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·21. November 2024

Die wilde Reise des VfB Stuttgart unter Hoeneß: Wo stehen die Schwaben wirklich?

Artikelbild:Die wilde Reise des VfB Stuttgart unter Hoeneß: Wo stehen die Schwaben wirklich?

Die Leichtigkeit ist verflogen am Neckar. Guirassy knipst nicht mehr, Anton führt nicht mehr, Ito ackert nicht mehr. Drei enorm wichtige Stützen brachen nach Abschluss der Sensationsrunde 2023/24 weg und wanderten zur Ligakonkurrenz ab. Der übrige Kader hinkt seiner Vorjahresform in Teilen hinterher, die Neuzugänge suchen mitunter noch Ihren Platz. Wo steht der VfB im November 2024?

Von Platz 18 auf Platz 2 – Hoeneß dreht den VfB auf links

August 2023: Tief durchgeatmet hat man im Ländle. Der VfB Stuttgart durfte sich nach einer mehr als enttäuschenden Saison mit 33 Punkten weiterhin Bundesligist nennen, nachdem man die Klasse in einer – zugegeben einseitigen – Relegation gegen den Hamburger SV halten konnte. Anfang April war der VfB nach einem 0:3 bei Union Berlin noch Tabellenletzter, Feuerwehrmann Bruno Labbadia wurde durch Sebastian Hoeneß ersetzt, der mit der Empfehlung eines durchschnittlichen bis soliden zweijährigen Engagements bei der TSG Hoffenheim nach Stuttgart kam. Und bereit dazu war, mit dem stolzen Traditionsklub aus Cannstatt notfalls in die zweite Liga zu gehen.


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Der Notfallplan musste aber nicht aus der Schublade geholt werden. Hoeneß schaffte mit wichtigen Siegen gegen die Konkurrenz aus Bochum und unerwarteten Punktgewinnen gegen den BVB oder die Bayern den Turnaround. Was sich in der Relegation, die der VfB nach 180 Minuten mit 6:1 gewann, schon andeutete, zu diesem Zeitpunkt aber noch niemand ahnen konnte: Hoeneß schuf aus dem Abstiegskandidaten in Rekordzeit eine Spitzenmannschaft.

Im Sommer 2023 sehnten sich die VfB-Anhänger nach Ruhe. Eine „ruhige Saison“ wolle man spielen, möglichst ohne Abstiegsnöte, den Klassenerhalt so früh wie möglich in der Tasche haben. Dann der Schock: Binnen zwei Wochen wanderten Wataru Endo, Konstantinos Mavropanos und Borna Sosa gen Ausland ab. Nicht wenige vermuteten jetzt eine weitere Saison, in der es um nicht anderes als gegen den Abstieg geht.

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Am letzten Spieltag der Saison 2023/24 sicherte sich der VfB mit einem 4:0 gegen Borussia Mönchengladbach die umjubelte Vizemeisterschaft. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Was folgte war die nach Punkten beste Saison der Vereinsgeschichte. 23 Siege in 34 Spielen, 78 erzielte Tore (in den beiden Spielzeiten zuvor waren es insgesamt 86) und eine erfrischende, dominante und in Teilen spektakuläre Spielidee, die deutschland- und inzwischen sogar europaweit Beachtung fand. Selbst mit der Aussicht auf Champions-League-Fußball am Neckar folgte der erneute Ausverkauf. Mit Serhou Guirassy, Waldemar Anton und Hiroki Ito verlor der VfB seinen Toptorschützen, Kapitän und Defensiv-Allrounder.

Der Kater nach dem Rausch?

Zehn Bundesliga-Spieltage später steht der VfB auf dem elften Rang. Acht Punkte weniger als in der Spielzeit davor, doch wiederum fünf Punkte mehr als in der vorvergangenen Saison. Für die abgewanderten Leistungsträger wurden Ermedin Demirovic, Jeff Chabot und Ameen Al-Dakhil geholt. Letzterer kam verletzungsbedingt bisher nur auf einen Kurzeinsatz. Dass Demirovic und Chabot die großen Fußstapfen ihrer Vorgänger nicht ohne Weiteres werden ausfüllen können, wurde sogar von den Vereinsverantwortlichen selbst so kommuniziert. Zur Erinnerung: Vor der vergangenen Saison waren Guirassy bereits ein Jahr, Ito zwei und Anton drei Jahre im Verein.

