Die Nikoläuse vom Neckar | OneFootball

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Rund um den Brustring

·5. Dezember 2021

Die Nikoläuse vom Neckar

Artikelbild:Die Nikoläuse vom Neckar

Der VfB verschenkt gegen die Hertha eine Zwei-Tore-Führung, weil er gegen den Korkut-Fußball kein effektives Mittel findet und sich dann noch einen reinwurschteln lässt. Frustrierend.

Als Tayfun Korkut bereits am fünften Dezember seinen Stiefel rausstellte, vergaß er, dass er eigentlichen einen Tag zu früh damit dran war. Würde der Nikolaus ihn trotzdem mit Punkten für seine neu übernommene Mannschaft bedenken. Es sah lange schlecht aus, der blauweiße Stiefel blieb leer. Aber dann erbarmten sich die Nikoläuse vom Neckar und steckten dem wackeren Trainer doch noch einen Zähler rein. Korkut war darüber so erfreut, dass er übermütig wurde und meinte, da müsste doch noch viel mehr im Stiefel stecken. Aber nein, lieber Tayfun. Wer seine Mannschaft bei Rückstand 70 Minuten lang auf Konter spielen lässt, kann mit einem Punkt ruhig mal zufrieden sein. Ok, einen Schoko-Nikolaus gibt es von der weiß-roten Hintermannschaft noch dazu.


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Ich hasse ja Spielberichte, die versuchen, sich an aktuellen Feier- und Festtagen entlangzuhangeln. Egal ob Ostern oder Adventszeit, beides ergibt lauter sprachliche Bilder, die entweder so schief sind wie das oben oder so abgedroschen wie “Last Christmas”. Wie auch immer: Wer gegen eine Mannschaft, deren neue Spielidee es ist, tief zu stehen und vorne irgendwie einen Ball reinzumurmeln – kurz: eine Mannschaft von Tayfun Korkut – trotz früher Zwei-Tore-Führung noch Unentschieden spielt, hat zwei Punkte verschenkt. Man kann es nicht anders sagen. Nicht dass die eigentliche Spielanlage des VfB gerade so richtig zum Tragen kommen würde, aber wenn dir zwei Tore so in den Schoß fallen, wie Marmoushs Konter aus der eigenen Hälfte und Försters unbedrängter halbhoher, halbgenauer Schuss, dann nimmst Du den Dreier halt mit. Die Hertha mag über teilweise sehr passable Einzelspieler verfügen und wird sich deshalb und wegen der korkutschen Taktik nicht so abschlachten lassen wie Gladbach später des Abends. Auf gar keinen Fall darfst Du dir gegen diese Mannschaft noch drei Tore einfangen.

Punktverlust durch Passivität

Ja, drei. Denn dass das erste Tor der Berliner aberkannt wurde, war reines Glück für den VfB. Klar kann man das Abseits von Darida pfeifen. Ich kann mir aber nicht wirklich vorstellen, dass Müller an den Schuss von Belfodil auch sonst rangekommen wäre. Vorausgegangen war eine Fehlerkette, die bei Massimo und Mavropanos auf der Außenbahn begann und sich bei Ito am Strafraum fortsetze. Warum weder bei dieser Szene, noch beim dann gültigen Anschlusstreffer, einfach mal jemand den Fuß reinhielt, anstatt sich wegzudrehen, ist nur schwer begreiflich. Klar haben wir mit der Restverteidigung immer noch Probleme, irgendwer kriegt aber meist den Fuß an den Ball, wir spielen hier schließlich nicht in der Champions League. Noch viel fataler war diese Passivität aber beim späteren Ausgleich.  Belfodil konnte den Ball unbedrängt von Ito, der ihn aus den Augen verloren hatte, zu Jovetic ablenken und der durfte sich vor dem auf der Linie verharrenden Müller quasi aussuchen, wie er ihn zum Ausgleich über die Linie wurschtelte.

