Auf die Hörner genommen | OneFootball

Icon: Österreichische Fußball-Bundesliga

Österreichische Fußball-Bundesliga

·3. Februar 2023

Auf die Hörner genommen

Artikelbild:Auf die Hörner genommen

Auf die Hörner genommen

3. Februar 2023 in ADMIRAL Bundesliga

Artikelbild:Auf die Hörner genommen

Seit „Revolutionär“ Ralf Rangnick Salzburg komplett umkrempelte, wurde aus einer unberechenbaren Bullenherde ein Serienproduzent an Meistertiteln. Tormann Alexander Walke erinnert sich an Umbrüche und Starspieler und verrät, welchen Bullen-Dompteur er verpflichten würde.


OneFootball Videos


Der 12. August 2012 war für die Geschichte der Bundesliga gleich in zweierlei Hinsicht ein bedeutender Tag. Zum einen sorgte Jonatan Soriano, ansonsten treffsicherster Stürmer der Zehnerjahre, für einen der genialsten Sprüche der jüngeren Vergangenheit. „Ich nehme an, Felix sucht da oben noch immer nach dem Ball“, meinte der Spanier in Anlehnung an Stratosphären-Springer Baumgartner und seinen eigenen Elfmeter gegen Rapid, den er gleich mehrere Meter über das Tor drosch. Ein Fail, der Salzburgs 0:2-Pleite besiegelte und die wohl größte Revolution lostrat, die es im heimischen Fußball je gegeben hat. „Es war gar nicht so sehr unsere Blamage gegen Düdelingen, die mich zum Umdenken animierte, sondern unser farbloses Auftreten kurz darauf gegen Rapid“, sinniert der damals neu installierte Sportdirektor Ralf Rangnick heute. „Ich wusste, dass wir etwas fulminant ändern müssen, wenn wir hier eine Erfolgsgeschichte schreiben wollen.“

Neue Zauberworte

Gesagt, getan. „Alles wurde umgekrempelt“, erinnert sich Tormann Alexander Walke, seit 2010 und bis heute bei Red Bull Salzburg unter Vertrag. „Einen neuen Trainer hatten wir ja schon (Anm.: Roger Schmidt), es kamen neue Spieler und ein fußballerisch komplett neuer Ansatz.“ Gegenpressing und Umschaltspiel hießen die Zauberworte, die Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch hielten. Eigener Ballbesitz galt plötzlich als pfui, den Ball verlieren, schnell wieder erobern und die Unordnung beim Gegner ausnutzen –das war der Weg, der zum Erfolg führen sollte. Ein Ansatz, für den es Mut und die Bereitschaft, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen, braucht. „Alex, du stehst jetzt nicht mehr am Fünfer, sondern 30 Meter vor dem Tor.“ Puh! Es hat schon ein bisschen gebraucht, bis wir alle das Vertrauen zueinander gefunden haben“, sagt Walke.

Doch Rangnick installierte nicht nur einen neuen Stil, er holte auch Spieler, die genau dazu passten. Noch im gleichen Sommer wurden Kevin Kampl vom damaligen Hasenhüttl-Klub VfR Aalen aus der zweiten deutschen Liga und Sadio Mané vom französischen Zweitliga-Absteiger FC Metz geholt. Profis, die damals so bekannt waren wie Statisten bei den Salzburger Festspielen. Und so mancher schüttelte verwundert den Kopf, wie man für zwei solche No-Names insgesamt sieben Millionen Euro in die Hand nehmen konnte. Doch Rangnick hatte das entsprechende Know-how und ein Netzwerk, auf das er sich verlassen konnte. Als die beiden Mittelfeld-Geiger den Klub zwei beziehungsweise zweieinhalb Jahre später verließen, spülten sie inklusive Boni mehr als 40 Millionen Euro in die Klubkassa. So geht Rendite. Beispiele, denen viele weitere folgen sollten.

Frühester Titel der Geschichte

Dass im ersten Jahr als „Salzburg neu“ der Titel verpasst wurde, lag einerseits am Knirschen, das ein neues Werkl verursacht, wenn es sich erst einspielen muss. Andererseits an einer überragenden Austria aus Wien, die unter Peter Stöger auf einer Mission war, die sie mit damaligem Punkterekord den Titel holen ließ. Als „Findungsjahr“ bezeichnet Walke die Saison, die für sich genommen keine schlechte war, aber eben nur mit dem Vize-Titel endete.

