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·20. Mai 2022
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·20. Mai 2022
Die letzten Jahre in der Copa Libertadores waren hart für den argentinischen Fußball. Die brasilianische Dominanz, die sich aus einer Reihe an verschiedenen Einflüssen entwickelte, wurde immer offensichtlicher. Drei Mal in Folge gewann eine brasilianische Mannschaft den begehrten Titel (Flamengo 2019, Palmeiras 2020 und 2021), zwei Mal in Folge gab es ein rein brasilianisches Duell im Finale.
Doch in diesem Jahr scheinen die starken argentinischen Teams zurückzuschlagen wie ein Blick auf die Tabellen und den 5. Spieltag der Copa Libertadores Gruppenphase verrät.
Doch alles der Reihe nach. In Gruppe A ohne argentinische Beteiligung hat Doppelchamp Palmeiras seine perfekte Serie ausgebaut. Das Team von Abel Ferreira siegte mit 1:0 gegen den ecuadorianische Traditionsverein Emelec durch einen Treffer von Danilo. Der 21-jährige zentrale Mittelfeldspieler ist ohnehin in aller Munde. Eine Woche zuvor wurde er vom brasilianischen Nationaltrainer Tite erstmals für die Selecão berufen worden. Das Interesse aus Europa ist längst bekannt und wird nun nochmal einen neuen Schub bekommen. Daher ist es äußerst fraglich, ob der Mann aus Salvador in der K.O.-Phase noch im Kader von „Verdão“ stehen wird. Für den breit besetzten Kader der Brasilianer wäre ein Abgang des Bindeglieds zwischen Defensive und Offensive zwar schmerzhaft, aber insgesamt zu verkraften.
Die Qualifikation von Palmeiras für das Achtelfinale stand bereits nach vier Partien fest. Die bislang erfolgreichste Mannschaft der diesjährigen Ausgabe der Copa Libertadores hatte allerdings auch etwas Losglück. Die Bolivianer von Independiente Petrolero sind das schlechteste Team des Wettbewerbs und stehen folglich mit nur einem Punkt und einem Torverhältnis von 3:19 am Ende der Tabelle. Davor streiten sich Emelec (3. mit 5 Punkten) und die Venezolaner von Deportivo Táchira (2. Mit 7 Punkten) am letzten Spieltag um den zweiten Platz für die heiße Phase des Wettbewerbs. Trotz des 2-Punkte-Vorsprungs haben die Ecuadorianer die besseren Chancen. Ein Heimsieg gegen die Bolivianer ist wahrscheinlich. Hingegen wäre ein Punktgewinn von Táchira in São Paulo eine große Überraschung.
Die zweite Gruppe, ebenfalls ohne argentinisches Team, steht sinnbildlich für die typische Spannung und Dramaturgie des historischen Turniers. Einen Spieltag vor dem Ende der Gruppenphase liegt Libertad aus Asunción punktgleich mit Copa Sudamericana-Sieger Athletico Paranaense (beide 7 Punkte) auf Rang 1. Die Verfolger Caracas und The Strongest aus dem bolivianischen La Paz liegen mit starken 6 Zählern in Lauerstellung. Nächste Woche kommt es zum Aufeinandertreffen von Athletico gegen Caracas und Libertad gegen The Strongest. Die beiden Heimteams sind favorisiert, doch die Gruppe hat gezeigt das auch am 6. Spieltag alles möglich ist – Spannung pur.
Estudiantes aus La Plata ist die dominierende Mannschaft in Gruppe C. Mit einem 1:0-Erfolg in Bragantino durch einen spektakulären Fallrückzieher von Angreifer Gustavo del Prete bestätigt die Truppe von Trainer Ricardo Zielinski den bärenstarken Eindruck aus der Liga und den vorherigen vier Begegnungen in der Libertadores. Die große Stärke ist die Mischung aus defensiver Kompaktheit und gnadenloser Effektivität in der Offensive. Dazu lässt sich das Kombinationsspiel des gut eingespielten Angriffs um Del Prete, Stürmer Léandro Diaz und den uruguayischen Außenspieler Manuel Castro mittlerweile auch gut ansehen. Darüber hinaus stellt Estudiantes die beste Abwehr des Wettbewerbs.
