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·30. November 2024
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Nuri Sahin will aus dem BVB eine Ballbesitzmannschaft formen. Gegen den FC Bayern wird seine Vision auf die Probe gestellt. Im Fokus stehen vor allem zwei Akteure.
Seit seiner Ankunft als Co-Trainer in der letzten Winterpause wird Nuri Sahin, der ehemalige Mittelfeldstratege, insbesondere mit einem Aspekt des Spiels in Verbindung gebracht, nämlich dem Spielaufbau.
Jeder, der den BVB auch nur halbwegs regelmäßig unter Terzic verfolgte, wird wissen, wie einfach es war, die Schwarzgelben mit Pressing aus dem Konzept zu bringen. Die Folge: Viele lange Bälle ins Nichts und keine Spielkontrolle. Mit Sahins Ankunft wurde sofort der 3-2-Aufbau implementiert und verstärkt das flache Herausspielen aus dem eigenen Strafraum einstudiert. Aus dem BVB wurde mitnichten eine kreative Ballbesitzmannschaft, aber zumindest fand man auch mal vernünftige Lösungen gegen Teams, die auch mal höher anliefen. Das war zuvor nicht wirklich der Fall war.
Seit dem Sommer ist Terzic aber Geschichte und schon in der Vorbereitung kommentierten Spieler selbst recht offen, dass sich einiges veränderte. „Wir werden noch mehr und konsequenter hinten raus spielen“, betonte Keeper Gregor Kobel einen der Unterschiede der beiden Philosophien gegenüber den „Ruhrnachrichten„. Er sprach von einer „anderen Auslegung“ unter Terzic und dass der BVB in den zwei Jahren zuvor nicht so stark auf ein flaches Aufbauspiel setzte. „Ohne das zu werten“, ergänzte der Schweizer.
Und das sieht man den Dortmundern auch bis heute noch an. „Trust the process“, war Sahins Bitte an die BVB-Fans vor dem Saisonstart. Doch das Vertrauen hat bei einigen schon schwer gelitten, auch weil das Spiel der Borussen immer noch sehr fehleranfällig ist. Übt der Gegner Druck aus, erlahmt das Spiel der Schwarzgelben viel zu oft. Egal, ob es gegen den VfB Stuttgart (1:5), Union (1:2) oder Real Madrid (2:5) ging: Läuft man die Defensive des BVB etwas intensiver an, wackelt die Sahin-Elf. Zwar wird oft auf die makellose Heimbilanz in der Bundesliga verwiesen (sechs Siege in sechs Spielen), aber auch hier gab es etliche Phasen, in denen zu sehen war, wie weit der aktuelle Tabellenfünfte von Sahins Vision noch entfernt ist.
„Wenn du risikoreich – gerade gegen Mannschaften, die pressen – rausspielen möchtest, dann ist es unfassbar wichtig, dass jeder einzelne dort seinen Job erledigt, anspielbar ist, den Ball will und mutig ist“, warnte Kobel noch Anfang August. Mit dem FC Bayern wartet nun jetzt ein Gegner, der so eklig presst, wie kaum eine andere Mannschaft in Europa.
Für den BVB und Sahin stellt sich nicht nur die Frage, ob sie diese Herausforderung bestehen, sondern auch wie man sie angeht. Der 36-Jährige hat jetzt wiederholt betont, nicht von seiner Grundidee abweichen zu wollen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger wird wohl nicht ausschließlich auf Konterfußball gesetzt, wenn stärkere Gegner kommen. Doch kann das auch gut gehen, wenn – bei allem Respekt – selbst der VfL Bochum (4:2) zur Zerreißprobe wurde?
Die gute Nachricht für BVB-Fans: Zuletzt machte Dortmund – auch im Spielaufbau – große Fortschritte. Nach dem Aus im DFB-Pokal gegen den VfL Wolfsburg, passte Sahin sein System leicht an und wechselte von einem 4-2-3-1 auf ein 4-3-3. Natürlich spielte diese Umstellung eine große Rolle bei dem Formanstieg der Borussen, aber ein noch größerer Faktor dürfte die Entscheidung gewesen sein, Felix Nmecha als alleinigen Sechser aufzustellen.
