FC Schalke 04
·31. März 2023
Antidiskriminierungs-Workshop: Schau hin, wenn jemand Probleme hat

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·31. März 2023
Diskriminierung hat viele Gesichter, alle sind hässlich. Doch nicht immer sind sie für jeden sofort erkennbar. Der FC Schalke 04 setzt sich aktiv gegen jede Form der Herabsetzung und Ausgrenzung von Menschen ein, in der Öffentlichkeit wie intern. Deshalb haben die Königsblauen Elena Müller und Patrick Arnold von der Landesarbeitsgemeinschaft der Fan Projekte NRW e.V. engagiert, die in Workshops auch interessierte Mitarbeiter zu diesem Thema schulen.
Insbesondere im Fußballumfeld treten leider immer wieder unterschiedlichste Formen der Diskriminierung auf. Diese zu verstehen, zu erkennen und dadurch bekämpfen zu können, ist die Aufgabe aller. Der Schalker Kreisel hat sich mit den beiden Experten über Herausforderungen und Lösungswege unterhalten.
Elena, Patrick, seid Ihr oft mit der Problematik konfrontiert, dass Teilnehmer denken, sie betreffe so etwas nicht? Patrick: Ich glaube, der Knackpunkt liegt darin, dass wir solche Workshops häufig mit Menschen machen, die der Mehrheitsgesellschaft angehören. Durch ihre eigene Lebenswelt fehlt ihnen die Erfahrung, sie können sich viele Dinge nicht wirklich vorstellen. Der Reflex lautet: Ich diskriminiere doch niemanden und werde nicht ausgegrenzt, das betrifft mich doch gar nicht. Dadurch wird Diskriminierung möglicherweise gar nicht wahrgenommen – und ich merke eventuell auch nicht, wenn ich sogar mit meinem eigenen Verhalten ausgrenze.
Elena: Deshalb starten wir mit dem Element der bekannten Show „Montagsmaler“ in unsere Workshops. Jede Gruppe bekommt einen Begriff wie Obdachloser oder Fußballfan und muss diesen für die anderen verständlich aufmalen. Mit dieser Methode wird für die Gruppe sichtbar, welche Stereotypen wir verinnerlicht haben. Durch diesen ersten Aha-Effekt sind die Teilnehmer noch stärker gewillt, sich zu öffnen und mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es ist wichtig, sich dieser Stereotypen bewusst zu werden, denn sie beeinflussen unser Denken und Handeln.
Patrick: Wir betonen, dass wir niemandem etwas Schlechtes unterstellen wollen. Wir möchten ein Angebot schaffen, um sich mit dem eigenen Denken zu befassen und daraus möglicherweise resultierenden Sorgen, Ängsten oder Fragen. Dieses Bewusstsein hilft, das eigene Verhalten in Alltagssituationen leichter zu reflektieren.
Was erleichtert noch den Einstieg ins Thema? Elena: Es ist immer hilfreich, mit Beispielen zu arbeiten, denn Diskriminierung funktioniert auf verschiedensten Ebenen. Sie kann individuell stattfinden, wenn jemand einen anderen direkt ausgrenzt, aber auch strukturell, dass ich mit einem vermeintlich nicht-deutschen Namen weder Job noch Wohnung finde. Über diese Beispiele kommen wir ins Gespräch, jeder kann sich reflektieren und einen Perspektivwechsel testen.
Patrick: Wir unterscheiden drei Dimensionen: Die erste betrifft Menschen, die andere ausgrenzen, ohne dass es ihnen bewusst ist. Das kommt häufiger vor, als man denkt. Wir unterstellen keine böse Absicht, wollen es aber verdeutlichen. Dieses Verhalten hängt meist mit der Sozialisation und der eigenen Lebenswelt zusammen. Die zweite Dimension erfasst Leute, die andere aktiv diskriminieren, indem sie etwa in digitalen Kommentarspalten sexistische oder rassistische Aussagen hinterlassen. Diese Leute möchten, dass alles wie in ihrer Vorstellung bleibt. Sie nutzen das Stadion oder soziale Medien als Resonanzraum, um ihre Meinung zu verbreiten. Dort finden sie Gehör und unterstützen sich gegenseitig, was wiederum ihr Denken und Handeln weiter verstärkt. Die dritte Dimension betrifft Menschen, die diskriminiert werden, es selbst aber gar nicht zwingend wahrnehmen.