Nur einmal musste Torhüter und Kapitän Mariano Andújar hinter sich greifen. „El Léon“ mausert sich so langsam zum Geheimfavoriten. Außerdem meldet sich Vélez Sarsfield aus Buenos Aires zurück im Kampf um das zweite Achtelfinalticket. Mit einem 3:2-Tirumph in Montevideo gegen Nacional wahrt sich das Team aus dem Stadtteil Liniers die Möglichkeit am Ende doch noch auf Rang zwei zu stehen. Die großartige Talenteschmiede macht ihrem Ruf alle Ehre. Das defensive Mittelfeld bot mit Nicolás Garayalde (22) und Maximo Perrone (19) zwei Youngster auf, die zu überzeugen wussten. Perrone erzielte sogar den späten Siegtreffer und trug dabei die Kapitänsbinde – ein Statement von Coach Julio Vaccari. Im Fernduell mit Red Bull Bragantino geht es dann um den Platz hinter Estudiantes. Vélez trifft auf den Ligakonkurrenten, Bragantino reist zu den bislang eher enttäuschenden Uruguayern. Eine Prognose ist an dieser Stelle nahezu unmöglich.
Im südamerikanischen Vereinsfußball tummeln sich viele glorreiche Namen, die in der Vergangenheit auch dem europäischen Vereinsfußball ihren Stempel aufgedrückt haben – einer davon ist der unzähmbare Hulk. Nie war ein Spitzname treffender. Der mittlerweile 35-Jährige führte den brasilianischen Vorjahresmeister Atlético Mineiro gegen das ecuadorianische Pendant Independiente del Valle aufs Feld und konnte mit zwei Treffern glänzen. Den Führungstreffer bereitete Ex-Herthaner Alan mit einem grandiosen No-Look-Pass vor. Mit seiner Kreativität und seiner tollen Übersicht sticht der zentrale Mittelfeldspieler saisonübergreifend heraus. So ein Spieler täte den Berliner jetzt wohl besonders gut – anderes Thema. Das zweite Tor der Brasilianer erzielte Hulk brillant per Lupfer. Den Schlusspunkt zum 3:1 setzt wiederum Atléticos Toptalent Sávio (18) mit einem grandiosen Schlenzer von der rechten Seite ins linke obere Eck. Atlético steht somit im Achtelfinale.
(Photo by Pedro Vilela/Getty Images)
Die Kolumbianer von Deportes Tolima lieferten sich wie schon im Hinspiel ein packendes Duell mit América Mineiro. Nach einem 0:2-Rückstand drehte der Vorjahresmeister die Partie immerhin noch zu einem 2:2. Außenstürmer Ánderson Plata erzielte bereits seinen vierten Turniertreffer und gehört damit zu den erfolgreichsten Torschützen der Libertadores. Der 31-Jährige war durch seinen Siegtreffer in der sechsten Minute der Nachspielzeit zum 3:2 schon der Held des Hinspiels gewesen. Auch in dieser Gruppe kommt es dann nächste Woche zum Fernduell zwischen Tolima und Independiente del Valle. Die Kolumbianer reisen zum schweren Auswärtsspiel zu Atlético Mineiro, während die Ecuadorianer Tabellenschlusslicht América empfangen. Tolima hat drei Punkte Vorsprung. Nur bei einer Niederlage in Brasilien und einem Sieg von Independiente würden die Tabellenpositionen nochmal getauscht werden – kein unwahrscheinliches Szenario.
