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·28. April 2020

Brief an DFL-Chef Seifert: Was der Profi-Fußball falsch gemacht hat

Artikelbild:Brief an DFL-Chef Seifert: Was der Profi-Fußball falsch gemacht hat

Christian Seifert, Chef der Deutschen Fußball-Liga (DFL), fragte zuletzt öffentlich erstaunt, was der Profi-Fußball die letzten Jahre denn falsch gemacht habe. fussball.news-Chefredakteur Daniel Michel versucht altmodisch per Brief Deutschlands führendem Fußball-Lobbyisten einen Hinweis zu geben, indem er ihm von der Beziehung zu seinen Fan-Trikots erzählt.

Lieber Christian Seifert,


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ich wollte zuletzt eine Doktorarbeit darüber schreiben, was im Profi-Fußball falsch läuft. Allerdings ist eine Dissertation auf 256 Seiten begrenzt, weshalb ich dieses Thema leider streichen musste. So komprimiert bekomme ich das auf keinen Fall hin. Dennoch denke ich öfter an Ihre (rhetorische) Frage von letzter Woche zurück: „Was hat der Profi-Fußball in den letzten Jahren falsch gemacht?“ Womöglich hilft es Ihnen, Zugang zu diesem Thema zu finden, wenn ich Ihnen von meiner Beziehung zu Fan-Trikots erzähle.

Kaum Fan-Trikots Ende der 1980er Jahre

Ende der 1980er Jahre waren für mich Fan-Trikots nur schwer zu erwerben – und besonders hübsch waren sie meist auch nicht, auch wenn viele Jerseys von damals heute Kult-Status besitzen. Alles änderte sich für mich Mitte der 1990er Jahre, als man sich plötzlich beim Design der Trikots Mühe gab und die Shirts einfacher zu kaufen waren. Zudem wurden den Spielern feste Nummern zugeteilt. Ich habe damals natürlich sofort bei einem Trikot zugeschlagen – doch schon kurze Zeit später kam für mich als zwangsgestörten Fan das erste Problem auf: Irgendein Marketing-Leiter war der Meinung, dass Name und Nummer auf dem Rücken der Trikots nochmal anders zusammengestellt werden müssten. Da ich immer auf dem neuesten Stand sein wollte, erklärte ich meinen Mitspielern im Fußballverein, dass sie ihr aktuelles Trikot schon bald in die Tonne treten können, weil es eben bald nicht mehr aktuell sein werde. Freunde habe ich mir damit keine gemacht. Aber wer braucht schon Freunde? Hauptsache das neue Trikot war schnell gekauft.

Was kostet die Produktion eines Trikots?

Stolz trug ich die nächsten Jahre immer wieder ein neues Trikot meines Lieblingsvereins aus der Bundesliga – auch in der Schule. Eines Tages wartete ich auf dem Weg nach Hause an einer Haltestelle auf den nächsten Bus, während neben mir zwei ältere Damen saßen. Die eine „Oma“ fragte mich, was ich denn für dieses Trikot ausgegeben hätte? Stolz sagte ich – so glaube ich mich zu erinnern – „60 D-Mark“. Beide Damen mussten laut aufschreien und lachen. Etwas abfällig langte eine der Damen meinen Trikotärmel an – ich hatte mir für drei D-Mark extra noch das original Logo der Bundesliga besorgt – und sagte: „Mei, was wird des kosten in der Produktion? Maximal zehn Mark.“ Ich war erstmal geschockt – und betonte, dass sie nicht so abfällig über Qualitätsware sprechen solle und natürlich gehe es auch um das Logo, das man stolz auf der Brust trage. Die Dame konnte nur müde lächeln und schob hinterher: „Des wird doch in Indien produziert.“ Etwas verunsichert kam ich zu Hause an und fragte meine Mutter, ob denn die Dame Recht habe mit ihren Aussagen über mein geliebtes Trikot. Meine Mutter antwortete trocken: „Ihr werdet doch alle verarscht von den Vereinen.“ Natürlich koste das Trikot maximal zehn Mark. Mein Vater, der alte Übertreiber, setzte noch eine Bewertung drauf. Das Trikot sei gar nicht in China oder Indien hergestellt worden, so war er sich sicher, sondern in Kambodscha. Dort gebe es noch billigere Produktionskosten. „Zwei Mark“, war er sich sicher.

Gott sei Dank hört man ja auf seine Eltern dann doch nicht als aufgeklärter und stolzer Fan. Ich kaufte also weiter meine Trikots, bis es auch mir irgendwann zu bunt wurde. Gefühlt gab es pro Saison plötzlich vier Trikots: das Heimtrikot, das Auswärtstrikot, das Champions-League-Trikot und das Ausweichtrikot. Jedes Jahr offenbar wurden zwei Jerseys neu designt – ich verlor den Überblick…

Was Fan-Trikots für Kinder heute kosten

Um einen Sprung weiter nach vorne zu machen. Nun sind meine zwei kleinen Neffen auch Fußballfans – und ich habe ihnen schon einiges an „Merch“ gekauft. Liebend gerne würde ich ihnen auch Trikots kaufen. Doch die Preise sind – um ehrlich zu sein – ein Tritt ins Gesicht für jeden kleinen Fan. Je nach Beflockung kosten die Trikots um die 70 oder 80 Euro, rund 150 D-Mark also und damit in etwa das Dreifache von den Ursprungspreisen für die Erwachsenen-Trikots aus den 1990er Jahren. Die Vereine argumentieren sinngemäß, dass die Produktionskosten gestiegen seien, die Trikots zudem aus hochwertigem Material bestehen würden. Vor zwei Jahren erzählte ich einem Banker, dass ich mich weigere, Fan-Trikots für meine Neffen für einen so hohen Preis zu kaufen. Er erklärte mir dabei den Hintergrund dieser Preissteigerung: Weil viele Vereine im Merchandising-Bereich rückgängige Zahlen verbuchen, erhöhen sie bei ihren besten und ertragreichsten Produkten den Preis, um diese Finanzlücke zu schließen.

Seitdem ist mir endgültig klar geworden, dass der Kommerzfußball schon länger Probleme hat, sie aber (noch) gut vertuschen kann. Um aber Ihre Frage aufzugreifen, was der Profi-Fußball denn die letzten Jahre falsch gemacht habe, so kann ich das zugespitzt wohl so formulieren: Banker, Berater, Spieler und Funktionäre wie Sie haben in allen Bereichen nach finanzieller Gewinnmaximierung gestrebt und den Blick für die Realität verloren. Ohne Rücksicht auf Verluste ging es um das Abzocken der größer gewordenen Fußball-Familie. Fußball aber bedeutet in seinem Kern Spaß, Liebe und Zusammenhalt. Wer jedoch für ein Kinder-Trikot 80 Euro hinblättern soll, verliert den Spaß und die Liebe zum Fußball, auch wenn er eine Zeit lang aus Gewohnheit den Kommerzwahnsinn noch mitmacht.

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