Dabbur: „Jeder Rückschlag lässt mich wachsen“ | OneFootball

Dabbur: „Jeder Rückschlag lässt mich wachsen“ | OneFootball

Icon: TSG Hoffenheim

TSG Hoffenheim

·26. Januar 2022

Dabbur: „Jeder Rückschlag lässt mich wachsen“

Artikelbild:Dabbur: „Jeder Rückschlag lässt mich wachsen“

SPIELFELD hat sich mit Munas Dabbur im Café Simon & Bearns in der Bahnstadt getroffen. Ein Rückzugsort des 29-Jährigen, der in Heidelberg seine Liebe zum Kaffee entdeckt hat. Im Interview spricht der israelische Stürmer über das veränderte Leben als Vater, seine sportliche Situation bei der TSG und auch erstmals über religiöse Konflikte in der Heimat.

Munas, wir treffen uns an einem Ort der Ruhe. Benötigst Du momentan besonders viel Entspannung?


OneFootball Videos


„Meine Tochter ist jetzt anderthalb Jahre alt und schläft leider noch nicht so viel. Dadurch begleitet mich Kaffee immer häufiger. Ich habe in den vergangenen Monaten wirklich meine Liebe zum Kaffee entdeckt und nehme mir mittlerweile gern Zeit dafür. Zudem ist das Café in der Nähe der Kita meiner Tochter. Daher werde ich wohl zukünftig noch häufiger hier sein.“

Du hast die Geburt Deiner Tochter Nour im Mai 2020 angesprochen. Was hat sich für Dich seit der Geburt verändert?

„Alles.“

Ein neuer Lebensabschnitt also. Wie würdest Du Dein neues Leben beschreiben?

„Diese Liebe zu meiner Tochter kann man nicht in Worte fassen. Es ist einfach unglaublich und ich bin unfassbar dankbar. Ich versuche der beste Vater für meine Tochter zu sein. Ich bin beim Fußball ein sehr emotionaler Mensch und habe früher nach einem schlechten Spiel auch schon mal einen Tag nicht mit meiner Frau geredet, weil ich so schlechte Laune hatte. Aber meine Tochter hat alles verändert, trotz des Schlafmangels bin ich viel ausgeglichener geworden. Wenn ich nach Hause komme und sie lachen sehe, ist alles andere egal. Sie gibt mir zusätzlich Kraft. Vor dem Leipzig-Spiel zum Beispiel war meine Tochter krank. Ich bin fast die gesamte Nacht wach geblieben, damit ich mich um sie kümmern kann. Irgendwann habe ich auf die Uhr geschaut und gesehen, dass es schon nach sechs Uhr war. Ich wusste, dass ich gegen Leipzig meine Chance in der Startelf bekommen würde und wollte fit sein. Daher habe ich meine Frau geweckt und sie hat sich danach um unsere Tochter gekümmert, damit ich wenigstens ein paar Stunden Schlaf vor dem Spiel bekommen konnte. Aber trotz allem hat mir diese Nacht Kraft gegeben, weil ich für meine Tochter da war. Dass ich dann beim 2:0 gegen Leipzig ein Tor geschossen habe, ist doch der Beweis dafür.“ (lacht)

Nour ist in Heidelberg geboren, war sie schon mal im Stadion?

„Leider nicht. Einmal haben wir Tickets besorgt für meine Frau und sie, aber leider ging es ihr an dem Tag nicht gut. Sie weiß aber, dass ich Fußball spiele. Immer wenn sie ein Spiel im Fernsehen sieht, ruft sie ‚Papa‘. Ich hoffe natürlich, dass es in dieser Saison noch klappt mit einem Stadionbesuch und ich dann ein Tor für sie erzielen kann. Eines ist schon klar: Egal, was noch passiert, ich werde immer Positives mit der Region und dem Verein verbinden. Jedes Mal, wenn ich auf ihren Pass gucke, werde ich daran denken. Das ist sehr speziell für mich. Wir fühlen uns hier enorm wohl.“

Du erlebst die Kindheit Deiner Tochter hautnah mit. Deine Kindheit war mit anderen Erfahrungen verbunden, wie war das Leben damals in Nazareth?

„Es war anders, aber auch wunderschön. Ich wollte den ganzen Tag Fußball spielen. In der Schule, auf den Straßen – einfach überall. Direkt nach dem Unterricht haben mein Bruder und ich unsere Ranzen in die Ecke geschmissen und den Ball genommen. Wir hatten einen kleinen Platz in der Nähe des Hauses meiner Eltern. Dort waren wir immer. Wir kommen aus einfachen Verhältnissen, wir hätten nicht glücklicher sein können. Wir lieben Nazareth.“

In den vergangenen Monaten gab es auch in der Nationalmannschaft immer wieder Konflikte…

„Ich habe bislang noch nie öffentlich darüber gesprochen, aber das war unglaublich. Nach einem Instagram-Post von mir haben mich Personen aus dem ganzen Land angegriffen. Sie haben jedes meiner Worte umgedreht und schlecht ausgelegt. Ich wollte Niemanden etwas Böses, aber diese Menschen waren auf einen Konflikt aus. Leider glauben die meisten Fans, was verbreitet wird. Dadurch wurde ich bei den Heimspielen der israelischen Nationalmannschaft ausgebuht und in den sozialen Netzwerken beleidigt. Dabei habe ich niemanden etwas getan.“

Stand ein Rücktritt aus der Nationalmannschaft zur Debatte?

