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·9. September 2022

Cedric Brunner: Plan A war nicht der Fußball

Artikelbild:Cedric Brunner: Plan A war nicht der Fußball

Für den Traum von der Profikarriere setzen viele junge Talente alles auf eine Karte. Cedric Brunner nicht – selbst nach dem Durchbruch fährt der 28-jährige Schweizer noch zweigleisig. Im Interview mit dem Schalker Kreisel verrät der Rechtsverteidiger, wie ihm sein Psychologie-Studium in angespannten Situationen auf dem Platz hilft, welchen Traumberuf er eigentlich hatte und in wessen Wohnung er aktuell untergekommen ist.

Cedric, neben dem Fußball absolvierst du ein Studium in Psychologie. Wie weit bist du bereits? Zwei, drei Examen stehen noch aus, abschließend folgt noch die Bachelorarbeit. Um die Prüfungen und ein passendes Thema möchte ich mich aber erst kümmern, wenn ich wieder ein wenig mehr Zeit habe, nach meinem Wechsel alles organisiert habe und hier richtig angekommen bin.


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Klingt nach Zielgerade. Richtig, angefangen habe ich bereits 2012 in Zürich, und im ersten Jahr konnte ich noch nicht mein eigenes Tempo gehen und alles mit dem Training vereinbaren, sondern musste mich mit den anderen Studierenden am Lehrplan orientieren. Das war schon recht intensiv. Als ich 2018 zu Arminia Bielefeld gewechselt bin, habe ich mich in Zürich exmatrikuliert und das Studium an einer Fernuni in Hamburg fortgesetzt. Mir ist wichtig, den Bachelor noch während meiner Karriere abzuschließen. Ob ich den Abschluss aber mit 28 oder 30 Jahren in der Tasche habe – darauf kommt es für mich nicht unbedingt an.

Blickst du durch Eindrücke aus dem Studium anders auf deinen Job als Profifußballer? Man befasst sich automatisch mit ein paar anderen Aspekten, macht sich gezieltere Gedanken darüber, was im Kopf vorgeht – und wie wichtig dieser letztlich auch im Hochleistungssport ist. Ich selbst habe schon mit Psychologen zusammengearbeitet, weil es mir guttut und mich total interessiert. Meiner Meinung nach wird im gesamten Sport noch immer zu wenig in dieser Richtung gearbeitet, weil das Thema häufig zu negativ konnotiert ist. In der Gesellschaft galt psychologische Arbeit lange als Anzeichen für Schwäche, speziell in einer Sportart wie dem Fußball. Für mich ist sie genau das Gegenteil: nämlich die Stärke, auf allen Ebenen an sich arbeiten und sich entwickeln zu wollen.

Nun stehen dem S04 spannende Wochen ins Haus. Wenn wir den Psychologie-Studenten in dir sprechen lassen: Sind Derbys auf mentaler Ebene so viel anders als andere Bundesliga-Spiele? Ich glaube schon, dass der Gegner und die Umstände einer Partie etwas mit dem Spieler machen. Dass Duelle mit Bochum oder Dortmund einen besonderen Stellenwert für die Fans, die Stadt und den Verein haben, schwebt immer irgendwo im Hinterkopf herum. Das kann bedeuten, dass manch einer vielleicht einen Tick nervöser ist. Faktisch bleibt es ein Spiel, das 90 Minuten dauert und dem Sieger drei Punkte beschert, aber der Stellenwert hebt die Partie auf ein höheres Level in vielen Bereichen.

Was kann das in Spielern auslösen? Jeder kanalisiert die Begleitumstände in eine andere Richtung – den einen beflügelt es, der andere hat gehörigen Respekt davor. Da tickt jeder anders.

Welche Mittel und Wege kennst du, um damit bestmöglich umzugehen? Was mir immer gut hilft, ist Meditation. Wenn die Nervosität sehr akut ist, nehme ich mir 15 Minuten um durchzuschnaufen. Mich hinzusetzen und abzuschalten, einfach mal bewusst runterzukommen, tut mir sehr gut.

Nicht bloß die beiden Derbys, auch die gesamte Saison ist nach dem Aufstieg auf mentaler Ebene herausfordernd. Fällt einem das leichter, wenn man sich vom ersten Tag vollständig auf den Kampf um den Klassenerhalt fokussiert? Definitiv. Ich selbst hatte mal eine Phase beim FC Zürich, in der niemand damit gerechnet hatte, dass wir tatsächlich in den Abstiegskampf rutschen. Dann zum Ende der Saison noch das richtige Mindset für eine solche Situation zu bekommen, ist ungemein schwierig. Hier auf Schalke weiß jeder, dass eine herausfordernde Saison vor uns liegt. Wir alle haben ein gemeinsames Ziel, das wir nur zusammen erreichen können.

