MillernTon
·14. Januar 2025
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Das Bundesverfassungsgericht hat heute sein Urteil zur Umlegung von Mehrkosten bei Polizeieinsätzen bei Hochrisikospielen gesprochen. Die konkrete Umsetzung bleibt abzuwarten.Titelfoto: Stefan Groenveld
Ein Kommentar von Maik2014 wurde der §4 des Gebühren- und Beitragsgesetzes in Bremen um den folgenden Punkt erweitert:
„Eine Gebühr wird von Veranstaltern oder Veranstalterinnen erhoben, die eine gewinnorientierte Veranstaltung durchführen, an der voraussichtlich mehr als 5000 Personen zeitgleich teilnehmen werden, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Veranstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumlichen Umfeld der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften vorhersehbar erforderlich wird. Die Gebühr ist nach dem Mehraufwand zu berechnen, der aufgrund der zusätzlichen Bereitstellung von Polizeikräften entsteht. Der Veranstalter oder die Veranstalterin ist vor der Veranstaltung über die voraussichtliche Gebührenpflicht zu unterrichten. Die Gebühr kann nach den tatsächlichen Mehrkosten oder als Pauschalgebühr berechnet werden.“ transparenz.bremen.de
Dies ist die rechtliche Grundlage dafür, dass Bremen fortan bei Hochrisikospielen Rechnungen für die Mehrkosten der Polizeieinsätze an die DFL verschickte, im Vergleich zu den Kosten bei „normalen“ Spielen im Weserstadion. Erstmals geschah dies im April 2015 beim Spiel gegen den HSV.
Die DFL ging dagegen juristisch vor und anschließend den Weg durch die Instanzen. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde heute final ab. Die Erhebung einer Gebühr für polizeilichen Mehraufwand ist also rechtens, beziehungsweise mit dem Grundgesetz vereinbar. Ob dies auch politisch sinnvoll ist, ist nicht Bestandteil des Urteil oder Sache des Gerichts.
Zunächst einmal bedeutet dies, dass der SV Werder nun die Rechnungen bezahlen muss. Bisher gab es (Quelle: kicker) insgesamt sieben Gebührenbescheide über 1,95 Millionen Euro. Davon stundete die DFL dem Verein 50%, die andere Hälfte hat der Verein bereits bezahlt. Zwei weitere bereits absolvierte Spiele stehen in der Rechnungsstellung demnach noch aus. Die anderen Vereine der DFL haben eine Kostenbeteiligung bisher abgelehnt. Der Spiegel (sid) berichtet hingegen von bestehenden Forderungen von drei Millionen Euro. Gut möglich, dass die Differenz jene zwei Spiele sind, die beim kicker als noch ausstehende Rechnungen notiert sind.
Ob und wenn ja welche Bundesländer jetzt nachziehen ist offen. In Hamburg gibt es zwar einen Antrag aus dem September 2024. Allerdings sagte Innensenator Andy Grote dem kicker auf Nachfrage, dass man keine „isolierte Lösung“ für Hamburg sondern ein „einheitliches Vorgehen deutschlandweit“ anstrebe. Ähnliche Töne gibt es aus Hessen und Rheinland-Pfalz.Ein einheitliches Vorgehen der Bundesländer ist zwar wünschenswert, aktuell aber nicht abzusehen, da Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Sachsen bisher eine Weiterreichung der Polizeikosten an die Klubs ablehnen.Wir hatten damals schon einen Kommentar zum Thema veröffentlicht, an dessen Aussage sich bis heute nichts verändert hat: „Ein unkalkulierbares Risiko“
Daraus:„Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Kosten für Polizeieinsätze und damit die Last auf die Steuerzahler’*innen rund um Fußballspiele wohl auch anders verringert werden kann, ohne die Einsätze den Clubs in Rechnung zu stellen. Indem einfach weniger Polizei eingesetzt wird. So zeigen die Beispiele aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen klar an, dass weniger Polizeipräsenz nicht zu mehr Vorfällen rund um Fußballspiele führt und ein Stadionbesuch generell eine sehr sichere Nebenbeschäftigung ist (hierzu ist auch dieser Text interessant).“
Die praktische Umsetzung steht außerhalb Bremens ohnehin noch aus. Wie die Braun-Weiße Hilfe nach einer Anfrage an die Bürgerschaft heute veröffentlichte, ist weder die Einteilung der Spiele in die Gefährdungsbewertung (niedrig, mittel, hoch) transparent, noch werden bisher in der Regel die Einsatzkosten der Polizei in Hamburg gesondert erhoben.Die Polizei entscheidet demnach also selbst, ob es ein Hochrisikospiel ist und mit welchen Maßnahmen sie dieses begleitet. Wer sich an zahlreiche Wannen bei Spielen gegen den SV Sandhausen oder eine Pferdestaffel gegen Fürth erinnert, bei denen nun wirklich keinerlei „Risiko“ für die Sicherheit bestand, wird nachvollziehen können, dass die Vereine hier mehr Transparenz fordern würden, wenn es plötzlich Rechnungen für diesen Mehraufwand gebe.
