MillernTon
·18. Oktober 2024
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Mit 1:2 verliert der FC St. Pauli bei Borussia Dortmund und verpasst den Punktgewinn knapp. Einmal mehr zeigte sich: Wenn der FCSP in der Bundesliga punkten will, dann muss alles passen.(Titelfoto: Alex Grimm/Getty Images/via OneFootball)
Etwas Zählbares für die Tabelle beim Auswärtsspiel in Dortmund zu holen, ist jetzt sicher nicht das, was der FC St. Pauli vor der Saison in der Kategorie „Muss“ für den Klassenerhalt eingruppiert hat. Der Spielverlauf aber zeigte, dass an diesem Freitagabend für den FCSP ziemlich viel möglich war. Doch in einigen Momenten fehlte dann der offensive Nadelstich oder die defensive Zuordnung, um beim BVB zu punkten.
In der Startelf des FC St. Pauli gab es genau einen personellen Wechsel: Die Vernunft besiegte das Herz (also in meinem Fall), Morgan Guilavogui erhielt den Vorzug vor Scott Banks. Cheftrainer Alexander Blessin hatte auf der Pressekonferenz vor der Partie erklärt, dass Banks gegen den Ball noch ein paar Defizite habe (er sollte Recht behalten), während Guilavogui vor allem auch aufgrund seiner Kopfballstärke defensiv eine wichtige Rolle einnehmen könne.
Bei Borussia Dortmund gab es drei Wechsel in der Startelf: Donyell Malen, Ramy Bensebaini und Marcel Sabitzer ersetzten Yan Couto, Maximilian Beier und Jamie Gittens. Einfluss auf die Formation hatten die Wechsel nicht. Das Team von Nuri Sahin agierte in einem 4-2-3-1. Der FC St. Pauli stellte sich in einem 5-2-3 dagegen auf.
Das 5-2-3 des FC St. Pauli sah man dann auch direkt zu Spielbeginn. Sowieso konnte man die defensive Anordnung des FCSP während des Spiels in allen Formen und Farben beobachten. Denn wie erwartet versuchte Borussia Dortmund im kontrollierten Ballbesitz zum Erfolg zu kommen, während sich der FC St. Pauli tief und kompakt zurückzog und versuchte, nicht viele Räume für das Heimteam im eigenen Drittel preiszugeben.
Die Grenze zwischen tief stehen und zu tief stehen ist sehr fließend. In vielen Phasen war es nicht falsch, wenn der FC St. Pauli dem BVB Räume zugestand. Weil diese ungefährlich für das eigene Tor gewesen sind. Problematisch wurde es für den FCSP aber immer dann, wenn man sich zu lange in einem tiefen Verteidigungsblock befand. Je mehr der BVB drückte, umso öfter fiel das Team ins 5-4-1 gegen den Ball. Auch das ist nicht problematisch, solange man sich aus diesen Situationen immer wieder, wenn auch nur kurzzeitig, befreien kann. Das sind die „Nadelstiche“ von denen Blessin vor dem Spiel sprach. Die benötigt es, um in Dortmund erfolgreich zu sein.
Borussia Dortmund war auf die Herangehensweise des FC St. Pauli vorbereitet, brauchte aber lange, um Lösungen zu finden. Bei BVB-Ballbesitz veränderte sich das 4-2-3-1 deutlich: Die Außenverteidiger Ryerson und Bensebaini schoben mit auf die Höhe der letzten Linie des FCSP. Die offensiven Außen, Malen und Sabitzer, machten dort für ihre Mitspieler Platz, indem sie sich in die offensiven Halbräume bewegten und dort zusammen mit Brandt als eine Art „Dreifach-10“ agierten. Dahinter war Can oft alleine im Sechserraum, weil Groß immer wieder nach rechts auswich. Gerade die „Dreifach-10“ nahm der FC St. Pauli in seinem 5-2-3/5-4-1 extrem gut aus dem Spiel, auch Can konnte sich dem gegnerischen Zugriff selten entziehen. So konnten Verlagerungen des BVB oft nur über die Innenverteidiger gespielt werden. Dadurch wurde das Dortmunder Spiel langsam.
Zum Anpfiff der zweiten Halbzeit leuchtete der Gästeblock in Dortmund.
(Alex Grimm/Getty Images/via OneFootball)
Nach etwas wildem Beginn aber insgesamt stabiler Arbeit gegen den Ball – einzig eine Gelegenheit von Guirassy nach fünf Minuten wurde wirklich gefährlich – gelang es dem FC St. Pauli besser, die gewünschten Nadelstiche zu setzen. Das Team presste nun teilweise etwas höher, ließ sich nicht immer ganz tief hinten reindrängen und wurde dann in Umschaltmomenten gefährlich. Der BVB war durch seine hohen Außenverteidiger und den allein im Zentrum verbliebenen Can insgesamt konteranfällig. Und zwischen der 20. und 30. Minute entwickelte sich das Spiel plötzlich in eine ganz andere Richtung: Hohe Ballgewinne des FC St. Pauli waren nun eher die Regel als die Ausnahme, die Nadelstiche wurden schmerzhaft für Dortmund.
