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·4. August 2025
Cristiano Ronaldo: Wenn der Sport lieber schützt als aufklärt

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·4. August 2025
Der Fall CR7 offenbart ein strukturelles Problem – nicht nur im Fußball
Ein globaler Superstar, eine ernste Anschuldigung, ein Schweigen mit System. Der Fall Cristiano Ronaldo, der 2009 seinen Anfang nahm, offenbart ein strukturelles Problem – nicht nur im Fußball.
Cristiano Ronaldo ist eine Ikone des Weltfußballs. Fünfmal Weltfußballer, Europameister, Rekordtorschütze – und ein internationaler Markenbotschafter in eigener Sache. CR7 steht für Tore, Triumphe, Totalvermarktung. Aber auch für ein Tabu: den Umgang mit dem Vorwurf der sexuellen Gewalt. Im Jahr 2009 lernt Ronaldo in Las Vegas das Model Kathryn Mayorga kennen. Es kommt zu einem sexuellen Kontakt in seiner Hotelsuite.
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Während Ronaldo später von einem einvernehmlichen Erlebnis spricht, wirft Mayorga ihm eine Vergewaltigung vor. Noch in der Nacht erstattet sie Anzeige – allerdings ohne seinen Namen zu nennen. Kurz darauf unterschreibt sie eine von Ronaldos Anwälten aufgesetzte Schweigevereinbarung – im Gegenzug für eine Zahlung von 375.000 Dollar. Der Fall gerät für fast ein Jahrzehnt aus der Öffentlichkeit. Erst als 2017 die Plattform Football Leaks interne Dokumente veröffentlicht und Der Spiegel investigativ recherchiert, wird der Fall öffentlich. Und mit ihm eine Frage, die weit über Ronaldo hinausweist: Wie geht der Sport, wie geht unsere Gesellschaft mit solchen Vorwürfen um – wenn sie sich gegen einen Superstar richten?
Ronaldo wurde nie verurteilt – weder straf- noch zivilrechtlich. Doch ‚nicht verurteilt‘ bedeutet nicht automatisch, dass nichts geschehen ist. Sondern nur: Es konnte nicht eindeutig bewiesen werden – ein Dilemma, das bei sexualisierter Gewalt häufig ist.“
Erstaunlich ist weniger, dass ein Vorwurf im Raum steht, als wie schnell und effektiv dieser über Jahre hinweg zum Verstummen gebracht wurde. Durch Geld, durch Verträge, durch professionelles Schweigen. Und durch ein System, das gelernt hat: Wer schweigt, gewinnt. Zumindest im öffentlichen Diskurs.
Dabei zeigt Ronaldos Fall ein strukturelles Muster, das sich durch vergleichbare Fälle anderer Spitzensportler zieht. Ob Kobe Bryant, Neymar oder Benjamin Mendy – die Abfolge ist oft dieselbe: Vorwurf. Schweigen. Verteidigung. Vergleich. Freispruch oder Einstellung. Rehabilitation. Und weiter geht’s. Die Show muss schließlich weiterlaufen.
Gemeinsam ist diesen Fällen nicht zwingend eine nachgewiesene Schuld – sondern ein System, das in Gang kommt, sobald ein Idol unter Verdacht gerät.Medienstrategen, Anwälte, Vereine, Verbände, Sponsoren – sie alle stellen sich reflexartig schützend vor die Marke. Auch, weil sie selbst davon profitieren.
Im Fall Ronaldo reagierte Juventus Turin mit einer Solidaritätsbekundung. FIFA und UEFA schwiegen. In der Nationalmannschaft durfte er weiter Kapitän bleiben. Kein Innehalten. Keine eigene Untersuchung. Kein „Wir nehmen das ernst“. Die Mauer stand. Und sie hielt.
Dass Ronaldo über ein Heer von PR-Profis und Juristen verfügt, ist nicht verwerflich. Aber wenn finanzielle Macht darüber entscheidet, wessen Version der Geschichte gehört wird – dann wird Gerechtigkeit zu einem Luxusgut. Und das Schweigen zu einem Geschäftsmodell.
Wer es dennoch zu sprechen wagt, riskiert viel. Nicht nur den Schmerz der Retraumatisierung, sondern auch das öffentliche Urteil. Kathryn Mayorga wurde nach den Enthüllungen zur Zielscheibe. Beschimpft, diffamiert, zur Lügnerin erklärt. Das Netz war gnadenlos. Viele Frauen erleben Ähnliches. Und verzichten darum. Auf Anzeige. Auf Öffentlichkeit. Letztlich auf Gerechtigkeit.
Denn gegen einen Weltstar zu sprechen, heißt: gegen ein ganzes System zu kämpfen. Eines, das oft nicht auf der Seite der Schwächeren steht. Sondern auf der Seite derer, die mehr zu verlieren haben. Ruf, Vermarktung, Fernsehgelder. Und genau hier versagt das System Spitzensport – nicht nur im Umgang mit Tätervorwürfen, sondern vor allem im Umgang mit ihren mutmaßlichen Opfern.
Cristiano Ronaldo ist ein freier Mann. Juristisch. Er wird weiter Fußball spielen. Tore schießen. Trikots verkaufen. Das steht ihm zu. Die Unschuldsvermutung ist ein Grundpfeiler unserer Rechtsordnung. Aber sie darf nicht dazu führen, dass wir kollektiv wegsehen und damit ein System stützen, das Täter schützt und Opfer im Regen stehen lässt. Eine Branche, die lieber vergisst, als Verantwortung zu übernehmen. Und eine Öffentlichkeit, die manchmal lieber jubelt, als hinzusehen.
Die wichtigste Frage lautet daher nicht: Was hat Cristiano Ronaldo getan? Sondern: Was haben wir daraus gemacht?
Wie wird mit dem Verdacht auf sexuelle Gewalt umgegangen, wenn ein globaler Superstar betroffen ist? Und was sagt das über den Sport – und über uns? Der Podcast Tatort Sport geht in der Folge „Cristiano Ronaldo – Die Mauer des Schweigens“ den Mustern hinter dem Schweigen nach. Hört rein! Überall, wo es Podcasts gibt.