen durch die Installierung eines Wahlausschusses deutlich beschnitten wurden. Das sagt einiges aus, wie viel Vertrauen die Mitglieder in dieses Gremium noch haben. Dabei haben wir doch immer gehört, wie gut alle Gremien beim VfB besetzt seien. Wie konstruktiv alle zusammen arbeiten. Wie sie alle im Sinne des VfB wirken würden.
Die neun Mitglieder des aus der Taufe gehobenen Wahlausschusses sollten schnell eine WhatsApp-Gruppe gründen und mit der Arbeit loslegen, denn bereits 2025 steht beim VfB ein Superwahljahr an. Verantwortlich für gute Kandidatinnen und Kandidaten ist jetzt einzig der Wahlausschuss. Da kann man nur viel Erfolg und ein glückliches Händchen wünschen.
Der Vereinsbeirat muss jetzt erst einmal darüber befinden, wer bis zur nächsten Mitgliederversammlung des Präsidentenamt interimistisch übernimmt. Im Moment gibt es nur ein Präsidiumsmitglied in Andreas Grupp, der sich hauchdünn gegen Berti Sugg durchsetzte. Das Präsidium des größten Sportvereins in Baden Württemberg ist damit nicht geschäftsfähig.
Nach dem Interregium von Erwin Staudt, Marc-Nicolai Schlecht oder Mr./Mrs. X benötigt der VfB ein Präsidium, das nicht zerstritten, sondern geschlossen auftritt, um die Interessen der Mitglieder gegenüber der AG zu vertreten. Alleingänge, die nur das Ziel hatten, die eigene Person und Position ins Rampenlicht zu stellen, sollten ebenso der Vergangenheit angehören wie unabgestimmte Stellungnahmen und offene Briefe. Es gilt, nach außen gemeinsam und mit einer Stimme auftreten, auch wenn man intern anderer Meinung ist. Wobei es durchaus förderlich ist, um unterschiedliche Positionen zu streiten.
“Wer auch immer Claus Vogt im kommenden Jahr im Präsidentenamt nachfolgt, hat eine riesige Aufgabe vor sich“, schreibt Rund um den Brustring. Den e.V. stark vertreten, ohne die Handlungsfähigkeit der AG zu schwächen. Sinnvolle Entwicklungen in der AG anzustoßen, dabei stets die Mitglieder im Auge haben. Unbequem sein und zugleich einen. Durchsetzungsstark sein und zugleich kompromissbereit. Über allem steht, stets offen zu kommunizieren. Von Transparenz will ich gar nicht sprechen. Die wurde uns immer versprochen, ohne dass es von Vogt und seinen Kollegen je eingehalten wurde.
Aber was unverändert bleibt und die größte Herausforderung darstellt: dass es mindestens zwei VfBs gibt, die es zu vereinen gilt.
Zum Weiterlesen: Zwei völlig verschiedene Einschätzungen zur Mitgliederversammlung vertreten Chris Prechtl und Martin vom Brustring-Talk.