Wie kann man sich das vorstellen? Patrick: Eine Teilnehmer*innengruppe, bei der wir in dieser Hinsicht oft einen Aha-Effekt erleben, sind Frauen. Es gibt anteilig mehr Frauen als Männer in der Gesellschaft, sie erzielen ebenfalls höhere Bildungsabschlüsse, doch dieses Verhältnis spiegelt sich in der Organisationsstruktur von Wirtschaftsunternehmen, und dazu zählen ja auch Bundesliga-Vereine, nicht wider. Sie sind vielleicht schon Opfer individueller oder auch struktureller Diskriminierung geworden, halten das jedoch für normal in dem patriarchalen System, in dem wir immer noch leben. In vielen Bereichen sind Machtpositionen noch immer von Männern dominiert. Fußballclubs gehören ebenso wie die Institution Kirche zu den Bereichen, die besonders augenfällig sind. Wir möchten die Teilnehmer*innen auf diese Missstände aufmerksam machen und dazu auffordern, für die eigenen Rechte zu kämpfen.
Gibt es im Fußball hinsichtlich Diskriminierung eine auffällige Häufung? Elena: Bei den Vorfällen, die wir über unsere Meldestelle für Diskriminierung im Fußball erhalten, handelt es sich am häufigsten um Sexismus, dicht gefolgt von Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit. Diese Meldungen betreffen nicht nur die 90 Minuten des Spiels, sondern ebenso die An- und Abreise, das Stehen in Warteschlangen und den Bereich rund ums Stadion. Wir verzeichnen eine Vielzahl von körperlich sexualisierten Übergriffen, die meist im Gedränge geschehen.
Patrick: Die Straßenbahnfahrt bezeichnen viele Frauen als Angstraum, das muss man sich im Jahr 2023 mal vorstellen. In einem Zweitligastadion sind in der laufenden Saison zweimal Frauen anuriniert worden, von verschiedenen Tätern.
Kommt dem Stadion eine besondere Rolle zu? Patrick: Fußball wird gerne als Querschnitt der Gesellschaft bezeichnet, aber das ist leider nicht so, er lässt sich eher als Brennglas der Gesellschaft beschreiben. Deshalb verfechten wir die Theorie, dass sich gesellschaftliche Prozesse insbesondere im Hinblick auf Diskriminierung und Ausgrenzung im Fußball noch mal viel, viel deutlicher zeigen. Denn wenn wir genau hinschauen, wer im Stadion vertreten ist, stellen wir schnell fest, dass viele Bevölkerungsgruppen stark unterrepräsentiert sind, etwa Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte, aber auch Besucher mit geringem sozialem Status.
Elena: Eine interessante Entwicklung unterstützt diese Feststellung: Mittlerweile dient der häufige Stadionbesuch, womöglich gar in Hospitality-Bereichen, in vielen Kreisen als Statussymbol. Daher sind wir der Meinung, dass der Fußball besonders anfällig für ausgrenzende Verhaltensweisen ist. Dieses Verhalten versuchen wir durch unsere Meldestelle sichtbar zu machen.
Was können die Vereine unternehmen? Patrick: Schalke hat wie viele andere Clubs, die Anlaufstelle im Stadion, das ist eine sehr gute Einrichtung. Darüber hinaus gibt es weitere Angebote wie sogenannte Awareness-Teams. Das sind gemischtgeschlechtliche Teams, die sichtbar und für jeden ansprechbar sind, ähnlich den Volunteers, allerdings mit einer speziellen Ausbildung. Diese permanente Sichtbarkeit führt als weiterer Effekt zu einer Diskursverschiebung. Damit signalisiert man, dass diskriminierendes Verhalten nicht toleriert wird und Ausgrenzung keinen Raum erhält. Nur so kann es auf lange Sicht zu einer Veränderung kommen.
