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Helge Wohltmann·9. Juni 2023

"Der Krebs hat mich gerettet": Warum ein Gescheiterter im CL-Finale spielt

Artikelbild:"Der Krebs hat mich gerettet": Warum ein Gescheiterter im CL-Finale spielt

„Mir fehlte es an Motivation. Ich wusste nicht, was ich noch tun sollte. Und ich trank.“ Wie Francesco Acerbi es mit 35 Jahren trotzdem geschafft hat, am morgigen Samstag als Stammspieler in ein Champions-League-Finale zu gehen, erklärt er selbst: „Es klingt sehr paradox, aber der Krebs hat mich gerettet.“

Fast genau zehn Jahre ist es her, dass bei dem Innenverteidiger Hodenkrebs diagnostiziert wurde. Ein Zeitpunkt in seiner Karriere, an dem Acerbi an einem Scheideweg stand, erzählt er bei ‚The Athletic‘: „Ohne die Krankheit hätte ich mit 29 wahrscheinlich in der zweiten Liga gespielt. Heute würde ich nicht mehr spielen.“ Stattdessen steht er vor dem größten Triumph seiner Karriere.


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Mit Inter kann er gegen Manchester City die Sensation schaffen und sich den Titel in der Champions League sichern. Die furchtbare Krankheit führte dazu, dass Acerbi neue Prioritäten in seinem Leben setzte. Mit 25 war er gerade bei AC Mailand ausgemustert worden und über Genoa zu Aufsteiger Sassuolo gewechselt. Er war auf Topniveau gescheitert. Bei einem Checkup in der Saisonvorbereitung wurde der Tumor entdeckt, es folgte eine Operation, doch der Krebs kam zurück und er musste eine Chemotherapie machen.

Es war allerdings nicht die einzige Therapie, die Acerbi begann. Er begab sich auch in psychologische Behandlung und fand seine Leidenschaft wieder, die er zu Beginn seiner Karriere verloren hatte.

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Er war bereits 24 Jahre alt, als er sich bei Chievo in der ersten Mannschaft durchsetzte. Zu der Zeit starb allerdings auch sein Vater, der die treibende Kraft hinter Acerbis Weg zum Profi gewesen war. „Als mein Vater gestorben war, hatte ich niemanden für den ich hätte spielen können. Ich habe definitiv nicht für mich selbst gespielt“, blickt Acerbi zurück. Ohne den Vater waren andere Dinge wichtiger als der Fußball.

Milan verpflichtete ihn trotzdem in der Hoffnung, ihm Professionalität einimpfen zu können. Es ging schief. Statt die Chance zu ergreifen, bei einem Topklub zu spielen und um Titel zu kämpfen, ging er lieber feiern. Noch halb angetrunken kam er regelmäßig völlig verpennt zum Training. „Ich hatte keinen Respekt für mich selbst, für meinen Job und für die Leute, die mich bezahlt haben“, so Acerbi.

Das sah auch Milan schnell ein und gab ihn nach nur einem halben Jahr wieder ab. Mit Mitte zwanzig dachte er ans Aufhören. Dann kam der Krebs.

Acerbi kämpfte sich zurück auf den Platz und fand dank der psychologischen Hilfe eine neue Lebenseinstellung. Er setzte sich keine großen Ziele. Keine Titel, keinen Ballon d’Or. Er wollte sich einfach jeden Tag ein bisschen verbessern. Und das tat er.

Nach seinem Comeback im Herbst 2014 empfahl er sich mit verlässlichen Leistungen für Lazio, wo er den heutigen Inter-Coach Simone Inzaghi kennenlernte. Der holte ihn später auch zu Inter, als Acerbi unter Neu-Coach Maurizio Sarri nicht zurecht kam und sich dazu noch mit den Lazio-Ultras verkracht hatte, als er während eines Spiels den Zeigefinger auf die Lippen legte, um der Curva Nord des Stadio Olimpico zu bedeuten, dass sie doch besser mal ruhig sein solle.

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Das Gegenteil war der Fall. Die Ultras forderten seinen Abgang und bekamen ihren Willen. Zu Saisonbeginn wurde er an Inter verliehen, wo er sich zum erfahrenen Abwehrchef in der Dreierkette aufschwang. Jeden Tag ein bisschen besser eben. Mit 35 könnte er nun doch noch den größtmöglichen Erfolg im Klubfußball feiern und damit seine eigentlich schon gescheiterte Karriere krönen. Eine Karriere, die dank einer Krebsdiagnose gerettet wurde. So paradox das auch klingen mag.