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SV Werder Bremen

·23. Februar 2025

Bock auf Muskelkater

Artikelbild:Bock auf Muskelkater

Nach dem Schock im Februar 2024 arbeitete sich Hausicke geduldig zurück (Foto: W.DE).

Von Null auf Neustart: Das Comeback von Lina Hausicke

Der Körper ist das Kapital einer Profifußballerin. Es ist daher nur schwer zu verstehen, wie eine kleine falsche Bewegung monatelange Folgen haben kann. Werder-Kapitänin Lina Hausicke weiß im Februar 2024 sofort, dass sie sich im Heimspiel gegen den SC Freiburg einen Kreuzbandriss zugezogen hat. Die 27-Jährige steht plötzlich vor einem steinigen Weg mit wichtigen Entscheidungen, Zweifeln, einer emotionalen Achterbahnfahrt und einer kniffligen Geduldsprobe. WERDER.DE hat Hausicke mit dem Podcast-Projekt „Von Null auf Neustart – Linas Comeback“ beim Meistern dieses weiten Weges begleitet.


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Es ist der erste wärmere Frühlingstag 2024. Lina Hausicke schwingt sich Anfang März auf ihren Krücken durch den Innenraum des Weserstadions. Sie trägt eine kurze Sporthose und weiße Tennissocken, dazu an ihrem lädierten Bein eine dunkelblaue Strumpfhose. Ihr farbenfrohes Batik-Shirt passt zu ihrem Lächeln, das sie zwei Wochen nach ihrem sportlichen Schicksalsschlag längst wieder gefunden hat. Wer Hausicke kennt, der weiß, dass diese stets positive Ausstrahlung ihr Markenzeichen ist. Ihren Grundoptimismus nicht zu verlieren, ist elementar, um „stärker zurückzukommen“ wie es ihr die Ostkurve bei einem Heimspiel der Männer über ein Spruchband wünscht.

Als sie auf der Tribüne die Botschaft entdeckt, schießen ihr die Tränen in die Augen. Es sind Momente wie diese, in denen ihre starke Fassade bröckelt und sich ihre tatsächliche Gefühlswelt offenbart. Es sind aber auch die Momente, die ihr helfen, ihre Zweifel zu bekämpfen. „Ich bin ehrlich“, betont Hausicke. „Wenn du mit dem Sport für den Spaß angefangen hast und du in der Reha auf Krücken bist, dann denkst du schon, was ist die Perspektive für später?“ Jetzt, sagt die gebürtige Hallenserin nachdem ein paar Tage vergangen sind, könne sie es aber kaum erwarten, auf den Platz zurückzukehren. Die Zweifel sind beseitigt.

Die Liste ihrer Leidensgenossen ist lang. Frauen sind im Fußball vier bis sechs Mal anfälliger für Kreuzbandrisse als ihre männlichen Kollegen, die Weltmeisterschaft 2023 verpassten mit dieser Diagnose über 30 Sportlerinnen. In der Google Pixel Frauen-Bundesliga fallen derzeit Spitzenspielerinnen wie Lena Oberdorf, Katharina Naschenweng (beide FC Bayern München) oder Barbara Dunst (Eintracht Frankfurt) aufgrund dieser Verletzung aus. Diesem Phänomen geht die Forschung mittlerweile akribisch auf den Grund.

„Der standardisierte Erklärungsansatz war, dass es dabei um den sogenannten Q-Winkel geht“, erklärt Mannschaftsarzt MUDr. Jonas Jochims. „Frauen haben ein breiteres Becken und neigen dazu in der Achse der unteren Extremitäten mehr in eine X-Achse zu rutschen, was Kreuzbandrisse begünstigt. Zudem ist die interkondyläre Notch im Kniegelenk (Anm. d. Red.: Kreuzbandgrube) tendenziell kleiner als bei Männern, was bei Drehbewegungen dazu führen kann, dass das Knie unter eine andere Last gerät. Die Forschungsarbeit widmet sich derzeit auch dem Menstruationszyklus der Frau und man weiß mittlerweile, dass die Anfälligkeit für Kreuzbandrisse in der Ovulationsphase erhöht ist.“

Für Hausicke selbst ist es schon die zweite Kreuzbandverletzung. Bereits im Herbst 2020 zog sich die zentrale Mittelfeldspielerin im gleichen Knie einen Riss zu. Damals entschied sie sich, entgegen der Meinung vieler Ärzte für eine konservative Behandlung und gegen eine Operation. „Die Lage in Deutschland ist relativ klar: Wenn das Kreuzband gerissen ist, gibt es wenige Ärzte, die sagen: Probiere es doch konservativ, gerade wenn du auf so einem hohen Level Fußballspielen willst“, berichtet sie. Doch Hausicke glaubt an die Selbstheilungskräfte des Körpers, die ihr gepaart mit einer positiven Einstellung und einem gezielten Muskelaufbau zu einem schnellen Comeback helfen sollen – und das gelingt. Nur vier Monate später steht sie damals wieder auf dem Rasen und spielt jahrelang ohne Probleme. Bis das Kreuzband im Februar 2024 erneut reißt.