„Ich war kurz davor. Aber die gesamte Mannschaft, der Trainerstab und auch der Präsident des Verbandes haben mich komplett unterstützt. Seit dem Vorfall habe ich in fünf von sechs Länderspielen getroffen. Das gibt mir ein gutes Gefühl und bestärkt mich, meinen Weg weiterzugehen.“

Hast Du im Laufe der Zeit gelernt, besser mit solchen Situationen umzugehen?

„Manchmal brodelt es sehr in mir. Aber in solchen Momenten muss man cool bleiben. Denn egal was man macht, es wird gegen einen ausgelegt. Viele sind dann überrascht, dass mir das sogar gelingt, wenn ich von 30.000 Zuschauern ausgepfiffen werde. Aber ich denke nicht so wie sie und darum kann ich das verdrängen. Ich respektiere jeden Menschen. Egal, ob er jüdisch oder muslimisch ist, ob er aus Brasilien oder Deutschland kommt. Mir sind Religion und Herkunft einer Person egal. Wenn ein Mensch ein gutes Herz hat und gut erzogen wurde, sieht er das genauso.“

Dabei sollten die Fans eigentlich stolz auf Dich und Deine Leistungen sein. Du bist der israelische Rekordtorjäger in der Bundesliga. Was bedeutet Dir diese Bestmarke?

„Ehrlicherweise wusste ich davon nichts, bis ich nach meinem Treffer gegen Leipzig darauf angesprochen wurde. Natürlich ist es eine große Ehre und ich bin stolz darauf. Aber wenn ich mir die Anzahl meiner Tore angucke, kann ich noch nicht zufrieden sein. Ich muss noch mehr Treffer erzielen und den Rekord ausbauen.“

Was traust Du Euch in der Rückrunde zu?

„Natürlich wollen wir wieder in einen internationalen Wettbewerb. Das ist unser Ziel, die Flutlicht-Spiele sind etwas Besonderes. Zudem schieße ich in der Europa League immer viele Tore. Ich liege sechs Treffer hinter dem Rekordtorjäger in der Europa League (Radamel Falcao, 30 Treffer, Anm. d. Red.). Es ist es ein großer Traum von mir, diese Marke zu knacken.“

Bei den internationalen Spielen steigt die Aufmerksamkeit nochmal. Verfolgen die Menschen in Israel die Europapokal-Partien intensiver als die Bundesliga?

„Die Bundesliga gehört zu den Top-Ligen in Israel, da können nur die Premier League und die spanische La Liga mithalten. Aber natürlich ist ein internationales Spiel nochmal etwas anderes. Ich weiß, dass mir viele Fans aus meiner Heimat zugucken. Das löst einen positiven Druck in mir aus.“

In der Hinrunde hattest Du eine schwierigere Phase, kamst unter anderem in drei Bundesliga-Spielen nacheinander nicht zum Einsatz. Wie bist Du mit dieser Situation umgegangen?

„Es waren zwei bis drei sehr harte Monate für mich. 90 Minuten auf der Bank zu sitzen und nicht helfen zu können, ist kein schönes Gefühl. Das hat mich sehr beschäftigt. Ich habe aber weiter im Training alles gegeben und auf meine Chance gewartet. Als nach der Länderspielphase im November ein paar Spieler ausgefallen sind, habe ich die Gelegenheit bekommen und sie genutzt. Wir haben eine unglaubliche Konkurrenzsituation und sind vor allem in der Offensive enorm stark besetzt. Im Fußball muss man in solch einer Situation Leistung bringen, wenn sie gefragt ist. In der Vergangenheit habe ich solche Momente schon häufiger erlebt und weiß, wie ich damit umgehen muss. Und ich weiß deshalb auch: Harte Arbeit wird belohnt. Ich bin überzeugt von meinen Qualitäten und glaube immer daran, dass ich spiele, wenn ich meine Chancen nutze. Das Selbstvertrauen habe ich.“

Hättest Du Dir Deine Zeit in Hoffenheim dennoch einfacher vorgestellt?

„Ich bin mit hohen Erwartungen nach Hoffenheim gekommen. Ich wusste, dass die Bundesliga eine große Liga ist und es nicht leicht wird. Aber es gab zudem viele unverhoffte Stolpersteine. Jeden Monat gab es eine neue Baustelle für mich. Immer wenn ich gerade in Form war, kam etwas dazwischen. Erst habe ich mich verletzt, dann kam die Corona-Pandemie, der Trainer wurde gewechselt und ich bin an Corona erkrankt. Das war nicht einfach. Aber es bringt nichts, sich darüber zu beschweren. Ich bin ein positiver Mensch, fühle mich hier sehr wohl und bekomme vom Verein die volle Rückendeckung. Daher geht der Blick nach vorn: Ich freue mich sehr auf die Rückrunde und hoffe, dass wir mit der TSG Großes erreichen.“

Impressum des Publishers ansehen