Den Abschluss der offensiv guten Phase des FC St. Pauli bildete ein vermeintliches Tor von Morgan Guilavogui. Doch er soll in der Situation um wenige Zentimeter im Abseits gestanden haben. Die zentimetergenaue Überprüfung der Standardsituationen war schon im Spiel des FCSP gegen Freiburg (damals ein Treffer gegen den FCSP) ziemlich befremdlich. Denn es bleibt die Frage, ob man wirklich nachvollziehen kann, wann der Ball gespielt wird. Vor dem Fernsehbildschirm gab es nur die Auflösung zwischen „Ball liegt noch, Smith berührt ihn noch nicht“ und „Ball ist bereits nen halben Meter von Smiths Fuß entfernt“. Und irgendwo dazwischen scheint Guilavogui ins Abseits gelaufen zu sein. Ich habe stark das Gefühl. ein „Sorry, wir können das nicht genauer auflösen, daher gilt die Entscheidung des Schiedsrichter-Gespanns auf dem Spielfeld“ würde dem VAR extrem gut tun. Nicht nur, weil das in diesem Fall womöglich bedeutet hätte, dass der FC St. Pauli mit 1:0 in Führung gegangen wäre.
Dieses Nicht-Tor war dann aber leider auch vorerst das Ende der FCSP-Nadelstiche. Bis zum Halbzeitpfiff wurde man vom BVB immer tiefer in die eigene Hälfte gedrängt. In dieser Phase, so sagte es Alexander Blessin nach Abpfiff, sei der FC St. Pauli „zu tief gefallen“. In den Minuten vor dem Gegentreffer wurde auf jeden Fall bereits ersichtlich, dass Borussia Dortmund das Stilmittel „Flanken aus dem Halbfeld“ als mögliche Lösung für sich entdeckt hatte. Dem FCSP gelang es aus dieser tiefen Verteidigung einfach nicht immer, genügend Druck auf den Flankengeber zu erzeugen. Weil die erste Pressinglinie dort begann, wo der BVB bereits flanken konnte, also zu tief, um genau diese Flanken zu verhindern. In der 43. Minute war es genau eine solche Flanke aus dem Halbfeld, die das 1:0 für Borussia Dortmund brachte.
Torschütze Bensebaini ist in der Situation zum 1:0 als einlaufender ballferner Außenverteidiger extrem schwer zu verteidigen (das ist übrigens genau der Laufweg, den Blessin auch immer von seinen Schienenspielern sehen möchte). Und er trifft den Ball mit dem Kopf auch wirklich so perfekt, dass dieser die einzig mögliche Flugkurve nahm, die zum Tor führen konnte. Denn Kopfbälle aus 14 Metern sind eigentlich meist das Gegenteil von Gefahr.
Und natürlich war der Zeitpunkt des Gegentreffers aus FCSP-Sicht so ziemlich der beschissenste von allen. Denn geht der BVB mit einem 0:0 in die Pause, dann wäre der Druck für sie mit Wiederanpfiff minütlich gestiegen. Genau diese Situation, in der auch das Stadion sicher etwas unruhiger geworden wäre, wollte der FC St. Pauli haben, erklärte Blessin nach Abpfiff. Bekam er aber nicht. Stattdessen musste man froh sein, dass Brandt kurz vor der Pause nicht noch den zweiten Treffer nachlegte, als er völlig frei einen Kopfball über das Tor setzte.
Mit Wiederanpfiff agierte der FC St. Pauli etwas mutiger. Statt im sehr tiefen 5-4-1 verblieb man nun im 5-2-3, auch wenn man tiefer hinten reingedrückt wurde. Teilweise wurde auch mutig vorne draufgegangen. Doch eine Situation wenige Minuten nach Wiederanpfiff, als sich der BVB aus dem Pressing herausspielen konnte und plötzlich eine „4-gegen-2“-Situation hatte (diese aber nicht ausspielen konnte), zeigte, warum dauerhaft hohes Pressing nur in bester Abstimmung ratsam ist. Und davon – so ehrlich muss man sein – war der FC St. Pauli in den offensiveren Pressingmomenten leider ein Stück weit entfernt.
Trotzdem kam der FCSP besser aus der Pause. Es gelang den Dortmundern in den ersten rund 15 Minuten der zweiten Hälfte überhaupt nicht mehr, gefährlich vor das Tor des FC St. Pauli zu kommen. Nadelstiche in Richtung BVB-Tor wurden aber auch nicht gesetzt, entsprechend fehlte es in dieser Phase an Torraumszenen auf beiden Seiten. Das änderte sich nach rund einer Stunde Spielzeit, als Brandt, Guirassy und Malen den zweiten BVB-Treffer auf dem Fuß hatten. Dortmund-Trainer Sahin, der Lob für die Defensivarbeit des FC St. Pauli verteilte, erklärte nach dem Spiel: „Wir haben es in dieser Phase verpasst, das Spiel zu killen, das 2:0 zu machen.“ Auch wenn dieser Spielbericht natürlich massiv braun-weiß eingefärbt ist, so muss man feststellen: Sahin hat völlig Recht.