Der 24-Jährige beweist zum ersten Mal seit seiner Ankunft vor eineinhalb Jahren, warum der BVB 30 Millionen Euro für ihn ausgegeben hat. Bei seinem ersten Interview mit den Vereinsmedien hat er seinen Spielstil folgendermaßen beschrieben: „Ich versuche viel für die Mannschaft zu machen – mit und ohne den Ball. Ich versuche immer selbstbewusst zu spielen, will immer den Ball haben, Chancen kreieren und für die Mannschaft kämpfen.“
(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)
All das hat er bis vor wenigen Wochen noch nicht gezeigt, ist jetzt aber nicht mehr aus der Startelf wegzudenken. Zwischen Nmechas und Emre Cans Fähigkeiten am Ball liegen Welten. Während der Kapitän selbst in der ersten Runde im DFB-Pokal mit dem Pressing des Regionalligists Phönix Lübeck zu kämpfen hatte, strotzt Nmecha am Ball nur so vor Selbstvertrauen.
Seitdem er den alleinigen defensiven Mittelfeldspieler gibt, findet der BVB zuverlässig spielerische Lösungen, um sich aus der Umklammerung seiner Gegner zu befreien. So geschehen auch beim 2:1 gegen RB Leipzig oder dem 4:0 gegen den SC Freiburg – den zwei besten Auftritten der bisherigen Saison. Auch defensiv überzeugte der Nationalspieler zuletzt regelmäßig. Immer wieder erobert er einen Ball nach dem anderen. Hier und da sind zwar noch Unsauberkeiten und etwas sorglose Aktionen in seinem Spiel, aber der Aufwärtstrend ist klar erkennbar.
Der Treffer zum 2:0 gegen die Breisgauer am vergangenen Wochenende war exemplarisch für sein Spiel: Nmecha spielte im gegnerischen Drittel zwar einen Fehlpass, eroberte den Ball aber danach sofort wieder. Wenige Sekunden später forderte er vehement ein Zuspiel und erzielte dann aus 20 Metern sein zweites Saisontor in der Bundesliga. Das Selbstbewusstsein, das er mittlerweile ausstrahlt und das Selbstverständnis, Motor des BVB zu sein, braucht es auch gegen die Elf von Vincent Kompany.
Ohne eigene Ballbesitzphasen wird das Spiel zu hektisch und diesem FC Bayern darf man nicht nur 90 Minuten hinterher rennen. Das geht für kein Team der Welt gut aus. Mit einem langen Ball nach dem anderen, weil man sich nicht anders zu befreien weiß, steigt die Wahrscheinlichkeit enorm, dass der Rekordmeister genau das Spiel bekommt, auf das er Lust hat.
Zusammen mit dem spielstarken Innenverteidiger-Duo, das aus Nico Schlotterbeck und Waldemar Anton besteht, hat Sahin zumindest weitestgehend das Personal zusammen, um seinen gewünschten Spielaufbau auf den Platz zu bringen. Dortmund wäre aber nicht Dortmund, wenn es nicht noch ein recht komplexes Problem geben würde.
Denn so wichtig die Systemumstellung und der Wechsel von Nmecha zu Can war, gibt es noch einen Führungsspieler, der nicht gerade ideal für den neuen Dortmunder Spielansatz ist: Kobel. So brillant der Schweizer auf der Linie ist, so frustrierend ist er mit dem Ball am Fuß. Im Spiel gegen Freiburg gab es auch für seine Auftritte eine exemplarische Szene: Beim Stand von 1:0 geriet der Keeper nach einem Rückpass von Schlotterbeck leicht unter Druck, spielte einen Fehlpass direkt in die Füße von Ritsu Doan, der wiederum Vincenzo Grifo bediente. Kobel parierte daraufhin souverän gegen den Freiburger, hatte dann aber auch Glück, dass Lucas Höler erst die Latte traf und Anton im Anschluss den erneuten Versuch vor der Linie klären konnte.
(Photo by Christof Koepsel/Getty Images)
Kobel hat den BVB schon oft genug gerettet und ist auch viel zu gut, um überhaupt zur Diskussion zu stehen, aber hätte er am Ball auch nur ansatzweise die Qualitäten der Nummer Zwei, Alexander Meyer, wäre den Dortmundern enorm geholfen. Denn er bringt sich und seine Kollegen immer wieder in unnötige Bedrängnis
Er selbst warnte noch vor wenigen Monaten, dass jeder einzelne Spieler bei solchen Abläufen seinen Job erledigen muss. Wenn er als schwächstes Glied der Kette gegen die Bayern einen guten Tag am Ball erwischt, ist schonmal das Fundament gelegt, um auch gegen den Rekordmeister auf etwas Zählbares zu hoffen.
Man darf gespannt sein, wie weit das Projekt Borussia Dortmund unter Sahin schon wirklich ist. Eine passendere Herausforderung als den FC Bayern unter Kompany gibt es gar nicht.
(Photo by Lars Baron/Getty Images)
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