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·9. August 2020

Atalanta in der Champions League: Zeit, Geschichte zu schreiben

Artikelbild:Atalanta in der Champions League: Zeit, Geschichte zu schreiben

Gian Piero Gasperini ist seit 2016 Trainer von Atalanta BC aus Bergamo. Die Mannschaft aus der Lombardei hat sich unter seiner Leitung zu einem der spannendsten Teams in Europa entwickelt und hat sogar realistische Chancen auf den Titel in der Champions League.

  1. Atalanta verlor nur zwei Spiele im Kalenderjahr 2020
  2. Die Tormaschine erzielte weit über 100 Pflichtspieltreffer
  3. Vor dem Viertelfinale gegen PSG ist das Selbstvertrauen groß

Atalanta: Vom Geheimtipp zum Topteam

Es ist immer spannend, eine kontinuierliche und gute Entwicklung einer Mannschaft zu verfolgen. Im Fall von Atalanta ist diese Entwicklung seit dem Sommer 2016 sehr beeindruckend. Die Bergamasci waren allenfalls ein Durchschnittsteam, als Gian Piero Gasperini (62) im Sommer 2016 das Zepter übernahm. Gasperini galt als guter Trainer, ein großer Name war er aber nicht. Vier Jahre später ist sowohl der Trainer als auch der Klub in ganz Europa bekannt. Aus gutem Grund.


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Wenn ein Spiel mit Beteiligung von Atalanta angepfiffen wird, dann weiß der Zuschauer in der Regel, was er bekommt. Eine Mannschaft, die von der ersten bis zur letzten Minute an sich glaubt und erbarmungslos nach vorne spielt, dabei aber nicht kopflos wird. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit, in der Gasperini sukzessive spielerische Änderungen vornahm und Spieler verpflichtete, die zu seinem Konzept passten, wurde La Dea schnell zum Geheimtipp in Italien.

Doch aus dem Hipsterteam, das sehr gefällig nach vorne spielte, wurde schnell eine Topmannschaft. Platz vier, sieben, drei und drei – das waren die Ergebnisse, die Gasperini mit dieser Mannschaft einfuhr. In jedem Stadium der Entwicklung wurde die Anziehungskraft für vielversprechende Spieler größer. Die Mischung aus jungen Spielern, die hohe Transfererlöse einbringen können und erfahrenen Leistungsträgern, die sich in einer Wohlfühloase befinden und ideal eingesetzt werden, erwies sich schnell als goldrichtig.

Atalanta: Zielstrebigkeit und ungeheure Wucht

Das hat zur Folge, dass Schlüsselspieler wie Papu Gomez (32), Duvan Zapata (29) oder Marten de Roon (29) lieber einmal mehr überlegen, ob ein Vereinswechsel wirklich eine kluge Entscheidung ist. Die Basis zu halten und mit passenden Talenten zu verstärken, ist der Weg der Bergamasci. Und aufgrund des guten Scoutings kann dieser auch entsprechend erfolgreich gegangen werden.

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Auf dem Platz stellt sich das Ganze wie folgt dar: Atalanta spielt zumeist in einem 3-4-2-1-System, gerne auch einmal mit zwei echten Stürmern. Der Spielaufbau erfolgt häufig über die Außenbahnen, mitunter werden präzise lange Bälle eingesetzt. Hierbei ist Zapata Zielspieler, der mit seiner Physis den Ball festmachen und seine Mitspieler einbinden kann. Nach Ballverlust agiert die Gasperini-Elf oftmals sehr clever. Durch aggressives Gegenpressing soll versucht werden, den Ball schnell wieder zu erobern. Gelingt das nicht, ziehen sich die Bergamasci zurück.

Das Spiel nach vorne ist ebenfalls facettenreich. Nicht nur schnelles Umschalten, auch ein kontrolliertes Spiel nach vorne aus dem Ballbesitz heraus kann zum Erfolg führen. Nicht selten dominiert Atalanta, lässt den Ball laufen und schlägt dann mit einer ungeheuren Wucht zu. Dass diese Mannschaft dann auch noch reagieren und Spieler wie Luis Muriel (28) von der Bank bringen kann, macht sie nur noch stärker.

Außenverteidiger, Papu Gomez, licic: Die Protagonisten

Es ist nicht einfach, die “wichtigsten” Spieler von Atalanta zu bestimmen. Im System von Gian Piero Gasperini erfüllt jeder Spieler eine wichtige Aufgabe. Die Dreierkette in der Defensive koordiniert den Aufbau, schaltet sich bei Standards nach vorne ein und soll ansonsten kompromisslos verteidigen. Vor der Dreierkette spielen rechts und links die elementar wichtigen Wingbacks. Auf der rechten Seite läuft häufig Hans Hateboer (26) auf, links steht Robin Gosens (26) zumeist in der Startelf. Mit Timothy Castagne (24) verfügt Atalanta zudem über einen sehr starken Backup auf dieser Position.

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Ihre Aufgaben sind vielseitig. Einerseits soll die defensive Balance aufrecht erhalten werden, andererseits müssen diese Spieler immer wieder nach vorne anschieben. Und das gelingt auch. Sinnbildlich dafür stehen die zehn Tore und acht Vorlagen des Robin Gosens in dieser Saison. Wesentlich weniger spektakulär ist das Mittelfeldzentrum bestehend aus de Roon und Remo Freuler (28) unterwegs. Sie sind laufstarke, passsichere Mittelfeldspieler, de ideal in das System Gasperini passen.