Was hilft dir dabei eher: Spiel für Spiel anzugehen oder längerfristige Etappenziele? Ich habe auch persönliche Etappenziele, die ich etwa nach der Hälfte der Saison oder im Verlauf des Jahres erreichen möchte. Man fährt aber auch aus psychologischer Sicht tatsächlich besser, wenn man von Spiel zu Spiel denkt. Es klingt abgedroschen und wirkt auf viele für eine typische Sportlerfloskel, aber uns bringt es sportlich und mental nichts, wenn wir uns aktuell bereits mit Dingen befassen, die im Januar warten. In der Gegenwart kann man sich am besten auf die Aufgabe konzentrieren, die unmittelbar vor einem liegt.

Den Abstiegskampf in der Bundesliga erlebst du bereits zum dritten Mal in Serie, mit Arminia Bielefeld ging er im Mai nicht positiv aus. Was hast du daraus für Lehren gezogen? Eben genau das, worüber wir gerade sprachen. Es bringt nichts, sich Gedanken über Dinge zu machen, die in fünf Wochen oder nach den nächsten drei Spielen stattfinden. Es gab in diesen beiden Jahren in Bielefeld nichts anderes, als in jedem Spiel bereit zu sein, alles zu investieren. Es war ein Kampf über 34 Runden, jede Partie war extrem anstrengend für den Körper und den Kopf. Im ersten Jahr konnten wir noch für die große Überraschung sorgen, aber da hat man eben auch gesehen, was mannschaftliche Geschlossenheit ausmachen kann. Denn spielerisch waren wir den anderen Teams nicht überlegen.

Wie kamst du danach zu Königsblau? Den ersten Kontakt hatte ich im Sommer mit Sportdirektor Rouven Schröder. Anschließend hat mich auch Frank Kramer kontaktiert, nachdem er als neuer Chef-Trainer vorgestellt wurde. Unter ihm habe ich ja auch in Bielefeld gespielt.

Also auch ein wichtiger Faktor für den Wechsel? Wenn man von Schalke angefragt wird, braucht man nicht groß überzeugt zu werden. Gezögert habe ich dennoch kurz – nicht aber aufgrund der Frage, ob ich will, sondern ob ich mir zutraue, bei einem solch riesigen Verein in der Bundesliga zu spielen. Victor Palsson war mir noch aus unserer Zeit in Zürich bekannt – wenn man dann auch den Trainer bereits kennt und weiß, welche Idee vom Fußball er verfolgt, verkürzt einem so etwas die Eingewöhnungszeit.

Wie hattest du Schalke 04 zuvor wahrgenommen? Den Club habe ich bereits als kleiner Junge in der Schweiz verfolgt, schließlich herrscht dort ein großes Interesse an der Bundesliga. Und Schalke war immer einer der größten Vereine, der auch weltweit bekannt ist und eine gewisse Strahlkraft besitzt. Zweimal durfte ich auch gegen den S04 in der Bundesliga spielen – aber da glaube ich, ihn nicht so erlebt zu haben, wie er eigentlich ist. Die Pandemie hatte auch die Liga im Griff, Geisterspiele waren die temporäre Normalität, und es war kein Zuschauer im Stadion, als wir hier spielten. Das kann man absolut nicht damit vergleichen, was ich nun als königsblauer Fußballer bei Heimspielen erlebe, nämlich das „richtige Schalke“.

Und wie tickt das richtige Schalke? Die Mannschaft besteht aus einer Menge bodenständiger Typen, die mich allesamt gut aufgenommen haben. Und wenn ich den Vergleich zu meinen ehemaligen Vereinen ziehe, ist hier alles zwei bis drei Nummern größer. Der Eindruck verstärkt sich durch die Schweizer Brille noch einmal: So stellt man sich die Bundesliga vor! Von Victor Palsson wurde ich als erstes in Empfang genommen, er hat mir in den Wochen vor seinem Wechsel in die USA alles gezeigt – und er lässt mich bis heute noch in seiner Wohnung wohnen. (lacht)

Am wohlsten fühlst du dich als Rechtsverteidiger. War das immer so? Ich habe ziemlich jede Position gespielt, die vor der Mittellinie liegt. Angefangen vom Innenverteidiger bis hin zum Sechser, ehe ich als zu klein und schmächtig bewertet wurde. Weiter ging es als linker Außenverteidiger, ehe ich wieder ins defensive Mittelfeld durfte und dort auch meinen ersten Profivertrag in Zürich unterzeichnet habe. Doch nach dem ersten Jahr stellte man mich vor die Wahl: entweder sollte ich mich ausleihen lassen oder eine andere Position einnehmen. Auch wegen des Studiums wollte ich Zürich nicht verlassen und mich durchsetzen. So bin ich bis heute rechter Verteidiger geblieben.

Die ersten Schüsse hast du beim FC Maur abgegeben, wie begann für dich die Liebe zum Fußball? Es war die erste Sportart, und bei der bin ich direkt hängengeblieben. Mein Vater war Hobbykicker, er hat mich regelmäßig zum Platz mitgenommen. Und mit viereinhalb Jahren hatte ich dann mein Debüt in der Pampers-Mannschaft des FC Maur. (lacht) Von daher gab es nie eine wirkliche Alternative, es hat mir Spaß gemacht, und ein gewisses Talent schien ich auch zu besitzen. Für meine Mutter war es auch okay, den nächsten Fußballer im Haus zu haben, sie hat mich toll unterstützt und nach dem Wechsel zum FC Zürich lange noch zu jedem Termin gefahren. Ohne diese Hilfe hätte ich all das sicher nicht so gut hinbekommen.