Es sollte allerdings die letzte sein, in der der Teller nicht im Mai nach Wals-Siezenheim kutschiert werden musste. Bereits im zweiten Jahr unter Roger Schmidt stampften die Bullen alles in Grund und Boden, was sich ihnen in den Weg stellte. Nach 28 Runden war die Meisterschaft entschieden, so früh wie noch nie seit Einführung der Drei-Punkte Regel 1995. „In diesem Jahr kam alles zusammen“, erklärt Walke.„Wir waren eingespielt, voller Selbstvertrauen und vor allem: Die Qualität der einzelnen Spieler war außergewöhnlich.“

Zu diesen Spielern gehörte auch besagter Jonatan Soriano. 172 Tore in 202 Spielen lautet die höchst beeindruckende Quote des Spaniers, der von 2012 bis 2017 im Bullen-Orchester orgelte und zum treffsichersten Stürmer des Jahrzehnts werden sollte. „Einer der besten Spieler, mit denen ich je zusammengespielt habe“, sagt Walke. „Er kam ja schon unter Ricardo Moniz (Anm.: Vorgänger von Roger Schmidt) und gehörte zu den Spielern, die von der Umstellung am meisten profitierten. Dank seiner Spielintelligenz gepaart mit exzellenter Technik wusste er ganz genau, wie er zu seinen Abschlüssen kam. Und konnte die dann auch verwerten.“

Sprungbrett für Trainer

Das Salzburger Betriebssystem sorgte dafür, dass ein bis dahin negativ konnotierter Begriff plötzlich zur Erfolgsformel wurde: Fluktuation. Bis dahin galt das oftmalige Wechseln des Personals als Übel, das Gift für den Aufbau funktionierender Strukturen darstellte. An der Salzach galt und gilt es seit zehn Jahren als oberste Prämisse.„Wir akzeptieren nicht nur, dass Spieler uns nach ein paar erfolgreichen Jahren wieder verlassen, wir wollen es auch“, erklärt dazu Christoph Freund, der ab 2015 den Sportdirektorenposten von Ralf Rangnick übernahm. Und das Werken des heutigen Teamchefs nicht einfach nur fortführte, sondern auch verfeinerte und beschleunigte. Es ging darum, einen Motor am Laufen zu halten, dessen immer stärker werdende Drehzahl wirtschaftlich und sportlich für eine beeindruckende Geräuschkulisse sorgte.„Der Verein hatte immer Spieler in der Pipeline, die nahtlos in unsere Philosophie passten und die dafür sorgten, dass wir jeden Abgang kompensieren konnten“, sagt Walke. Ob die besungenen Kampl, Mané, Soriano oder später Keita, Haaland oder Szoboszlai. Sie alle rissen Löcher, die bereits vor ihrem Weggang gestopft waren. Was übrigens auch für die Trainer gilt, ebenfalls eine bis dato unbekannte Errungenschaft des RB-Systems.

Der erste Coach, der das Pendel in Schwung brachte, war Roger Schmidt, der sich nach seinem Titelgewinn 2014 Richtung Leverkusen vertschüsste. Ihm sollten Trainer wie Adi Hütter (später u. a. Eintracht Frankfurt und Gladbach), Oscar Garcia (Celta Vigo, Stade Reims), Marco Rose (Dortmund, Gladbach, Leipzig) oder Jesse Marsch (Leipzig, Leeds) folgen. Sie alle gewannen Titel in Salzburg und nutzten ihren dadurch entstandenen Ruf, um auch in ihren Karrieren höhere Weihen zu erlangen. „Ich finde das überhaupt nicht verwerflich, im Gegenteil. Es ist doch schön, wenn ein Trainer, der sonst oft gehen muss, weil er das schwächste Glied der Kette ist, von hier aus die Möglichkeit hat, dank seiner Erfolge den nächsten Schritt zu gehen“, sagt Walke. „Ich habe mich wirklich für jeden Einzelnen gefreut.“

Spaß und Seriosität

Und Erfolge hatten sie (mit Ausnahme des nach einem halben Jahr entlassenen Peter Zeidler) alle, mal mehr, mal weniger rekordverdächtig. Hütter holte 2015 das Double und ging nach einem Jahr, weil er kein Ausbildungstrainer mehr sein wollte. Garcia folgte Zeidler nach und wechselte nach eineinhalb Jahren mit zwei Double-Siegen im Gepäck zu St. Etienne. Marco Rose holte nicht nur die beiden Meisterschaften 2018 und 2019, sondern rockte auch noch die Europa League. Er ist übrigens der Trainer, den Alexander Walke verpflichten würde, sollte er als fiktiver Sportdirektor die freie Auswahl haben.„Wie er das Team geführt und trotzdem bei aller Seriosität auch Spaß reingebracht hat, war schon großartig.“

So einzigartig wie die Erfolgsbilanz der Salzburger in den Zehnerjahren, in denen sie seit 2013 uneinholbar davon galoppierten, egal ob mit oder ohne Punkteteilung. Dass dafür ein verschossener Elfmeter notwendig war, gehört zu den Kuriositäten, die das Fußballgeschäft manchmal zu bieten hat.

Redakteur: Markus Geisler

Impressum des Publishers ansehen