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Paul Witte·9. Dezember 2023
Auf dem Weg zur Klublegende? Ein 21-Jähriger heilt verletzte Fanseelen

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Paul Witte·9. Dezember 2023
Borussia Mönchengladbach hat in diesem Sommer einen Kaderumbruch erlebt, der in der Bundesliga seinesgleichen sucht. Die Abgänge von Leistungsträgern wie Jonas Hofmann, Marcus Thuram, Ramy Bensebaini und Lars Stindl hinterließen nicht nur große Lücken im Gladbacher Kader, sondern auch im Mannschaftsgefüge. Zusätzlich trat mit Gerardo Seoane ein neuer Trainer seinen Posten an.
Der Plan hinter dem Umbruch sah dabei eigentlich vor, dass Spieler wie Torwart Jonas Omlin, Julian Weigl oder der frisch mit einem neuen Vertrag ausgestattete Florian Neuhaus die Verantwortung übernehmen würden, ein erfolgreiches Team anzuführen. Doch es sollte ein wenig anders kommen.
Nachdem Gladbach die Startschwierigkeiten zu Saisonbeginn mittlerweile überwunden hat und unter Seoane aktuell ausgesprochen stabil wirkt, redet nämlich niemand über Omlin, Weigl oder Neuhaus. Stattdessen steht ein 21-Jähriger im Mittelpunkt: Rocco Reitz verkörpert den jüngsten Gladbacher Aufschwung mehr als alle vermeintlichen Führungsspieler der Borussia. Was macht diesen jungen Mann so besonders?
Das vorweg: Rocco Reitz‘ Geschichte ist keineswegs die eines plötzlichen Heilsbringers. Es geht hier nicht um ein Supertalent, mit dessen Aufschlagen auf einmal alles besser wurde. Ganz im Gegenteil: Den schlechten Saisonstart hat er genauso mitzuverantworten wie seine älteren Kollegen. Daran, dass die Borussia nach acht Spieltagen lediglich sechs Punkte auf dem Konto hatte, hat Reitz sogar einen ganz wesentlichen Anteil, stand er doch in allen der acht Partien entweder von Anfang an oder nach Einwechslung auf dem Platz. In den Spielen, in denen Gladbach wie ein ein aufgescheuchter Hühnerhaufen daherkam, gackerte Reitz meistens mit.
Erst als Gladbach sich nach dem Tiefpunkt der Derby-Niederlage gegen den 1. FC Köln am achten Spieltag wieder berappelte, ging es auch bei Reitz bergauf. Was mit Blick auf unsere Frage, nun ja, eine Frage aufwirft. Wenn Reitz sich in seiner Formkurve nun stets der Borussia anpasst, also dann schlecht spielt, wenn das Team schlecht spielt und umgekehrt: Was unterscheidet ihn überhaupt von anderen Gladbacher Spielern?
Vielleicht müssen wir an dieser Stelle noch ein wenig die Kriterien schärfen, die der Bewertung „besonders“ zugrunde liegen. Wie schon erwähnt, hatte der Kaderumbruch im Sommer nicht nur rein sportliche Folgen. Neben den Auswirkungen auf das Mannschaftsgefüge darf aber vor allem eins nicht vergessen werden: Die Fans. Denn die verloren, besonders mit Stindl und Hofmann, Identifikationsfiguren, die für den Verein standen. Und genau hier kommt eine von Reitz‘ größten Stärken zum Tragen.
Der gebürtige Duisburger spielt seit seiner Jugend für den Klub, ist selbst Fan und träumte seit Kindheitstagen von einem Tor für seine Borussia. Ein Traum, der am 11. Spieltag gegen den VfL Wolfsburg (4:0) in Erfüllung gehen sollte.
„Das war ein unglaublicher Moment, ich weiß immer noch nicht, welche Worte ihn am besten beschreiben, weil er irgendwie komplett unbeschreiblich war. Seitdem ich Fan bin und denken kann, hatte ich davon geträumt, ein Tor für meinen Verein zu erzielen. Und kurz vor dem Tor sind diese Träume immer intensiver geworden, sie wirkten immer realer. Deshalb hatte ich schon im Gefühl, dass es nicht mehr lange dauern würde“, schwärmte Reitz in einem Interview mit dem ‚Fohlenecho‘.
„Unzählige Male habe ich mir diesen Moment vorgestellt, aber in echt war er sogar noch besser als in meinen Vorstellungen, noch intensiver und schöner. Was mich besonders glücklich macht: Dass ich mein erstes Tor für Borussia zuhause, im Borussia-Park, schießen konnte“, so Reitz weiter. Es sind Worte, zwischen denen durchscheint, was für ein Spieler beziehungsweise was für ein Mensch Rocco Reitz ist: Einer, der für Gladbach brennt, für den Tore im schwarz-weißen Trikot das Größte sind. Ein bisschen wie ein Kevin Großkreutz der anderen Borussia.
Seine Worte sind Balsam für die geschundene Fanseele. Die wurde im Sommer nämlich von Hofmann enttäuscht, den man zuvor als Identifikationsfigur gesehen hatte. Ähnlich sah das auch Sportchef Roland Virkus, der den heutigen Leverkusener gegenüber dem ‚RedaktionsNetzwerk Deutschland“ kritisierte: „Weil ich sicher war, dass Jonas bei uns eine feste Größe ist. Auf seinen Wunsch hin haben wir ihm ein Angebot gemacht, das seinen Vorstellungen entsprach. Dass er daraufhin zugesagt, zwei Tage später aber telefonisch wieder abgesagt hat, das hat uns sehr enttäuscht.“
Die Enttäuschung der Fans und Verantwortlichen scheint dabei der perfekte Nährboden für den aktuellen Hype um Reitz zu sein, dem all das natürlich nicht entgeht: „Klar, das bekomme ich natürlich mit. Eigentlich ist es für mich gar nichts so Besonderes, weil es einfach mein Weg war. Aber natürlich freut mich – auch aus Fan-Sicht – wenn es junge Spieler aus der eigenen Jugend schaffen. Wenn ich es dann auch noch selbst bin, umso besser.“
Aber nicht nur mit Identifikationspotential besticht der der 21-Jährige, auch auf dem Platz weiß er durchaus zu überzeugen, fällt durch aggressives Anlaufen und spielerische Intelligenz auf. Für Seoane ist er mittlerweile unverzichtbar und verdrängte mal eben Florian Neuhaus, der vor Saisonbeginn eigentlich als neuer Führungsspieler auserkoren wurde.
Sein größte Leistung ist aber sicherlich, dass in Gladbach dieser Tage niemand mehr Hofmann hinterher weint. Und wie die anderen Sommer-Abgänge alle hießen, dürfte man (außer bei Lars Stindl) in spätestens zwei bis drei Reitz-Toren eh vergessen haben.