Um zu verstehen, wieso der VfB nicht an die Performance der vergangenen Saison anknüpfen kann, muss man einfach in Betracht ziehen, wie steil der Aufstieg der Hoeneß-Elf innerhalb von zwölf Monaten eigentlich war. Eine größere Steigerung (14 Tabellenplätze!) schaffte in der Bundesliga-Historie noch niemand innerhalb einer Saison. Die Punkte- und Siegeausbeute bedeutete Vereinsrekord, zudem schoss noch nie ein VfB-Spieler so viele Tore innerhalb einer Saison wie Serhou Guirassy und kein Duo je so viele Tore wie der Guineer und sein Sturmpartner Deniz Undav. Maxi Mittelstädt und Chris Führich wirbelten auf der linken Seite, Angelo Stiller und Atakan Karazor bildeten die perfekte Symbiose aus Stabilität und Kreativität. Spieler wie Jamie Leweling oder Enzo Millot zeigten ungeahnte Leistungsexplosionen. Schon zur Winterpause 23/24 prophezeiten zu genüge Experten und solche, die es gerne wären, den „Stuttgart Downfall“. Doch der trat nie ein. Die Schwaben wurden von einer Euphoriewelle getragen, alles schien zu klappen.

In der laufenden Saison hat der VfB Stuttgart mit im Durchschnitt 24,2 Jahren den jüngsten Kader aller Bundesligisten. Mit Ausnahme des derzeit verletzten Dan-Axel Zagadou, der bereits 15 CL-Spiele für den BVB absolvierte, sieht sich jeder einzelne Spieler das erste Mal mit einer Vierfachbelastung ausgesetzt. Drei Klubwettbewerbe, Nationalmannschaft, jeden dritten Tag ein Pflichtspiel, anstrengende Reisen. Dass die Leichtigkeit der Vorsaison nicht einfach so konserviert und wieder auf den Platz gebracht werden kann, ist nur folgerichtig.

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(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Der prinzipientreue Hoeneß änderte seinen Matchplan nicht. Der VfB lockt die gegnerischen Defensivketten mit dem ballsicheren Nübel aus der Deckung, und überspielt diese mit kurzen und meist vertikalen Pässen über den ballsicheren Zentralverbund aus Stiller und Karazor. Das funktioniert weiterhin, die viertbeste Passquote und die drittbeste Ballbesitzquote der Liga belegen das. Jedoch war in der laufenden Saison häufiger zu beobachten, dass im letzten Drittel und im Strafraum dann die nötige Durchschlagskraft fehlte. Vor allem die linke Seite mit Maxi Mittelstädt und Chris Führich wirbelt nicht mehr so tödlich und vor allem nicht mehr so effektiv. Während Mittelstädt in der laufenden Saison immerhin drei Torvorlagen beisteuern konnte, steht Führich bei null Toren und einer Vorlage. Interessant: Der VfB lag 23/24 noch auf Platz zwölf der Anzahl der geschlagenen Flanken aus dem Spiel, 24/25 auf Platz fünf. Flachpass-Kombinationen bis direkt vor das gegnerische Tor scheinen schwerer zu fallen, dann bleibt eben der Ausweg des hohen Balls ins Zentrum.

Die Torausbeute von Ermedin Demirovic kann sich mit fünf Treffern durchaus sehen lassen. Jedoch ist der Bosnier ein anderer Spielertyp als 28-Tore-Mann Guirassy. Dieser und Deniz Undav passten so gut zusammen, weil Undav prinzipiell einen engeren Bewegungsradius hat, sich zwischen den Ketten bewegt und diese mit cleveren Schnittstellenpässen aufreißt. Guirassy holte sich die Bälle auch gerne selbst im Mittelfeld ab, um dann mit seiner Wucht und Dynamik unmittelbar den Weg vors Tor zu suchen und den eigens initiierten Angriff abzuschließen. Perfekt zu beobachten war dieser Bewegungsablauf beim so wichtigen 1:0-Auswärtssieg in seiner jetzigen Heimat Dortmund am 28. Spieltag der vergangenen Saison, mit dem der VfB die Dortmunder im Kampf um die Champions-League-Plätze distanzieren konnte. Phasenweise wirkt es so, als suche Demirovic noch seine Rolle im Stuttgarter Offensivverbund. Zudem blieb er zuletzt mit einem verschossenen Elfmeter und zwei Alu-Treffern gegen Eintracht Frankfurt vermehrt glücklos, der VfB insgesamt scheiterte ligaweit in dieser Saison am dritthäufigsten am Gebälk und belegt auch bei den abgegebenen Torschüssen Platz 3. Die Offensiv-Power ist also nach wie vor da, was fehlt ist die Effizienz und Klarheit vor dem gegnerischen Tor.

