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·7. Juli 2025
Copa 71: Gianni Infantino sollte diesen Film sehen- Aber nicht nur er!

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·7. Juli 2025
Birgit Prinz, Marta, Mia Hamm: Wer sich auf die Suche der "besten Fußballerinnen aller Zeiten" macht, stößt schnell auf diese drei Namen. Genau wie auf die unbekannteren Namen von Sun Wen oder Michelle Akers. Auf eine Fußballerin, die vor 1985 ihre Schuhe schnürte, jedoch selten. Mit einer Ausnahme: Lily Parr, englischer Star der 1910er- und 1920er-Jahre, hat es geschafft, eine gewisse Bekanntheit zu erlangen. Aber die Phase zwischen 1930 und 1985 ist fußballhistorisch fast ein schwarzes Loch.
Dabei haben Frauen auch in dieser Zeit Fußball gespielt, sehr viel sogar, und teils sehr gut. Es liegt nicht an ihnen, dass spätere Spielerinnen wie Marta oder Mia Hamm selten eine Fußballerin als Vorbild nannten. Es liegt an Männern, die das nicht haben konnten: Frauen, die Fußball spielen, und das nicht vor drei Schaulustigen auf einem Acker in der Provinz. Sondern vor 110.000 Fans bei einer Weltmeisterschaft.
Davon, von drei unwahrscheinlichen Wochen in Mexiko und deren konsequenter Auslöschung, erzählt der Film "Copa 71", der aktuell in ausgewählten Kinos in Deutschland läuft. Copa 71, das war eine Weltmeisterschaft, die heute als inoffiziell bezeichnet wird, weil sie nicht von der FIFA organisiert wurde. Aber kann die FIFA überhaupt diese Art von Legitimität beanspruchen, wenn sie dem Fußball der Frauen jahrzehntelang aktiv Hürden in den Weg gestellt hat und nicht im Traum auf die Idee gekommen wäre, eine WM zu organisieren? Fraglich.
Organisiert wurde die Copa 71 stattdessen von der Fédération Internationale et Européenne de Football Féminin, was offiziell und seriös klingt. Dabei ging es den Organisatoren in erster Linie darum, mit einem neu aufkommenden Sport, und auch mit einer gewissen Sensationsgier, Geld zu machen. 1970 funktionierte das in Italien bereits gut, schätzungsweise 30.000 Zuschauer*innen kamen dort zu den Spielen.
Das Turnier 1971 übertraf dann alle kühnen Träume, bis heute bleibt das Finale das meistbesuchte Frauenspiel aller Zeiten, egal in welcher Sportart. Copa 71 zeigt dabei, dass dieser Rekord nur dank einer feinen Ironie des Schicksals möglich war: Die FIFA zwang die Organisatoren, die Stadien des mexikanischen Verbandes nicht zu nutzen. So mussten sie von mittelgroßen Arenen auf die ganz großen Ränge, das Aztekenstadion und das Jalisco-Stadion, ausweichen. Und die Ränge, sie wurden voll. Ein herrlicheres Eigentor hätte die FIFA eigentlich gar nicht schießen können.
In leuchtenden Farben - KI-Nachbearbeitung sei Dank - und mit zahlreichen Spielszenen - aufwendige Recherchen sei Dank - erzählen James Erskine und Rachel Ramsay von dem Turnier. Sie schaffen es, die Zuschauer mitzunehmen in den Trubel der Weltmeisterschaft. Star des Films sind die tatsächlichen Spielerinnen, die über 50 Jahre später von dem berichten, was viele die schönsten Wochen ihres Lebens nennen. Ihre Emotionen, ihre Wut und ihre Leidenschaft tragen den Film.
Für keine von ihnen war der Weg zum Fußball einfach, aber sie konnten einfach nicht ohne. In jeder Szene ist zu spüren, dass der Fußball ihnen im Blut liegt, wenn etwa die Italienerinnen sich noch 50 Jahre später erhitzt über die Schiedsrichterleistung im Halbfinale aufregen. Der Film ist dank trockener Kommentare der Däninnen - Weltmeisterinnen von 1971 - lustig, und oft auch berührend, wenn etwa Silvia Zaragoza davon erzählt, dass sie als Kind mit ihrem Fußball auf das Dach flüchtete, um nicht von ihrem Vater geschlagen zu werden.
Allerdings übergeht die Dokumentation auch einige Punkte, die nicht in das Narrativ des Fußballfestes 1971 passen. Die WM wird als Geburtsstunde des heutigen Frauenfußballs präsentiert, als einzigartige Vorreiterin. Dabei wird ein wenig zu schnell über die Erfolge der Vorjahre hinweggegangen. Schon 1920 sahen 53.000 Fans ein Spiel der englischen Dick, Kerr Ladies. In München kamen 1957 immerhin 17.000 Zuschauer zu einem Spiel des inoffiziellen Nationalteams gegen England.
