Deutschland setzt auf die Jugend, Schweden erfahren: Ein Blick auf Alter & Erfahrung bei den Halbfinalistinnen | OneFootball

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·3. August 2022

Deutschland setzt auf die Jugend, Schweden erfahren: Ein Blick auf Alter & Erfahrung bei den Halbfinalistinnen

Artikelbild:Deutschland setzt auf die Jugend, Schweden erfahren: Ein Blick auf Alter & Erfahrung bei den Halbfinalistinnen

Im Halbfinale der EM standen mit Schweden und Deutschland zwei Teams, die sich von der Erfahrung her sehr unterscheiden: Bei Deutschland trug der Verjüngungsprozess bei dem Turnier Früchte, bei Schweden steht der Umbruch noch bevor. England und Frankreich befinden sich zwischen den beiden Polen - ein Blick auf die Altersstruktur der vier Halbfinalisten.

Lena Oberdorf eroberte im Verbund mit zwei Mitspielerinnen den Ball, ging ein paar Schritte an der verdutzten dänischen Gegenspielerin vorbei und setzte dann zum Diagonalball an, um direkt den deutschen Angriff einzuleiten. Der Pass kam nicht an, aber Szenen wie diese zeigten bei dieser EM immer wieder den Stellenwert der erst 20-Jährigen, die konsequenterweise zur besten jungen Spielerin des Turniers gekürt wurde.


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Deutschlands Jungspielerinnen sorgen für Aufmerksamkeit

Dabei ist sie längst nicht die einzige junge Spielerin, die für Wirbel gesorgt hat. Jule Brand, Klara Bühl, Sydney Lohmann, Nicole Anyomi, Lena Lattwein, Giulia Gwinn und Sophia Kleinherne: Sie alle sind 23 Jahre oder jünger. Brand konnte im Halbfinale gegen Frankreich ordentlich Dampf machen, als Vertretung von Bühl, die bereits Stammspielerin ist. Genauso wie Vereinskollegin Gwinn, die sich bereits bei der WM 2019 im Team etabliert hatte. Lohmann, Anyomi und Lattwein hatten allesamt offensiv gute Szenen, Kleinherne erwies sich gegen Finnland als sehr gute Alternative für die Linksverteidigung.

Wie hier zu sehen ist, hat Deutschland einen relativ jungen Kader, außerdem haben wenige Spielerinnen über 75 Einsätze. Aber die meisten jüngeren Spielerinnen haben immerhin schon um die 20 Einsätze gesammelt.

Beim WM-Aus in Rennes gegen Schweden stand Gwinn bereits in der Startelf, auch Bühl und Oberdorf waren nach Frankreich mitgefahren. Die anderen fünf wurden von Martina Voss-Tecklenburg in den drei Jahren darauf in das Team integriert und bekamen auch in Spielen mit viel medialer Begleitung Einsatzzeiten. Kleinherne etwa bestritt ihr erstes Spiel im A-Nationalteam vor 77000 Zuschauern im Wembley-Stadion, einige andere konnten beim Arnold-Clark-Cup viele Minuten sammeln.

Viel Qualität im Mittelfeld - Horst Hrubeschs Erbe

Dazu kommt, dass es noch weitere Talente gibt, die dieses Mal den Sprung noch nicht geschafft haben. Sjoeke Nüsken etwa, die in Zukunft ein wichtiger Baustein für das Nationalteam sein könnte. Die Mittelfeldoptionen Oberdorf, Lohmann, Lattwein und Nüsken sind auch schon jetzt für andere Nationen beneidenswert. Frankreichs Trainerin Corinne Diacre beispielsweise, deren Team in diesem Bereich längst nicht so stark besetzt ist, hätte sicherlich auch gerne eine "Léna Haut-Village" dabei gehabt.

Lohmann und Lattwein haben im Alter von 18 Jahren ihr Debüt gefeiert, und zwar noch nicht unter Martina Voss-Tecklenburg: Horst Hrubesch berief die beiden Talente damals für ein Spiel gegen Italien in den Kader. Auch Maximiliane Rall, die knapp einen Platz im Kader verpasste, kam damals zu ihrem ersten Einsatz, Merle Frohms zu ihrem zweiten. Umso beachtlicher, als dass Hrubesch nur acht Spiele betreute. Seine Zeit als Interimstrainer war für den Verjüngungsprozess also wichtig und legte den Grundstein für einige Spielerinnen.