Im Endeffekt soll hier eine Dienstleistung bezahlt werden, auf die man im Vorfeld keinerlei Einfluss hat. Die im Extremfall sogar weder nötig noch gewünscht ist.Es fällt leicht sich vorzustellen, dass die Gerichte zukünftig sehr regelmäßig mit Beschwerden gegen derlei Gebührenbescheide beschäftigt sein werden, solange hier nicht transparente Kriterien geschaffen werden.
Deutliche Worte hierzu fand auch der Dachverband der Fanhilfen, in Person von Vorstandsmitglied Linda Röttig:
„Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Freifahrtschein für einen immer aggressiver und martialischer auftretenden Polizeiapparat. Fußballfans im ganzen Land sind bereits jetzt Woche für Woche mit massiven Polizeieinsätzen konfrontiert. Völlig unkontrolliert bestimmt die Polizei dabei selbst, wie viele Einsatzkräfte sie in und um die Stadien einsetzt. Dass die daraus entstehenden Kosten nun an die Vereine weitergegeben werden können, halten wir weiterhin für völlig falsch. Wer sich über zu hohe Polizeikosten beschwert, muss die Einsatzstärke endlich an der Realität ausrichten. Bisher bestimmt allein das Feindbild Fan der Polizei, wie groß der Einsatz wird. Eine unabhängige Kontrolle findet nicht statt. Dies ist ein unhaltbarer Zustand.“ Linda Röttig, Dachverband der Fanhilfen e. V.
Auch die bundesweite Interessenvertretung „Unsere Kurve“ äußerte sich zum Urteil gegenüber der Sportschau gewohnt klar. Es sei zu befürchten, „dass damit der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland langfristig schwerer Schaden zugefügt wurde. Nach Auffassung von Unsere Kurve und im Einklang mit den Ansichten unzähliger Fachleute ist die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung eine Kernaufgabe des Staates.“
Wichtig zur Unterscheidung: Ein Hauptteil des Aufwands der Polizei betrifft die Sicherung der An- und Abreise. Im direkten Verantwortungsfeld der DFL und ihrer Vereine, nämlich den Stadien, ist Gewalt kaum noch vorhanden. In Anbetracht der Anzahl an Spielen und der anwesenden Menschen, passiert in den Stadien sogar fast gar nichts mehr. Würde man Pyrotechnik legalisieren, wären die Eingriffs“gründe“ für die Polizei noch weniger vorhanden als ohnehin schon.