Ein sich wiederholendes Narrativ der Copa Libertadores: Spannung. Die großen Boca Juniors liegen nach dem 1:1 gegen die Corinthians mit sieben Punkten auf Rang drei. Die Brasilianer sind mit acht Zählern punktgleich mit Tabellenführer Deportivo Cali auf Platz zwei. Die Kolumbianer spielen eine wirklich gute Saison – allerdings nur auf dem internationalen Parkett. In der heimischen Liga Dimayor liegt der zehnfache Meister nach 20 Spielen überraschend auf dem vorletzten Tabellenplatz. Zum Abschluss geht es in die legendäre Bombonera ins Viertel La Boca der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
Boca, die am Sonntag (21 Uhr deutscher Zeit, live auf Sportdigital und DAZN) das Finalspiel um die argentinische Meisterschaft gegen Tigre bestreiten, zeigten beim Remis gegen „Timão“ ihre beste Leistung in der diesjährigen Copa Libertadores. Die über weite Teile dieser Saison inspirationslos auftretenden „Xeneizes“ zeigten, dass ihr qualitativ gut besetzter Kader auch ein kreatives Spiel aufziehen kann. Dennoch besteht nach wie vor Luft nach oben für Sebastián Battaglias Jungs. Im direkten Duell mit Tolima ist Boca mit den Fans im Rücken der Favorit. Jedoch ist ein Dreier dringend nötig, da die Corinthians zuhause gegen die bereits ausgeschiedenen Bolivianer von Always Ready voraussichtlich punkten werden.
Auch wenn Palmeiras die beste Punkteausbeute vorweist, ist spätestens nach dem 4:0 gegen Colo-Colo aus Santiago de Chile River Plate als bestes Team der Gruppenphase zu nennen. River spielt sich in einen Rausch. Die topbesetzte Offensive Rivers lässt sich sehen: Stürmer Julián Álvarez, die Außen Nico de la Cruz aus Uruguay und Neuzugang Esequiel Barco sowie Rivers bester Mann in diesem Jahr Enzo Fernández harmonieren unglaublich gut. Der Fußball, den Marcelo Gallardo spielen lässt, ist der zurzeit ansehnlichste und spektakulärste im südamerikanischen Vereinsfußball.
Denn auch Gegner Colo-Colo spielte bislang eine beachtliche und offensivstarke Gruppenphase. Die Höhe der Niederlage war überraschend und bringt das Achtelfinale für die Chilenen in Gefahr. Konkurrent Fortaleza siegte in Lima gegen Alianza mit 2:0. Den Siegtreffer erzielte Fortalezas bester Spieler Yago Pikachu. Perus größter Sportzeitung „Líbero“ titelte am Tag nach der Niederlage in Bezug auf Alianzas Ausscheiden treffenderweise mit „Pika…chau“. Zur alles entscheidenden Partie kommt es dann nächste Woche in Chile. Colo-Colo empfängt Fortaleza und benötigt zwingend einen Sieg.
Colón aus dem argentinischen Santa Fe ist eine Heimmacht und gewann alle drei Spiel vor den fanatischen und lauten Anhängern. Durch das 2:1 gegen Olimpia machten die Argentinier den Einzug in die K.O.-Phase perfekt. Peñarol aus Montevideo schied durch das 0:0 gegen Cerro Porteño sang- und klanglos aus. Pablo Ceppelini setzte einen Elfmeter an die Latte und weinte nach seiner Auswechslung bittere Tränen. Somit kommt es allerdings am 6. Spieltag zum alles entscheidenden Spiel beim großen „clásico“ in Paraguay zwischen Cerro und Olimpia. Die Dramaturgie für das heißeste Match in Paraguay kann spannender kaum sein. Die Stimmung im grandiosen „La Olla“ wird auch über die Empfangsgeräte Gänsehaut verbreiten – ein Muss für Fußballromantiker und Nachteulen.
Auch Talleres aus dem argentinischen Córdoba macht die Qualifikation für die Endrunde perfekt. Trotz eines 0:0 in Lima gegen Sporting Cristal wurde am Ende gefeiert, denn Flamengo fegt im Maracanã Universidad Catolica aus Chile mit 3:0 aus dem sagenumwobenen Fußballtempel. Gruppe H ist somit die einzige Gruppe, in der bereits alle Entscheidungen gefallen sind – zumindest fast. Denn theoretisch kann Sporting Cristal noch Platz drei und somit die Qualifikation zur Copa Sudamericana erreichen.
Johannes Skiba
(Photo by Marcelo Endelli/Getty Images)