Wie sind die Züricher auf dich aufmerksam geworden? Wir waren 2012 mit dem FC Maur zu Gast auf einem Hallenturnier. Nach einem Spiel hat der Scout meine Mutter angesprochen und mich zum Probetraining eingeladen. Kurioserweise hatte ich in der Partie mein erstes Eigentor überhaupt erzielt, ich weiß nicht genau, was sie damals in mir gesehen haben. (lacht)

Immerhin war das der Startschuss zu zwölf Jahren beim FCZ. Gab es Personen, die dich auf dem Weg zum Profi dort besonders geprägt haben? Das gilt auf alle Fälle für Artur Petrosjan, meinen Trainer in der U16, U18 und U21. Er ist früher selbst Profi gewesen, unter ihm konnte ich in dieser langen Zeit und wichtigen Phase kurz vor dem Sprung in den Seniorenbereich viel lernen und mich entwickeln. Auch Sami Hyypiä hatte entscheidenden Anteil, nachdem er die Profis übernommen und mich zum Stammspieler gemacht hatte. Beide Coaches haben an mich geglaubt und mir sehr geholfen.

Dass dir Bildung wichtig ist, scheint offensichtlich. Hattest du einen Plan B für den Fall, dass Fußball nicht dein Hauptberuf werden würde? Ich muss gestehen: Plan A war eigentlich nicht der Fußball. Ich wollte Arzt werden wie mein Vater, der Rheumatologe und Sportarzt ist und zeitweise auch Mannschaftsarzt des FC Zürich war. Mein Ziel war das Medizinstudium, Schule hatte oberste Priorität, vielleicht hätte ich irgendwann die Praxis meines Vaters übernommen. Fußball dagegen hat mir einfach Spaß gemacht, bis dann irgendwann doch der Switch kam. Vielleicht war aber gerade diese Denkweise vorteilhaft, weil ich mich auf diesen Profitraum versteift habe und immer eine gewisse Lockerheit im Sport hatte. Wenn man etwas zu sehr möchte, droht man häufig zu verkrampfen.

Nach sechs Profijahren folgte das nächste Kapitel in Deutschland. Wieso wolltest du 2018 zur Arminia in die Zweite Bundesliga wechseln? Es war auch eine Entscheidung dafür, mich als Mensch weiterzuentwickeln. Zürich war meine Komfortzone, ich habe daheim im „Hotel Mama“ gelebt, alle Freunde waren in der Nähe, das Leben war einfach und locker. Ich habe gespürt, dass es für meine persönliche und sportliche Entwicklung wertvoll wäre, endlich mal etwas anderes zu sehen, allein irgendwo im Ausland zu wohnen. Deutschland war perfekt, es gab keine Sprachbarriere. Für mich war es ein toller Schritt, weil der Fußball hier selbst in der Zweiten Liga noch stärker zelebriert wird als daheim in der höchsten Spielklasse. Ich habe es als Bewährungsprobe gesehen – und hätte damals nie gedacht, dass ich mal Bundesliga spielen und das Privileg erhalten würde, für einen Verein wie Schalke zu spielen.

Hat dich seither jemand nach Deutschland begleitet? In Bielefeld habe ich allein gewohnt, das ist auch jetzt noch so. Meine Freundin ist damals in der Schweiz geblieben, weil sie dort ihrem Job im Marketing bei einem großen Frauenmagazin nachgeht. Und ich finde es toll, dass sie wegen mir nicht einfach alles stehen und liegen lässt, sondern ihr eigenes Ding macht. Das hat in sieben Jahren auf Distanz bislang gut geklappt – wobei sie die ersten drei Jahre lustigerweise in München studiert hat, während ich in Zürich gespielt habe. Und als sie zurückkam, bin ich nach Deutschland gegangen. (lacht) Wir kennen es also nicht anders und freuen uns, wenn es irgendwann anders sein wird, aber aktuell genießen wir auch die Zeit, wenn wir uns alle zwei Wochen sehen.

Was würdest du außer der Schweiz und Deutschland gerne noch entdecken? Eine Weltreise fände ich irgendwann sehr cool, ich will viel von der Welt sehen. Und sportlich reizt mich der englische Fußball, gerne auch in der Zweiten Liga. Im Mutterland des Fußballs wird der Sport ähnlich euphorisch zelebriert wie hier.

Und nach der Karriere wird aus dem Sportler der Psychologe? (schmunzelt) Das wäre zumindest naheliegend. Schön ist aber, dass man mit dem Abschluss in viele Bereiche gehen kann, beispielsweise auch in die Unternehmensberatung. Wenn es so weit ist, werde ich mir aber die nötige Zeit nehmen und herausfinden, worauf ich wirklich Bock habe. Und dann wird sich auch was Cooles ergeben.

Enrico Niemeyer

… könnte bei Fußballspielen vor dem Fernseher hin und wieder auch mentale Hilfe gebrauchen.

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