Wenn eine Mannschaft 115 Pflichtspieltreffer erzielt, dann stehen natürlich auch die Offensivspieler im Mittelpunkt. Der erfahrene Papu Gomez ist ein Antreiber, der sehr wendig ist, sich auf dem Platz unfassbar geschickt bewegt und nahezu in jedem Teilbereich der gegnerischen Hälfte zu finden ist. Neben ihm stach in dieser Saison vor allem Josip Ilicic (32) hervor. Mit 15 Toren und acht Vorlagen alleine in der Liga gehörte er zu den besten Spielern der Serie A. Derzeit fehlt Ilicic leider auf unbestimmte Zeit aufgrund privater Probleme.

Atalanta: Geheimfavorit ohne Favoritenrolle

Doch diese Saison hat gezeigt, dass Atalanta einzelne Ausfälle sehr gut kompensieren kann. Auch ohne Ilicic, der eine enorme Brillanz im Offensivspiel mit einem wuchtigen und platzierten Schuss vereint, ist diese Mannschaft brandgefährlich. Dadurch rückt Ruslan Malinovskyi (27) verstärkt in den Fokus, der ebenfalls ein gutes Gefühl für die Räume besitzt und wie Ilicic ein fantastischer Distanzsschütze ist. Abschlüsse aus der Distanz gehören ohnehin zum typischen Spiel der Lombarden, dieses Mittel wird oft eingesetzt, die Angreifer gehen anschließend sofort in die Spitze und lauern auf Abpraller.

Der Blick auf die noch verbleibenden Teams in der Champions League zeigt einige große Namen. Bayern München, Manchester City, PSG, der FC Barcelona Die Liste der Kandidaten auf den Titel ist lang. Nach dieser Saison ist Atalanta BC aber definitiv zum Kreis dieser Kandidaten zu zählen. Insbesondere, weil der Turniermodus dafür sorgen könnte, dass die Stärken des Teams noch einmal besser zur Geltung kommen.

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Schon das Achtelfinale gegen den FC Valencia, als die Bergamasci in zwei Spielen acht Tore erzielten, war ein Fingerzeig. Es gab mehrere Ruhephasen im Spiel und Valencia hatte einige gute Momente, aber sobald die Mannschaft aus Bergamo das Tempo erhöhte, kamen Chancen und Tore zustande. Wenn diese Saison eines zeigte, dann, dass auch 20 oder 30 sehr gute Minuten dafür sorgen können, dass die Gasperini-Elf gleich mehrere Tore erzielt.

Die große Frage: Reicht die Pause zum Kräftetanken?

Wenn man unbedingt einen Kritikpunkt rund um Atalanta finden will, dann sind es die letzten Wochen der Saison. Zwar hat La Dea nach dem Re-Start der Serie A nur am letzten Spieltag gegen Inter verloren und sonst fast jedes Spiel siegreich bestritten, die Niederlage deutete sich aber an. Der straffe Terminkalender hinterließ selbst bei dieser kraftvollen Mannschaft Spuren. Dem eigenen Stil blieb man zwar treu, die Leichtigkeit und die letzten Nuancen in Sachen Genauigkeit und Wucht im Spiel nach vorne gingen aber sukzessive verloren.

Die Serie A beendete ihre reguläre Saison als letzte große Liga, dementsprechend wird es interessant sein, ob die wenigen Tage Ruhepause ausreichen, um die Akkus wieder aufzuladen. Gelingt das und findet Atalanta zu altbekannter Form zurück, dann kann sich Paris Saint-Germain auf einen enorm starken Gegner einstellen. Der Faktor Rhythmus ist ebenfalls ein Vorteil für die Italiener, denn PSG absolvierte abgesehen von zwei Pokalspielen, die durchaus sehr zäh waren, seit März kein Pflichtspiel mehr.

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Klar ist, dass Paris Saint-Germain individuell überlegen ist. Klar ist aber auch, dass das Atalanta nicht im Geringsten interessiert. Es ist eine Mischung aus Unbekümmertheit, dem Wohlfühlen in der Außenseiterrolle und vor allem dem Wissen um die eigene Stärke, die dafür sorgt, dass die Lombarden vor einem der wichtigsten und größten Spiele der Vereinsgeschichte extrem gelassen wirken.

Atalanta: Wenn PSG bezwungen wird…

Aufgrund der Unterbrechung zwischen dem Ligaende und dem Start der Champions League ist nur schwer vorherzusagen, in welcher Verfassung Atalanta BC in das Finalturnier in Portugal einsteigen wird. Die Chancen, nicht nur PSG, sondern die gesamte Konkurrenz zu überraschen, stehen aber zweifelsohne nicht schlecht. Atalanta ist kein gewöhnlicher Überraschungsklub. Die aktuelle Mannschaft, die als Tormaschine agiert, ist – möglicherweise – das Endprodukt einer kontinuierlichen Entwicklung.

Ein Sieg gegen Paris Saint-Germain würde noch einmal neue Kräfte freisetzen und das Selbstvertrauen der Lombarden erneut erhöhen. Getreu dem Motto “Alles ist möglich” könnte diese Mannschaft anschließend von einer Welle der Euphorie getragen werden – mit ungewissem Ausmaß. Ein Endspieleinzug oder gar ein Titelgewinn dieser Mannschaft wäre eine Sensation, ist aber aufgrund der bisherigen Saison gar nicht mal so unrealistisch…

(Photo by Claudio Villa/Getty Images)

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