Die Sicherheit in den Stadien organisieren die Vereine selbst, über den Ordnungsdienst. So, wie es alle anderen Veranstalter von Großveranstaltungen auch machen. In all den Jahren, in denen ich zum Fußball gehe (Ende der 80er), kann ich mich an maximal zwei Anlässe erinnern, bei denen die Polizei einen hilfreichen Beitrag im Stadion leisten konnte. Ich kann aber ebenso problemlos eine (mindestens) zweistellige Anzahl an Vorfällen nennen, bei denen das Verhalten und das Eingreifen der Polizei im Stadion eine Situation unnötig eskalierte. Womit wir wieder beim Punkt „unnötiger Mehraufwand“ wären.Will sagen: Die Vereine sorgen für die Sicherheit ihrer Veranstaltungen. Geschultes und mit den Umständen vertrautes Ordnungspersonal (an dem man gesondert natürlich ebenfalls Kritik üben kann) ist dafür da, die Veranstaltung zu sichern und wird dafür von den Vereinen bezahlt. Mit einem klaren Auftrag und einer (für den Auftraggeber) transparenten Kostenkalkulation.
Ein Hauptteil der Kosten der Polizei fallen also für die Sicherung der An- und Abreise der Fangruppen an. Hier kann man mit guten Gründen argumentieren, dass dies ohnehin originäre Aufgabe der Polizei ist, siehe obiges Zitat von Unsere Kurve. Ein eventueller Vergleich zur Sicherung von anderen Großveranstaltungen wie Konzerten hinkt hingegen eher, weil dort (in der Regel) deutlich weniger Aggressionspotential vorhanden ist.
Klar ist, dass eine bundeseinheitliche Lösung her muss, wie es bereits auch von einigen Bundesländern gefordert wird (Sportschau). Sollte weiterhin nur Bremen den im eigenen Bundesland befindlichen Verein (oder genauer: die DFL) zur Kasse bitten, wäre dies ohnehin ein erheblicher Eingriff in den sportlichen Wettbewerb. Gleichzeitig wäre ein (von Watzke ja bereits abgelehnter) Solidarfonds der Vereine auch nur dann sinnvoll, wenn man diesen analog der aktuellen TV-Einnahmen staffelt. Eine gleichmäßige Belastung aller Vereine nach Liga, wäre in diesem Fall unverhältnismäßig.
Also vielleicht eine Beteiligung nach Zuschauer*innenzahlen? Umgekehrt gilt es aber auch zu verhindern, dass Vereine wie die durch VW und SAP begünstigten Wolfsburg und Hoffenheim lachend darauf verweisen, dass es bei denen mangels Zuschauern auch kein Risiko gibt und sie sich ohnehin nicht beteiligen. Klingt also schon jetzt nach Quadratur des Kreises.Auch der FC St. Pauli hat in seiner Stellungnahme heute darauf hingewiesen, dass eine massive Ungleichbehandlung der Vereine droht.
Noch komplizierter wird es, wenn man den Blick auf die unteren Ligen richtet. Mag eine halbe Million Euro für einen Bundesligisten bei zwei oder drei Spielen im Jahr noch in den Etat passen, dürfte es in der 3. Liga oder den Regionalligen hingegen sehr schnell existenzbedrohend werden. Zuschauerzahlen jenseits der 5000 werden aber auch da regelmäßig erreicht.Kann der DFB bei seinen Pyrostrafen noch nach Liga und damit Einkommensverhältnissen steuern, dürfte dies bei einem Gebührenbescheid für Polizeikosten schwieriger werden – zumindest nach meinem Laienverständnis. Vielleicht gibt es da aber (wie bei Tagessätzen für persönliche Strafen) ja auch hier eine praktische Lösung.
Dieses Zitat der Zwischenüberschrift ist frei erfunden und auch komplett falsch, liegt aber als Konsequenz des Urteils auf der Hand. Ohne Gästefans minimiert sich der Aufwand der Polizei erheblich, insbesondere bei der An- und Abreise. Vereine, die sich die Gebührenbescheide finanziell nicht mehr leisten können, könnten auf die Idee kommen, Gästefans auszusperren. In ähnlicher Form ist dies bereits bei Spielen im Europapokal zu beobachten.