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Glücklos: Verschossener Elfmeter, zwei Mal Latte – Ermedin Demirovic haderte gegen Eintracht Frankfurt mit der Chancenausbeute. (Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Knackpunkt Defensive: Das Vakuum von Anton und Ito

Der gravierendste Unterschied: Kassierte der VfB in der Vizemeister-Saison noch 1,1 Gegentore pro Spiel, sind es jetzt 1,9. In vier der zehn Ligaspielen kassierte man drei oder mehr Treffer. Es fehlt an der nötigen Kompaktheit und Konsequenz, den eigenen Kasten um jeden Preis verteidigen zu wollen. Besonders ärgerlich das 3:3-Remis gegen Mainz am zweiten Spieltag, als der VfB eine komfortable 2:0-Führung hergab, unter anderem weil Burkardt und Letsch sträflich frei vor Neu-Nationalkeeper Nübel einköpfen durften. Gegen die Eintracht fühlte sich bei einer Frankfurter Ecke in der Nachspielzeit der ersten Hälfte niemand für Ekitike zuständig, der mit einem wuchtigen Kopfball den kompletten Spielverlauf auf den Kopf stellte.

Es scheint, als fehle Waldemar Antons Präsenz. Diese strahlte sich nicht nur auf den Gegner, sondern eben auch auf seine Teamkollegen aus, die er gekonnt organisierte. Hiroki Ito war neben ihm ein zuverlässiger Anker, der sowohl in der Innenverteidigung als auch auf links konstant auf enorm hohem Niveau agierte. Jeff Chabot und Anthony Rouault haben das Rüstzeug, deren Rollen perspektivisch zu übernehmen. Aber eben noch nicht jetzt.

Einzig Enzo Millot und Jamie Leweling konnten ihre Form aus der Vorsaison halten, phasenweise sogar noch einmal toppen. Millot, inzwischen französischer U21-Kapitän, spielte nicht nur beim fulminanten 5:1 am vierten Spieltag den BVB schwindelig, sondern sich auch in den Fokus der europäischen Topklubs. Lewelings Höheflug gipfelte in seiner ersten DFB-Nominierung inklusive Debüttreffer gegen die Niederlande, wurde jetzt aber von einer Muskelverletzung Anfang November jäh gestoppt. Auch das ist ein Zeichen der gewachsenen Belastung und des damit verbundenen Drucks, alle drei Tage performen zu müssen.

Jeder kritische Beobachter der Schwaben ist gut beraten, bei seiner Beurteilung der aktuellen Lage nicht in den Mai 2024 zu blicken, sondern den April 2023 als Referenzpunkt heranzuziehen. Klar, der VfB Stuttgart hat inzwischen den fünftwertvollsten Kader der Bundesliga. Wertvoller sind nur noch die Vereine, bei denen die Teilnahme an der Königsklasse jedes Jahr als Minimalziel ausgegeben wird. Die Fabelsaison mit 73 Punkten und der Vizemeisterschaft war aber eine absolute Ausnahme, in der fast jeder Spieler im Kader überperformte und Sebastian Hoeneß binnen kürzester Zeit ein Mannschaftgefüge schuf, welches mehr war als die Summe ihrer individuellen Einzelteile.

Was dieses nach wie vor imstande ist zu leisten, ließ es beispielsweise in den Champions-League-Auswärtsspielen in Madrid und Turin aufblitzen, als der VfB Real und Juve phasenweise dominierte. Doch diesen Highlight-Spielen steht eben der Liga-Alltag gegenüber, wie am kommenden Samstag um 15:30 Uhr gegen Schlusslicht Bochum. Dort stand Sebastian Hoeneß am 27. Spieltag der Saison 22/23 übrigens das erste Mal für den VfB in der Bundesliga an der Seitenlinie. Und holte mit einem 3:2 Auswärtssieg enorm wichtige drei Punkte im Kampf um den Klassenerhalt. Diese Spiele sind es, die den Ausschlag darüber geben werden, ob sich der VfB mittelfristig in der oberen Tabellenhälfte der Bundesliga festsetzen kann. Oder ob bald wieder eine „ruhige Saison“ als Ziel ausgegeben werden muss.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

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