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Ungeliebter Begleiter: Mit den Krücken kann sich Hausicke nur schwer arrangieren.

Dass sich Hausicke nach den guten Erfahrungen nicht erneut für den konservativen Weg entscheidet, liegt an einem zweiten Schockmoment. Ein weiteres MRT zeigt neben dem Kreuzband auch einen Meniskusriss, eine Operation ist unumgänglich. Die Zeit bis zur OP nutzt sie mit gezieltem Training, sie hat noch einmal „Bock auf Muskelkater“ bevor es unters Messer geht. „Ich muss mich immer bewegen, ich bin nicht ausgelastet.“

Ihre Krücken liegen lieblos in der Ecke, unruhig rutscht sie auf ihrem Stuhl hin und her. Sie trägt eine kurze Sporthose und unter ihrem Trainingsshirt ein weißes Longsleeve. Eines, das sie auch im Spiel unter dem Trikot trägt, was der nicht auswaschbare Schmutz am Ärmel verrät. So entspannt sie gekleidet ist, spricht sie über die neusten Entwicklungen nach ihrer Verletzung. Nur wenn sie an die Zeit nach ihrer OP denkt, wird ihre Stimme auffallend zittrig, denn sie wird danach zunächst deutlich eingeschränkter sein. Die verhassten Krücken bleiben ihr treuer Begleiter.

Wenn man eine Kreuzbandverletzung nicht operiert und konservativ behandelt, entsteht das Risiko von Folgeschäden

MUDr. Jonas Jochims

„Eine konservative Behandlung bedeutet, dass man keine Operation unternimmt. Man muss dazu sagen, wenn ein Kreuzband reißt, ist die Chance, dass es wieder zusammenwächst und heilt, nicht vorhanden“, ordnet MUDr. Jochims ein. „Diese Behandlung hat gewisse Vorteile. Das sind eine schnellere Erholung und ein schnellerer Wiedereinstieg in die Belastung ohne Operationsrisiken wie Infektionen, Narbenbildung, Thrombosen. Kein Risiko, dass das Implantat versagt.“

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Daumen hoch: Operation gut überstanden (Foto: privat).

So konnte Hausicke kurze Zeit nach der Verletzung mit der Reha beginnen und wie sie bei ihrer ersten Verletzung erlebte, nach wenigen Monaten wieder auf dem Platz stehen. Allerdings birgt auch diese Methode Risiken: „Nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft ist die konservative Methode eher für Sportlerinnen und Sportler geeignet, die nicht auf diesem extrem hohen Niveau spielen. Eine gewisse Instabilität bleibt, denn das Kreuzband ist einer der wichtigsten Stabilisatoren des Kniegelenks. Wenn man eine Kreuzbandverletzung nicht operiert und konservativ behandelt, entsteht das Risiko von Folgeschäden, insbesondere Knorpel- und Meniskusschäden. Das ist der Grund, warum man im Profisport oft zu einer operativen Versorgung neigt.“

Nach der Operation verweilt Hausicke erstmal bei ihrer Familie in ihrer Heimat. In Stadtroda, ganz in der Nähe von Jena, beginnt ihre Reha. Auf dem Sofa ihres Bruders sitzend berichtet sie acht Wochen nach der OP von ihrem Eingriff, vom Wassereis im Aufwachraum und ihrer Mutter, die die ganze Zeit an ihrer Seite war. „Dass sie dabei war, war mir sehr wichtig. Sie war glaube ich aufgeregter als ich“, erzählt die Kapitänin, die nach zwei Tagen im Krankenhaus nach Hause darf. „Es ist goldwert, wenn eine Mutter auch noch Krankenschwester ist und sich gut um einen kümmern kann. Sie musste mich in den ersten Tagen viel pflegen“, schmunzelt sie.

Lina ist glücklich. Nicht nur, dass die OP gut verlaufen ist, sondern auch, dass die schlimmste Zeit, in der sie auf Hilfe angewiesen ist, überstanden ist. Jetzt feiert sie ihre Fortschritte in der Reha, von den ersten Bewegungen des Beins in einer Motorschiene zu den ersten Sprüngen. Respekt hat sie vor den Phasen, wo die Fortschritte nicht sichtbar sind, vor dem Gefühl zu stagnieren. Im Moment, acht Wochen nach der OP, macht sie aber jeden Tag Fortschritte. „Mein Knie ist happy, ich bin happy.“

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Mit einem Lächeln zurück: Hausicke bei ihren ersten Einheiten auf dem Platz (Foto: W.DE).