Ich will jetzt nicht wieder mit „Fußball muss dreckig bleiben“ anfangen, aber ein Spiel ohne Gästefans verliert sehr schnell seinen Zauber, wir wir bereits mehrfach in Spielen gegen Hansa Rostock feststellen mussten. Nun werden diese beiden Teams hoffentlich in naher Zukunft nicht mehr aufeinandertreffen – aber wenn doch, läge zumindest aus finanzieller Sicht dann ein Ausschluss von Gästefans fast schon auf der Hand, sollte die Bremer Praxis bis dahin Schule machen.
Erstaunlich ist, wie wenig Lobbyarbeit die DFL vorab in eigener Sache anstrengte. Klar, Hans-Jürgen Watzke polterte ein bisschen, auch Oke Göttlich äußerte sich jüngst gegenüber der Sportschau – aber unterm Strich waren die medialen Anstrengungen der DFL überschaubar. Vielleicht, weil man mit dem Bundesverfassungsgericht einen ungewohnten „Player“ im Spiel hatte, bei dem man bei zu viel eigenem Wind mit einem bösen Echo rechnete – aber ich spekuliere.
Dabei hätte man doch jenen eben erwähnten „Die organisieren sich ihre eigene Kostenerstattung“-Punkt wesentlich mehr hervorheben können. Oder man hätte offensiver anführen können, dass 1,6 Milliarden Euro Steuern und Abgaben ja nun auch nicht „Nichts“ sind und man so ohnehin bereits einen gehörigen Teil des Kuchens bezahlt. Die landläufige Meinung, die Profivereine würden nur Geld einsacken und nichts davon zurückführen, hätte man so zumindest etwas einbremsen können, als Kontrapunkt zu der Lobbyarbeit der Polizeigewerkschaften. (Kleiner Nebenaspekt, wenn wir schon über Polizeigewerkschaften reden: Andy Grote sagte jüngst, die Hamburger Polizei habe für alle Aufgaben ausreichend Personal (NDR). Zusätzliche Einstellungen oder Gehaltserhöhungen würde es durch die neuen Einnahmen also wohl eher nicht geben – die öffentlichen Kassen aber würden entlastet werden, klar.)
Auch der soziale Aspekt der Jugendarbeit wird medial vernachlässigt. Wenn beispielsweise Michael Gabriel (Koordinationsstelle Fanprojekte KOS) Stadien an Spieltagen als „größte Jugendhäuser der Stadt“ bezeichnet, hat er einen wichtigen Punkt. Gewalt von (insbesondere männlichen) Jugendlichen ist ja kein Problem der Sportart Fußball, sondern ein gesellschaftliches Problem, welches eben an Spieltagen in einem Themengebiet konzentriert sichtbar wird. Wird der Profifußball durch (beispielsweise) nochmals deutlich höhere Eintrittspreise oder die Abschaffung von Stehplätzen „befriedet“, mag die „Gewalt“ sich aus dem Fußball vielleicht verabschieden – aber deswegen ist sie ja nicht weg. Sie verlagert sich wahlweise in die unteren Ligen oder in andere Betätigungsfelder. Ob dies der Polizei langfristig hilft oder sogar eher zu noch mehr Arbeit führt, darf gerne diskutiert werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat heute in der Sache entschieden, dass die Gebührenbescheide der Hansestadt Bremen so verfassungsgemäß sind.Die konkrete Umsetzung des Urteils außerhalb von Bremen bleibt abzuwarten. Insbesondere in Hamburg fehlt dafür momentan eine juristische Grundlage. Diese könnte zwar jederzeit geschaffen werden, aufgrund der fehlenden bundesweiten Einheitlichkeit ist aber nicht mit einer kurzfristigen Lösung zu rechnen.
Ein Hauptaugenmerk bei der weiteren Betrachtung sollte außerdem sowohl seitens der Bundesländer als auch bei der DFL und dem DFB darauf gelegt werden, den sportlichen Wettbewerb im Auge zu behalten und die finanziellen Rahmenbedingungen gegebenenfalls anzupassen.So oder so dürfte das heutige Urteil ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg dahin sein, Gästefans beim Fußball langfristig und immer häufiger zu verbieten. Dem gilt es entschieden entgegenzutreten.// Maik
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