Die Spieler von Borussia Dortmund heben allesamt den Reklamierarm, doch Eric Smith weiß genau: Sein Treffer für den FC St. Pauli zum zwischenzeitlichen 1:1 wird allein aufgrund seiner Schönheit nicht einkassiert werden.
(Alex Grimm/Getty Images/via OneFootball)
Doch der BVB traf nicht, der FC St. Pauli blieb somit am Leben. Und bekam zusätzlich neues Leben eingehaucht, als Scott Banks den Platz betrat. Gefühlt war es seine erste Aktion (in Wirklichkeit war er bereits einige Minuten auf dem Platz), als er in der 78. Minute mit einer schnellen Bewegung an seinem Gegenspieler vorbei und die rechte Offensivseite runterzog. Kurzes Andribbeln im Strafraum – Schuss abgeblockt – der Ball titscht zentral ins Feld zurück – aus dem Hintergrund könnte Smith schießen – der wird doch nic… Whooosh! Bruchteile später zappelt der auf mehr als 116 Km/h beschleunigte Ball im BVB-Netz – 1:1! BÄM! Oder doch nicht?
Klar, dieses Mal brauchte es keine kalibirierten Linien, um zu erkennen, dass Afolayan meterweit im Abseits stand. Aber hat er wirklich im Blickfeld von BVB-Torwart Kobel gestanden, was es zu einer strafbaren Abseitssituation gemacht hätte? Da hatte das gesamte Schiedsrichter-Team so seine lieben Zweifel. Aus meiner Sicht völlig zu Recht. Denn Kobels Sicht auf Smith wurde von zwei BVB-Spielern verdeckt. Die Richtung des Balles war schon gut zu erkennen, als Afolayan sicher kurz das Sichtfeld Kobels versperrte. Klar, bei der Frage, ob der Treffer zählen darf oder nicht gibt es verschiedene Sichtweisen und alle haben gute Argumente. Gehalten hätte Kobel den Ball aber sowieso nicht. Es war nicht weniger als ein Traumtor von Smith. Daher kann die Erklärung nur lauten: Kein Abseits wegen sexy.
Leider hielt dieses 1:1 aus Sicht des FC St. Pauli nicht viel länger als ein paar Minuten. In der 83. Minute bekam der zur Pause eingewechselte Gittens den Ball auf der linken Seite. Das Dortmunder Megatalent zog mit Tempo am ebenfalls eingewechselten Adam Dźwigała (Saliakas war müde, so Blessin) vorbei und fand mit seiner Flanke Guirassy im Zentrum, der zum 2:1 für den BVB einköpfte. Über diesen Gegentreffer lässt sich vortrefflich diskutieren, wie und wo der Fehler des FC St. Pauli lag. Blessin erklärte später, dass Banks in dieser Situation hätte eingreifen müssen, um Gittens zu doppeln. Tatsächlich war er auch ein paar Meter weit weg, als Gittens Tempo aufnahm. Ich sehe die Situation etwas anders: Denn damit man hätte doppeln können, hätte sich Dźwigała ein paar Meter nach hinten zum eigenen Tor absetzen müssen, als Gittens den Ball erhielt. Dadurch hätte man vielleicht die Zeit gewonnen, damit Banks die Lücke hätte schließen können. Stattdessen entschied sich Dźwigała dafür, sofort ins Duell mit Gittens zu gehen, lief direkt auf ihn zu – und wurde gnadenlos stehengelassen.
Beide Spieler sahen in dieser Situation nicht gut aus, genauso wie die Innenverteidiger des FC St. Pauli, die Guirassy im Zentrum zwischen sich zum Kopfball kommen ließen. Dźwigała hatte kurz vor Schluss noch die Möglichkeit, das Ergebnis wieder auf Unentschieden zu stellen: Nach einem weiten Einwurf leitete Irvine von der Grundlinie am ersten Pfosten per Kopf weiter (diese Variante versuchten sie diese Saison schon einige Male). Dźwigała kam in bester Position frei zum Abschluss – drüber. Kein Ausgleich. Kein Punktgewinn in Dortmund.
So verliert der FC St. Pauli erneut ein Spiel, welches er lange offenhalten konnte. Doch in entscheidenden Momenten fehlte vorne und hinten erneut etwas. Das ist auf Dauer zermürbend. Aber soweit sind wir noch nicht. Denn diese Niederlage bringt dich in der Tabelle vielleicht nicht weiter nach vorne. Aber allein auf die Tatsache, dass man auswärts beim BVB in der Nachspielzeit noch die Chance zum Ausgleich hatte, sollte den FC St. Pauli stolz machen. Fernab vom Ergebnis wurde alles versucht, um gegen ein Team zu bestehen, welches definitiv mit ganz anderen Bauklötzen spielt – und der FCSP ist ziemlich nah dran gewesen, war alles andere als chancenlos.
Immer weiter vor!// Tim
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