Happy ist Hausicke auch, als sie im September wieder im Weserstadion sitzt. Sie trägt ein weißes T-Shirt, auf ihrem Arm sind Tattoos, die vorher nicht da waren. Sie hat sie sich in der fußballfreien Zeit stechen lassen. Dazu ein aufgeschürfter Ellenbogen, sie ist in der Reha „eine Fahrradmaus“ geworden, wie sie lachend erzählt, das Absteigen mit den Klickpedalen müsse sie allerdings noch üben. Aus ihrer hellen Jeans gucken weiße Socken, auf denen in bunten Buchstaben „Weekend“ steht. Dabei ist erst Freitag, für sie, solange sie nicht im Spielbetrieb ist, der erste Wochenendtag. Wochenendtage, die sie genießt, die sie sonst nur aus der Sommerpause kennt.

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Der Ball ist zurück im Spiel: Ob sie wohl noch schießen kann? (Foto: W.DE).

Fast sechs Monate ist ihre Operation her, mittlerweile steht sie wieder regelmäßig auf dem Rasen – wenn auch noch individuell. „Ich kann schon wieder viele Sachen machen, ich habe auch schon mal wieder ein bisschen auf das Tor geschossen“, berichtet sie. Ob sie das auch durfte? „Jein“. Passen, Dribbeln, Laufen kann sie schon, jetzt hat sie „richtig Bock zu gucken, ob der Touch noch da ist und ich die Dinger noch einschweißen kann.“

Beinahe genauso gut gelaunt ist die 27-Jährige Mitte Januar, als sie für einen Werbedreh ins Weserstadion kommt. In ihren Trainingsklamotten berichtet sie voller Vorfreude über ihr geplantes Comeback in knapp einer Woche gegen Turbine Potsdam, aber auch über den Dämpfer, dass sie am Wochenende noch nicht wie gehofft beim letzten Testspiel der Wintervorbereitung mit ihren Kolleginnen auf dem Platz stehen darf. Dennoch ist sie auf den Zielgeraden, die lange Zeit des Wartens ist vorbei. Als sie auf die Zeit zurückblickt, streicht sie sich beim Sprechen immer wieder über das mittlerweile genesene Bein. Für sie gibt es jetzt nur noch ein Ziel: das Comeback!

Wenige Tage später ist es so weit. Beim Re-Start der Google Pixel Frauen-Bundesliga wird Hausicke für den zweiten Durchgang eingewechselt. Als ihre Mitspielerinnen aus der Kabine zurückkamen, bildet sich sofort eine Traube um Hausicke. Ricarda Walkling gibt ungefragt die Kapitänsbinde weiter, auch alle anderen umarmen sie und wünschen ihr viel Erfolg für ihre Rückkehr. „Ich war innerlich nicht so ruhig, wie es nach außen wirkte“, räumt Hausicke ein, die schon im Mannschaftskreis als Redensführerin gefragt war. „Ich habe mich einfach gefreut und konnte das Spiel genießen.“

Sie kommt für Lena Dahms in die Innenverteidigung. Eine ungewohnte Position, schließlich ist sie eigentlich im Mittelfeld heimisch. Nachdem die Begegnung zu diesem Zeitpunkt noch ausgeglichen war, entschieden die Grün-Weißen das Geschehen letztlich deutlich für sich. Sophie Weidauer bringt den SVW in Führung, Larissa Mühlhaus erhöht zu einem 4:1-Endstand.

Als Maja Sternad, Larissa Mühlhaus oder Amira Arfaoui versuchen ihre Kapitänin vor die beeindruckend gefüllte Gästekurve schubsen, wehrt sich Hausicke. Eigentlich ist der Fanblock ein Ort, an dem sich Werders Nummer 18 sonst so wohl fühlt. Sie möchte aber nicht im Mittelpunkt stehen. „Ich habe für mich nicht den Moment gefühlt, mir das Megafon zu schnappen, weil wir als Mannschaft gewonnen haben“, betont sie. „Als die Fans meinen Namen gerufen haben, musste ich trotzdem schlucken – das war vielleicht der emotionalste Moment.“

Nur vier Tage nach diesen Erlebnissen ist die Erleichterung zurück auf dem Platz zu sein spürbar. Raus aus der WhatsApp-Gruppe "FC Reha". Der fast einjährige Weg dorthin hat aber auch Hausicke verändert. Positiv verändert. Denn in diesem Jahr hat sie viel über sich selbst gelernt. „Wenn du immer nur darüber nachdenkst, was dir genommen wurde, ist das Jahr sehr lang“, sagt sie. „Es gab Phasen, in denen Fußball für mich alles war. Vielleicht war der Zeitpunkt der Verletzung gut, weil ich Dinge außerhalb des Fußballs hatte, durch die ich für meine Persönlichkeit viel gelernt habe.“

Zu diesem Zeitpunkt ahnt die 161-fache Bundesliga-Spielerin noch nicht, dass ihr wenige Tage später die nächste Zwangspause droht. Unfreiwillig. Als letzte Frau war sie einer Leipzigerin in die Hacken gelaufen. Für die Schiedsrichterin eine Notbremse. Für Hausicke ist es im Vergleich zu ihrem Leidensweg nur noch eine lächerlich kleine Hürde, die sie überstehen muss. In ihrem Fall ist es nicht nur eine Floskel: Denn als Persönlichkeit ist Lina wirklich stärker zurückgekommen.

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