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·16. Juni 2025
Diego Maradona: Der Mythos, der sich selbst auffraß

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Beim Spielen in den Slums von Buenos Aires war es passiert. Der Lederball, Diegos größter Schatz, kullerte in eine offene und tiefe Jauchegrube. Und Diego fiel beim Versuch, ihn rauszufischen, hinterher – und drohte zu versinken. In letzter Sekunde rettet ihm ber sein zufällig vorbeikommender Onkel das Leben. Was wie ein tragischer Unfall aussah, war für Diego Maradona viel mehr: der erste Beweis, unbesiegbar zu sein.
“Seit diesem Moment glaubte er, dass ihm nichts passieren kann,” sagt der britische Sportjournalist Danny Kelly. Dieser Gedanke wurde für Diego zum inneren Mantra: Ich bin unverwundbar. Ich bin auserwählt. Und vielleicht begann genau hier die gefährlichste Illusion seines Lebens, aus der die Figur Maradona entstand. Überlebensgroß. Gottgleich. Eine Projektionsfläche für Millionen. Und eine Last, die Diego irgendwann erdrückte.
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Um Diego Maradona zu verstehen, muss man ihn sich als zwei Personen vorstellen. Und die traten am 22. Juni 1986 beide auf dem Spielfeld in Erscheinung. In Mexiko. Im WM-Viertelfinale gegen England. Er schoss in diesem Spiel in nur vier Minuten zwei Tore – Zwei Jahrhunderttore. Eines mit der Hand, das andere ein unwiderstehlicher Sololauf. Für Maradona die ultimativen Beweise seiner Größe. Für die Welt: perfekte Symbole seiner Zerrissenheit, für die zwei Seelen in seiner Brust. Für Genie und Wahnsinn. Für den Spieler Diego und den Mythos Maradona.
“Diego” war der Junge aus dem Armenviertel Villa Fiorito, der barfuß mit Orangen jonglierte. Der schüchtern, sensibel, spielbesessen war. Egal, wo er hinging, er hatte seinen Lederball dabei, sogar im Bett. Und dort erträumte er sich seine Zukunft: Weltmeister wollte er mal werden, eine Fußballllegende.
“Maradona” war die Figur, die ihm das später ermöglichte. Die Figur, die entstand, als Diego zu groß wurde für sein altes Leben. Eine Erscheinung, die umjubelt, hofiert und gefeiert wurde, die aber irgendwann niemand mehr kontrollieren konnte. Nicht mal Diego selbst. Diego und Maradona – das war wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde – nur im Trikot und mit Goldkette.
1982 wechselte Diego nach Europa, zum FC Barcelona. Dort lebte er mit seinem Gefolge in einem sprichwörtlich goldenen Käfig und zerbrach langsam an sich selbst. Die Medien, die Verletzungen, der Druck – all das setzte Diego zu. Immer häufiger griff er zu Drogen und verhalf “Maradona” an die Oberfläche. Und der überschritt dann in jeder Hinsicht Grenzen. Das Finale der Copa del Rey 1984 endete in einer Massenschlägerei. Maradona trat, schlug um sich, rastete völlig. Ein erstes äußerst Zeichen seines inneren Kontrollverlustes.
1984 wechselte Maradona nach Neapel – für eine Weltrekordsumme. Er kam in eine Stadt, die ihn mit offenen Armen empfing, weil sie ihn in mehrfacher Hinsicht brauchte. Der Wechsel des besten Fußballers der Welt schenkte dem bettelarmen Italien Selbstachtung und brachte der bis dato erfolglosen SSC Napoli die langersehnten Titel. Zwei Meisterschaften, den Pokal, den UEFA Cup.
Für die Napoli-Fans war Maradona ein Heiliger, der Messias. Aber auch der Rest der Fußballwelt verehrte die neue Weltmarke. „Ich bin Diego. Aber die Welt will Maradona.” Dieses Zitat wird ihm zugeschrieben und erklärt alles. Diego war der Mensch. Maradona der Mythos. Und weil alle nur den Mythos wollten, verschwand der Mensch immer mehr. Im Kokainrausch, auf wilden Partys, hinter Camorra-Verbindungen und im Nebel der Zigarren, die er mit Diktatoren wie Fidel Castro oder Muammar al-Gaddafi rauchte.
Dopingsperren und zahlreiche andere Skandale bestimmten sein Leben nach 1990. Aber auch immer wieder medizinische Notfälle. Mehrfach entkam Maradona nur knapp dem Tod, Diego wollte leben, zeigte sich reumütig, versprach weinend Besserung, eine gesündere Lebensführung, weniger Skandale. Aber er wurde immer wieder rückfällig. Maradona war zu stark für Diego.
Denn die Welt wollte den Mythos. Und so starb Diego am 25. November 2020. Nicht nur körperlich schwer gezeichnet. “Er starb einsam, hilflos, ohne dass irgendjemand wirklich für ihn da war,” klagte später eine argentinische Ärztin an. Kein Onkel mehr, der ihn rettete. Dem Menschen Diego half niemand mehr. Denn alle wollten nur Maradona. Und den hat Diego der Welt gegeben. Bis der Mythos unsterblich, aber von ihm selbst nichts mehr von ihm übrig war.
Eine Podcastfolge der 100Fußballlegeden über Ruhm, Sucht, Selbstverlust – und eine der tragischsten Figuren der Fußballgeschichte. Hört rein in „Diego Maradona: Der Mythos, der sich selbst auffraß“. Überall, wo es Podcasts gibt.
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