Angesichts soll teilweise fahrlässigen Defensivverhaltens fallen die offensiven Mängel in diesem Spiel fast ein wenig unter den Tisch. Klar, bei einer 2:0-Führung, egal wie sie zustande gekommen ist, bist Du froh, dass Du die Tore hast und hoffst erstmal, dass der Gegner nicht zurückkommt. Der VfB lief jedoch mit seinen zwei Wingbacks und dem erstmals aus Hamadi Al Ghaddioui und Omar Marmoush gebildeten Sturm immer wieder gegen eine Wand. Spätestens nach dem dritten Diagonalball von Mavropanos auf Sosa war die linke Angriffsseite zu und damit auch das bisschen Torgefahr von Al Ghaddioui erloschen. Massimo konnte zwar die linke Abwehrseite der Berliner ein paar Mal aufreißen, kam aber selten gefährlich durch, zu einem fitten Silas fehlt im leider noch etwas. Genauso wie dem tatsächlichen Silas, der sich ebensowenig durchsetzen konnte, auch weil die Herthaner bis zum Ausgleich einfach nicht aufmachen wollten.

Spiel ohne Mittelstürmer

Dass unsere Außen mal kaltgestellt werden, passiert mitunter. Letzte Saison kam keiner auf den Gedanken, gegen uns mit zwei Viererketten aufzulaufen und dann zu kontern. Leider klafft aber auch in der Mitte spielerisch ein ziemliches Loch. Das mag gegen höher stehende Mannschaften nicht so ins Gewicht fallen, aber wenn Du halt einen Spieler wie Philipp Förster hast, der – von seinem Tor abgesehen – eher für den Spielaufbau wichtig ist und davor einen Mittelstürmer, den Du nur über die Außen oder zu nah an der gegnerischen Grundlinie anspielst, dann wird auch eine hängende Spitze wie Marmoush immer unsichtbarer. Dass er bei seinem vermeintlich spielentscheidenden Treffer aus dem Nichts mit zwei Schnürsenkel-Millimetern im Abseits stand, ändert auch nichts an den strukturellen Problemen. Auch die Rochade mit dem nachvollziehbarweise noch überforderten Tibidi, der nach Silas Einwechslung von Massimos Position nach innen rückte, brachte keine Besserung. Der VfB hat ohne Kalajdzic nach wie vor ein Mittelstürmer-Problem und auch wenn ich nicht erwarte, dass Tayfun Korkut langfristig Erfolg in Berlin haben wird – dieses Spiel brachte seine Mannschaft dadurch immerhin wieder unter Kontrolle, wenn auch nicht mehr.

Ich bin ja immer noch dafür, dass man in der Hinrunde auf die Punkte schaut und nicht auf die Platzierung. Ob wir am zwölften, 14. oder 16. Spieltag zwischendurch mal auf einem Abstiegsplatz stehen, beunruhigt mich nicht. Die Abstände sind so gering, dass Du sonst jede Woche zwischen Himmel und Hölle pendeln würdest. 14 Punkte hat der VfB jetzt nach 14 Spielen. Hochgerechnet wären das 34 Punkte und würde wahrscheinlich knapp zum Klassenerhalt reichen. 40 Punkte hingegen braucht man seit Jahren nicht mehr für den Klassenerhalt, insofern ist man, wenn man dieses Ziel anpeilt, mehr als safe. Bliebe der VfB bei diesen 14 Punkten an Weihnachten stehen, wäre er im Hinblick auf die 40-Punkte-Marke sechs Punkte im Minus. Nichts unaufholbares, es bedeutet aber, dass in der Rückrunde irgendwo mal ne Serie rausspringen muss und sich so Spiele wie gegen Augsburg und Bielefeld nicht wiederholen dürfen.

Eine große Herausforderung

Sicher wird es gegen mutigere Mannschaft wie Wolfsburg, Bayern und Köln jetzt offensiv wieder ein wenig leichter. Gleichzeitig haben die aber auch torgefählichere Spieler in ihren Reihen, bzw. Modeste. Wenn ich mich für die Lösung eines der beiden gegen Berlin zutage getretenen Probleme entscheiden müsste, wäre es das passive Abwehrverhalten. Ich weiß nicht woran es liegt, dass wir regelmäßig eigentlich zahlreich genug hinter dem Ball sind, aber trotzdem mit dem Kopf nicht da. Aber das abzustellen wird die große Herausforderung der nächsten Wochen.

Titelbild: © Alexander Hassenstein/Getty Images

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