Der Film zeigt durchaus, dass die Spielerinnen sexualisiert wurden - Fußball, so ein Journalist, könnte in dieser Facon die zwei Leidenschaften aller Männer, nämlich Frauen und Sport, vereinen -, aber widmet diesem Punkt nicht allzu viel Zeit.
Das Ende, in dem US-Nationalspielerin Alex Morgan darüber spricht, dass der Frauenfußball heute unaufhaltbar sei, gerät allzu pathetisch und versöhnlich. Eine Erfolgsstory? So einfach kann es sich nur machen, wer nicht über den westlichen Tellerrand hinausschaut. Vorurteile und Sexismus gibt es trotz Zuschauerrekorde am laufenden Band immer noch, und in zahlreichen Ländern werden Frauen weiter aktiv am Fußballspielen gehindert. Das afghanische Nationalteam, das 2021 ins Exil evakuiert wird, und bald endlich von der FIFA anerkannt werden könnte, ist nur eins von vielen Beispielen.
Der spannendste Teil des ganzen Turniers folgt erst nach dem Finale: der große Verrat. Die starken Bilder von Zuschauermassen und blitzenden Kameras werden kontrastiert mit leeren Fußballfeldern und alten Männern in Zürich, die als FIFA-Funktionäre überlegen, wie sie dieses Schlamassel nun denn wieder in den Griff bekommen. Es gelingt: Nach 1971 folgt eine Ebbe im internationalen Fußball der Frauen. Warum konnte an dieses Turnier nicht angeknüpft werden, was passierte mit dem Verband, der es ausrichtete? Darauf gibt der Film leider keine Antwort.
Er zeigt aber eindrücklich, dass auf Verbände im Kampf um Gleichberechtigung nicht zu zählen war - und womöglich heute immer noch nicht zu zählen ist. FIFA-Präsident Gianni Infantino sollte diesen Film schauen, bevor er wieder zu einer seiner Reden ansetzt, nach denen eine durchkommerzialisierte und aufgeblähte Frauen-WM der letzte Beweis dafür sei, dass sein Verband schon immer auf der richtigen Seite stand. Dass er das tun wird, ist aber unwahrscheinlich: Wie die Regisseure Ramsay und Erskine im Rasenfunk-Gespräch erzählten, nahm die FIFA nach Veröffentlichung des Films keinen Kontakt auf. Bezeichnend.
Dass die WM 1971 je als offiziell anerkannt wird, scheint unwahrscheinlich. Genauso wenig wie die WM 1981, wo das deutsche "Wunder von Taipeh" entstand, von dem nur die allerwenigsten schonmal gehört haben dürften. Der DFB lehnte die Einladung freundlicherweise prompt ab, ohne irgendwelche Spielerinnen zu konsultieren, da er sich ein Frauen-Nationalteam keineswegs vorstellen konnte. Doch stattdessen fuhren die deutschen Meisterinnen von der SSG 09 Bergisch Gladbach nach Taiwan, als deutsches Nationalteam. Die Stadien waren voll, Bergisch Gladbach gewann sensationell das Turnier. Aber die Spielerinnen von damals sind unbekannt, Spielszenen wurden auch hier konsequent unter den Teppich gekehrt.
Genau wie die der Copa 71. Von den heutigen dänischen Nationalspielerinnen der EM wissen wohl die wenigsten, dass ihr Land sehr wohl schon einmal eine Fußball-WM gewonnen hat. Gemeinsame Erinnerungen sind für jeden Sport essenziell, gemeinsame Momente der Euphorie, ikonische Tore. Dass dieses Erbe dem Fußball der Frauen zum großen Teile fehlt - gestohlen wurde, könnte man eigentlich schon sagen -, das ist nicht zu unterschätzen, wenn es um die kulturelle Strahlkraft des Fußballs der Frauen geht.
Auf den deutschen Straßen sieht, wer die Augen aufmacht, inzwischen nicht selten Trikots mit dem Flock "Bonmatí 14", "Henry 6" oder "Gwinn 7". Es ist schwer, nach dem Film Copa 71 nicht an all die Trikotflocks zu denken, die nie gedruckt wurden. Der italienische Freigeist mit unbändigem Willen und genialen Freistößen: Elena Schiavo 6. Die 15-Jährige, die das Finale mit einem Hattrick zugunsten von Dänemark entschied: Susanne Augustesen 11. Die brillante argentinische Spielerin, die nach der WM 1971 mit dem Fußball aufhörte, weil sie ihren Job verloren hatte: Elba Selva 10.