
Rund um den Brustring
·26. Mai 2025
Der Traum wurd’ wahr

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·26. Mai 2025
Der VfB gewinnt nach 28 Jahren wieder den DFB-Pokal. Fast vergessen ist der enttäuschende Frühling, denn als es drauf ankommt, liefert die Mannschaft ab. Und beschert ihren Fans den ersten Titel seit langer Zeit — oder gar ihres Lebens.
Und plötzlich war alles weg. Die Anspannung, die immer aufkommt, wenn es in einem Spiel nicht nur um alles oder nichts, sondern auch noch um einen Titel geht. Die Nervosität, ob der VfB das nächste Opfer der Arminia würde. Die Angst, die mich die letzten Wochen umtrieb, dass die Mannschaft diese Chance nicht in der Lage wäre zu ergreifen. Die Furcht, dass aus einer 4:0‑Führung noch ein 4:4 würde — es wäre schließlich nicht das erste in dieser Saison gewesen. Als Schiedsrichter Christian Dingert nach auf dem Handy mitgestoppten fünf Minuten Nachspielzeit das Endspiel des DFB-Pokals endlich abpfiff fiel das alles ab und es war nur noch Erleichterung da. Und das unwirkliche Gefühl, das sich einstellt, wenn Du nur einmal im Jahrzehnt miterlebst, wie dein Herzensverein eine Trophäe in die Höhe reckt — oder wie in unserem Fall zum ersten Mal nach 18 langen Jahren.
Man muss sich das nochmal vergegenwärtigen: Es gab viele jüngere Fans in der Ostkurve des Olympiastadions, beim Public Viewing auf dem Schlossplatz oder vor dem Fernseher, die nicht oder nicht bewusst miterlebt haben, wie Fernando Meira die Meisterschale falsch herum präsentierte. Und für mich schließt sich mit diesem Pokalsieg ein Kreis. Um 1997 herum, auf jeden Fall nach dem Sieg gegen Energie Cottbus im Juni, wurde ich zum (Erfolgs-)Fan. Zwei Mal stand der VfB seither wieder im Pokalfinale, beides Mal mussten wir zuschauen, wie jemand anderes den Pott in die Höhe hielt. Die Mannschaft nun auf dem gleichen Podest, mit dem goldenen Pokal, vor dem goldenen Konfetti zu sehen, auf dem ich beim letzten Mal in Berlin die ungeliebten Bayern sehen musste, war einfach nur unwirklich. Aber es ist wirklich wahr: Wir haben den Pokal!
Und das ist vor allem darauf zurück zu führen, dass die Mannschaft, wie schon im Halbfinale, wie schon in der Relegation vor zwei Jahren, quasi dem Ausgangspunkt des aktuellen Höhenflugs, in dem Moment, als es darauf ankam, ihre Stärken auf den Platz brachte. Dass die Ligazugehörigkeit des Gegners in einem solchen Spiel nicht unbedingt von Belang ist, zeigte der früher Schreckmoment, als Noah Sarenren Bazee den Ball aus fünf Metern unglaublicherweise an die Latte setzte. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, hätte der Bielefelder nur etwas genauer gezielt. Auf der anderen Seite hätte diese VfB-Mannschaft vielleicht das Spiel trotzdem gedreht.
Egal ob Woltemade mit Ballkontrolle und Kaltschnäuzigkeit, Stiller mit seinem wiedergenesenen Zauberfuß, Unterschiedsspieler Millot bei seiner vermeintlichen Abschiedsvorstellung oder Deniz Undav, der nicht nur selbstlos ein Tor vorbereitete, sondern auch selber eins erzielte — die Mannschaft war da und nutzte die Fehler der Bielefelder gnadenlos aus. Und das obwohl sie die letzten Monate von Woche zu Woche von einer Verlegenheit in die andere stolperte und Spiele auf immer absurdere Weise aus der Hand gab. An diesem goldenen Abend im Olympiastadion funktionierte eigentlich fast alles so gut, dass es fast schon langweilig geworden wäre ohne die späte, aber erfolglose Bielefelder Aufholjagd.
Überhaupt der Finalgegner: Nicht nur standen sich hier zwei leidenschaftliche Fanlager gegenüber die vor allem sich und ihre Mannschaft feierten, ohne dass ich etwas von Auseinandersetzungen oder Schmähgesängen mitbekommen hätte — ich kenne ehrlich gesagt auch nur einen, was viel aussagt. Dass Kania und Vagnoman per Eigentor sowie Felix beinahe noch den Rückstand auf ein Tor verkürzten, lag auch daran, dass die Arminia einfach nicht aufhörte, diesen irgendwann scheinbar aussichtslosen Kampf um die erste nationale Trophäe der Vereinsgeschichte weiterzukämpfen. Das Finale mag lange einseitig gewesen sein, es war auf und neben dem Platz aber auf jeden Fall ein würdigeres Endspiel als die letzten drei, inklusive der Titelträger.
Es wird immer noch ein paar Tage dauern, bis ich meine Gedanken zum Samstagabend vollständig sortiert habe. So viele Geschichten, so viele Emotionen, so viele Bilder schwirren noch in meinem Kopf herum. Besonders eindrücklich finde ich Tore aus der Perspektive des Schiedsrichters, die natürlich vor allem dessen Arbeit auf dem Platz illustrieren sollen, mir in ihrer Nähe und Dynamik aber einen Schauer über den Rücken jagen. Die kollektive Glückseligkeit, der Jubel vor und in der Kurve, die Pokalparty am Sonntag und einfach dieses Gefühl, aus der Entfernung zu sehen, wie eine Mannschaft im Brustring diesen verdammten Pokal in die Höhe hält.
Mal ganz abgesehen davon, dass es nach einer schwierigen Saison einfach schon wieder auf die Reise geht. Man weiß fast nicht, worüber man sich mehr freuen soll, wobei der Titel vermutlich leicht die Nase vorne hat. Auch wenn man weiterhin auf Ursachenforschung geben muss, wie es dazu kam, dass man von Platz 4 auf Platz 9 abrutschen, am Ende wurde alles gut. Und es ist immer noch gut und wird auch lange Zeit gut bleiben.
DFB-Pokal-Sieger 2025 VfB Stuttgart!
Zum Weiterlesen und ‑feiern: Der Vertikalpass verteilt Ganz viel Amore an alle Pokalsieger und zündet mehr Wortspielfeuerwerke als beide Kurven am Samstag zusammen. Stuttgart.international beleuchtet sechs Aspekte eines “Fußballfest[s], ein Sehnsuchtsspiel, eine mitreißende Theateraufführung zweier Klubs, die sonst selten auf der großen Bühne stehen.”
Titelbild: © Alexander Hassenstein/Getty Images