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Jan Schultz·5. Februar 2020

Dauerproblem Rassismus: Der Fußball braucht mehr Spielabbrüche

Artikelbild:Dauerproblem Rassismus: Der Fußball braucht mehr Spielabbrüche

Es ist schon wieder passiert: Der FC Schalke und Hertha BSC lieferten sich am Dienstagabend einen packenden Pokalfight mit fünf Toren, einem Comeback und Verlängerung. Darüber redet im Nachhinein aber fast niemand – zu Recht. Denn einmal mehr wurde ein Fußballspiel von rassistischen Beleidigungen überschattet.

Jordan Torunarigha musste in Gelsenkirchen 100 Minuten lang demütigende Rufe und Laute von der Tribüne ertragen. Auch Feuerzeuge flogen dem Vernehmen nach. Weil er eine dunkle Hautfarbe hat. Und weil es auch im Jahr 2020 noch genügend Idioten gibt, die damit ein Problem haben.


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Mental und emotional sichtlich von dieser Schikane ausgelaugt knickte der junge Hertha-Verteidiger schließlich ein, zeigte eine menschliche Reaktion und schmiss eine Getränkekiste im Seitenaus zu Boden. Die Konsequenz: Das Opfer der rassistischen Dauerbeschallung wurde zum vermeintlichen Täter – und flog für sein Aufflackern von Menschlichkeit mit Gelb-Rot vom Platz.

Über so etwas müsse er drüber stehen oder derartiges habe ein Profi auszuhalten, schließlich kassiere er dafür ja Millionen. Solche Kommentare begleiten nicht nur den aktuellen Fall von Torunarigha, sondern auch vergleichbare Fälle von Kevin-Prince Boateng, Mario Balotelli, Romelu Lukaku oder Antonio Rüdiger. Die Liste ließe sich leider mühelos über mehrere Absätze fortsetzen. Eines ist dabei immer gleich: Die Unangemessenheit solcher relativierend wirkenden Aussagen.

„Wenn so etwas passiert, wäre ich wahrscheinlich auch ausgerastet. Sowas geht nicht. Das ist abstoßend und unmenschlich“, fand Niklas Stark die deutlich passenderen Worte. Ähnlich deutlich wurden im Anschluss an die Partie auch die beiden Trainer. Diverse Kampagnen von Klubs, nationalen Verbänden und gar den Großmächten Uefa und Fifa legen nahe, dass die Meinung bezüglich Rassismus in der Fußballwelt klar und eindeutig sei.

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Doch was sind all die Banner, all die Spots oder gar Auszeichnungen für Fairplay wert, wenn es trotzdem immer wieder zu rassistischen Vorfällen kommt und diese während des Spiels einfach so abgetan werden? Im Fall von Torunarigha wurde Schiedsrichter Harm Osmers während der Partie informiert. Der Unparteiische hätte in der Folge eine Durchsage über die Stadionanlagen machen lassen können. Er hätte die Partie unterbrechen oder gar beenden können. Er hätte den Rassisten die Spielwiese nehmen können. Osmers ließ stattdessen einfach weiterspielen.

Nun wollen wir uns an dieser Stelle nicht in Schiedsrichter-Shaming üben, aber die Unparteiischen müssen in derartigen Situationen die Macht nutzen, mit der sie auf Grundlage von Regelungen ausgestattet sind. Es kann nicht von den Opfern erwartet werden, dass sie schnurstracks vom Platz gehen und so zum Initiator für die einzig vernünftige Entscheidung werden. „Jordan war am Weinen“, beschreibt Klinsmann die Ohnmacht seines Verteidigers – wohlgemerkt noch bevor dieser letztlich des Feldes verwiesen wurde.

Spielunterbrechung oder -abbruch als einziges Mittel

Wenn schon nicht der Unparteiische reagiert, sollten es aber wenigstens die anderen 21 Profis machen, die neben dem Opfer auf dem Rasen stehen. ‚In den Farben getrennt, in der Sache vereint‘ – ein beliebter Slogan, dessen starke Worte nicht nur gestern mit Leben hätten gefüllt werden können. Nämlich mit der einzigen Waffe, die die Spieler im Kampf gegen Rassismus haben: Den Leuten das nehmen, was ihnen Freude bringt, wofür sie ins Stadion kommen – also eine Spielunterbrechung oder gar einen Abbruch mit dem gemeinsamen Verlassen des Feldes erzwingen.

Das mag nach einer harten und für Unbeteiligte unfairen Entscheidung klingen, aber andere Mittel greifen bei den offensichtlich Unbelehrbaren nicht. Verlassen die Profis das Feld, haben die Rassisten, in der Regel nur eine kleine Minderheit, niemanden mehr zum Attackieren. Dafür haben sie nun eine riesige Mehrheit gegen sich, die sich fair verhalten hat und noch mehr Fußball sehen will.

Mit einer Spielunterbrechung würden die Fußballer also einen Selbstreinigungsprozess unter den Zuschauern befeuern. Bei diesem könnten die Rassisten dann des Stadions verwiesen werden. Bliebe eine entsprechende Reaktion aus, wird aus der Spielunterbrechung eben ein -abbruch.

Die Partie in Gelsenkirchen hat jedenfalls einmal mehr gezeigt, dass es mit der momentanen, auf dem Rasen viel zu laschen Handhabe von rassistischen Vorfällen nicht weitergehen kann. Ein junger Mann musste fast zwei Stunden emotionalen wie psychischen Terror ertragen, dessen langfristige Folgen gar nicht absehbar sind. Und was im Schatten dieser unsäglichen Vorgänge untergeht: Die Rassisten haben mit ihrem Verhalten einen Platzverweis erwirkt und damit entscheidenden Einfluss auf das Spiel genommen. Sie wurden – in ihrer eigenen verqueren Logik – belohnt, nicht bestraft.