Schweden mit anderem Ansatz, Teil-Umbruch steht bevor

Schweden dagegen verfolgt schon länger einen anderen Ansatz: Peter Gerhardsson setzt stark auf Erfahrung, seine Startelf gegen England hatte ein Durchschnittsalter von 30 Jahren, ganze vier Jahre mehr als Deutschlands im Finale. Auch ein Blick auf die Bank zeigt Ähnliches: Von den Eingewechselten war nur die 19-jährige Hanna Bennison unter 24, bei Deutschland waren es drei Spielerinnen. Wie das Diagramm zeigt, sieht die Verteilung sehr anders aus als beim deutschen Kader.

Bezeichnend dafür ist etwa, dass Johanna Rytting-Kaneryd, die wohl vor einem Wechsel nach England steht, oft als junge Hoffnung des Teams bezeichnet wird. Dabei ist sie mit ihren 25 Jahren nicht sehr viel jünger als Lina Magull oder Sara Däbritz, die bei Deutschland eindeutig in die Kategorie "erfahrene Kräfte" gehören. Gerhardssons Ansatz hat in den letzten Jahren gut funktioniert, die Erfolge geben ihm Recht. Jetzt könnte Schweden aber vor einem Teil-Umbruch stehen, die Achse von Torhüterin Lindahl, Innenverteidigerin Sembrant und Mittelfeldspielerin Seger, alle über 35, muss ersetzt werden.

England mit vielversprechenden Talenten - Wiegman wagemutiger?

Bei England hat über die letzten Jahre dieser graduelle Prozess schon eingesetzt, so wurde etwa Lauren Hemp mit ihren 21 Jahren zur Stammspielerin, Leah Williamson löste Steph Houghton als Abwehrchefin ab. Die Einwechselungen von Wiegman weisen klar in die Zukunft: Russo statt White, Toone statt Kirby, Kelly irgendwann statt Mead - alle drei sind unter 24. Angesichts von Russos vier Toren und den starken Leistungen von Toone und Kelly im Finale keine beunruhigenden Aussichten für die Fans der "Lionesses".

Weitere Spielerinnen, wie etwa das Abwehrtalent Maya Le Tissier, diesen Sommer zu Manchester United gewechselt, könnten bald nachrücken. Le Tissier ist auf Guernsey geboren, vielleicht hat sich Corinne Diacre ja schon nach eventuellen französischen Wurzeln erkundigt, bevor es zu spät ist. Trainerin Sarina Wiegman ist generell aber eher für einen konservativen Ansatz bei Nachwuchsspielerinnen bekannt, bei den Niederlanden bekamen viele Talente erst unter Nachfolger Mark Parsons eine Chance. Romée Leuchter und Esmee Brugts zahlten das Vertrauen bei der EM mit starken Leistungen zurück.

Frankreich im Sturm schon jetzt mit vielen jungen Optionen

Wie erwähnt, beneidet Corinne Diacre vielleicht Wiegman und Voss-Tecklenburg etwas für ihre Optionen in Abwehr und Mittelfeld. Im Sturm hat sie dagegen keinen Grund zum Klagen: Neben der erst 23-jährigen Marie-Antoinette Katoto, die Frankreich mit ihren Toren noch lange Freude bereiten wird, gibt es auch genug Spielerinnen, die diese auflegen können. Sandy Baltimore (22) von Paris Saint-Germain etwa, oder Lyons Selma Bacha (21). Während Katoto noch verletzt ist, steht die ein Jahr jüngere Melvine Malard als Ersatz bereit.

Im Mittelfeld hat Diacre die 23-Jährige Ella Palis von den Girondins Bordeaux mitgenommen, die aber im defensiven Mittelfeld nicht die erste Wahl ist. Ein weiteres Fragezeichen ist, wer langfristig die 32-jährige Wendie Renard ablösen könnte - aber Beispiele wie das von Caroline Seger zeigen, dass es auch mit 37 Jahren noch möglich ist, in der Nationalelf zu spielen. Erstmal keine Eile also für Diacre, die gerade erst ihren Vertrag bis zu den Olympischen Spielen 2024 verlängert hat. Viele französische Spielerinnen wären in zwei Jahren vermutlich im besten Alter, die Erwartungen werden hoch sein.

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