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·13. Januar 2022

Aus dem Rhythmus

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Ist es zu ruhig beim VfB? Was für eine absurde Frage, sollte man meinen. Es gab in den letzten Jahren genug Aufregung auf und neben dem Spielfeld. Angesichts von Platz 15 mit einem Punkt Vorsprung auf den direkten Abstiegsplatz und einem trostlosen 0:0 gegen den abgeschlagenen Letzten der Tabelle ist es aber erstaunlich unaufgeregt rund um die Mercedesstraße.

Die Ruhe und Besonnenheit liegt zum einen daran, dass es nachvollziehbare Gründe für die derzeitige Lage gibt: Dauer-Verletzte, Corona, schwieriges zweites Jahr, angespannte finanzielle Lage, usw. Damit lässt sich fast alles erklären. Zum anderen liegt es an den Personen. Thomas Hitzlsperger, Sven Mislintat und Pellegrino Materazzo halten kommunikativ den Ball flach, beschwören den Zusammenhalt und entwickelten eine Art Wagenburgmentalität. Sie wollen zudem Druck von den jungen Spielern nehmen, damit diese sich spielerisch und persönlich entfalten können.


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Der VfB muss allerdings aufpassen, dass er nicht ganz gechillt in die zweite Liga absteigt. Man sitzt in der Lounge des Tabellenkellers und nicht in einem Aufzug, der automatisch ins Tabellenmittelfeld fährt. Und es heißt schließlich immer noch Abstiegskampf nicht Abstiegschill.

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Noch kein Hit: Das VfB Chillout Album 2022

Den Spielern werden optimistische und luftige Melodien vorgespielt, durchaus tanzbar und motivierend, feurige und mitreißende Rhythmen sind auf dem Spielfeld deshalb kaum zu sehen. Durchgelockert, souverän will der VfB auftreten, er will vermitteln, stets Herr der Lage zu sein. Nur die Ruhe selbst, auch bei einer späten Niederlage wie gegen Köln oder einem leidenschaftslosen Auftritt wie in Fürth. Maximal vorbildliche Einstellung, nur: Ist das der richtige Weg, die Mannschaft in Watte statt an der Ehre zu packen („Leute, es ist Fürth!“)? Altgediente VfB-Fans können ein Lied davon singen: Die Wohlfühloase Bad Cannstatt war dem sportlichen Erfolg selten förderlich.

Während Mislintat nach außen stets das Gute (über)betont, ist bei Hitzlsperger („Die Spieler müssen sich straffen“) und Matarazzo (Unzufriedenheit mit den Kaderplätzen ab 15) zwischen den Zeilen durchaus kritische Töne vernehmbar.

Bei Kritik – von außen wie von innen – kommt gerne mal der Ruf, jetzt bloß keine Unruhe reinzubringen. Schließlich müsse unbedingt zusammen gehalten werden, es sollen alle bitte an einem Strang ziehen. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Kleine Erfolge dürfen nicht weiter heroisiert werden, der VfB braucht Real Talk! Denn Kritik kann auch Ansporn sein, kann Anregungen geben, etwas zu verändern. Kann Inspiration sein, über sich nachzudenken, kann Raum schaffen, um sich zu verbessern. Aber auch Bestätigung sein, sich auf dem richtigen Weg zu befinden.

Der VfB braucht keine Slow-Tempo-Beats, er muss mehr Up-Tempo auf den Platz bringen und benötigt einen Game-Changer oder besser Season-Changer. Das gelingt nicht mit Feelgood-Atmo und der puren Hoffnung auf bessere Ergebnisse durch die Rückkehr verletzter Spieler. Behutsamer Aufbau schön und gut, aber es müssen Punkte her. Nicht in Zukunft, sondern jetzt.

Der VfB benötigt ein Leistungsklima, in dem Spielern wie Tanguy Coulibaly, Roberto Massimo, Philipp Förster und Chris Führich unmissverständlich klar gemacht wird, dass sie performen müssen. Für ihre eigene Entwicklung wie auch für die des VfB. Es muss ein leistungsorientiertes (kein schwieriges) Umfeld geschaffen werden, in dem Spieler wie Orel Mangala und Borna Sosa begreifen, dass sie erst den nächsten Schritt beim VfB machen müssen, bevor sie sich bei größeren Vereinen beweisen können. Die Wagenburg-Mentalität von Mislintat sollte nicht nur kommunikativ spürbar werden, sondern zu einer verschworenen Gemeinschaft führen, die beweisen will, dass die letzte Saison kein Zufall war. Dieser Ehrgeiz war in der aktuellen Runde noch nicht zu spüren. Das Spiel gegen Fürth hat gezeigt: Es fehlt dem Team die Gier und in manchen Situationen auch die nötige Leidenschaft und Widerstandskraft. Neben einigen handwerklichen Verbesserungen (z.B. frühere Einwechslungen) ist es entscheidend, dem Team diese Energie zu vermitteln.

Chillout-Area hin, Leistungsklima her, die strukturellen Herausforderungen des Kaders werden damit nicht gelöst: Nicht, dass der junge und wilde Weg verlassen werden soll, aber es ist sehr gefährlich auf die „gefühlten Neuzugänge” Sasa Kaljdzic, Li Egloff und Silas zu setzen, auf Enzo Millot und Naouriou Ahamada. Und auf den aufgerückten Alexis Tibidi und den hochveranlagten Ömer Beyaz, beide übrigens 18 Jahre alt. Also auf die starke Form lange Verletzter zu hoffen und auf die schnelle Entwicklung unberechenbarer Wundertüten.

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Das wird aufregend genug und deshalb ist für VfB-Fans ein Chillout-Sampler womöglich doch keine so schlechte Idee, damit am Ende mit einer Club-Fete der Klassenerhalt gefeiert werden kann.

Egal, welche Töne der VfB anschlägt: Am Ende der Saison muss er mindestens auf Platz 15 der Bundesliga-Charts landen, damit es keinen Abgesang auf den aktuellen Weg gibt.

Zum Weiterlesen: Passend zum Text schlägt Matarazzo in der Spieltags-PK plötzlich ganz neue Töne an, nämlich deutlich schärfere. Er spricht in Bezug auf das Fürth-Spiel von Leistungen, “die man in unserer Situation nicht akzeptieren kann”. Die StN (Plus) schreibt, dass zumindest Matarazzo “den Ernst der Lage begriffen hat. Und nicht immer nur alles schönredet, wie von Teilen der Fans kritisiert wird.“

“Für den VfB ist es keine Selbstverständlichkeit, in der Bundesliga die Klasse zu halten“, Christian Gentner im kicker-Interview

Bilder: Alexander Hassenstein, Matthias Hangst, Getty Images

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