Elena: Eine andere Möglichkeit ist es, Fans Ressourcen zur Verfügung zu stellen, der klassische Empowerment-Gedanke. Der Verein hat ein Stadion, das er bestimmten Gruppen anbietet, um sich auszutauschen und relevante Themen zu diskutieren. So etwas darf jedoch nicht mit dem Hintergedanken geschehen, dass etwas für den Verein Verwertbares dabei herauskommen muss wie eine Kampagne. Ein Angebot wie die AG „Schalke für alle“ geht bereits in die richtige Richtung.
Was muss sich darüber hinaus ändern? Elena: Wir müssen davon wegkommen, dass das Stadion oder ganz allgemein das Spieltagserlebnis das letzte männliche Refugium ist. Auch von der Idee her, dass viele mit dem Gefühl ins Stadion gehen: Die ganze Woche muss ich mich zusammenreißen, aber jetzt kann ich mich völlig gehen lassen. Das Stadion bietet durch den Schutz der Masse und der Anonymität den Nährboden für solches Fehlverhalten. Hier muss die soziale Kontrolle stärker greifen.
Patrick: Wir diskriminieren Menschen, weil wir sie anders wahrnehmen. Bewusst oder unbewusst markieren wir, wer anders aussieht, eine andere Herkunft oder sexuelle Orientierung hat. Der Fußball fördert diese Mechanismen, denn es ist oft ein „wir gegen die anderen“. Das Verhalten rund ums Stadion ist männlichkeitsdominiert, und viele der Diskriminierungen beruhen auf diesem vorherrschenden Männlichkeitsbild. Das spiegelt sich auch in den Beleidigungen des Gegners, der quasi „entmännlicht“ wird als schwul, Heulsuse, vermeintlich schwach und weiblich, durch Sexismus und Queerfeindlichkeit.
Sind Veränderungen spürbar? Patrick: Definitiv, die Gesellschaft verändert sich insgesamt. Aktionen wie #metoo oder die bisweilen emotional geführte Debatte zum Thema Gendern verdeutlicht das. Die Diskussion ist sogar so weit vorangeschritten, dass sich die vermeintliche Gegenseite bereits mit den Themen beschäftigt. Um beim Fußball zu bleiben: Selbst rückschrittlich denkende Fans wissen ja, wann ihr Verhalten sexistisch oder rassistisch ist. Es findet aktuell gesamtgesellschaftlich ein Learning statt, egal wie man persönlich zu den Themen steht. Hättest du 1992 im Stadion gefragt, was jemand zum Thema Sexismus sagt, hätten sich vermutlich alle fragend angeschaut.
Elena: Auch bei großen Unternehmen sieht man starke Veränderungen und spürt immer mehr das Bewusstsein, dass Inklusion der Weg zu mehr Diversität ist. Sie merken, dass sie ihre Unternehmenskultur ändern müssen und machen sich auf den Weg. Ich glaube, das Bewusstsein wächst mit zunehmender Erkenntnis.
Was kann jeder Einzelne tun? Elena: Im ersten Schritt sollte man sich mit dem Thema auseinandersetzen. Dabei kann ein Perspektivwechsel helfen, indem ich mir immer wieder die Frage stelle: Wie würde ich mich fühlen, wenn ich betroffen wäre? Daraufhin muss die Diskriminierung erkannt und auch anerkannt werden. Im dritten Schritt sollte man intervenieren, bevor es an die Nachsorge geht. Wenn man jedoch in eine Situation gerät, in der man Angst hat oder die Gefahrenlage nicht richtig einschätzen kann, sollte man sich ihr sofort entziehen. Der Eigenschutz hat immer Vorrang. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, die Informationsstrukturen des Vereins zu nutzen und den Vorfall zu melden.
Patrick: Ich möchte in diesem Zusammenhang auch betonen, dass Schalke 04 in der Fanbetreuung exzellente Arbeit leistet, das sind Fachleute auf diesem Gebiet. Doch damit sie handeln und Veränderungen anstoßen können, ist es zwingend notwendig, dass die Informationen über Vorfälle und Missstände auch bei den Kollegen landen, damit sie tätig werden können. Deshalb kann ich nur dazu aufrufen: Wer Opfer oder Zeuge von Diskriminierung wird, soll den Vorfall melden. Diese Vorgänge werden absolut anonym und vertraulich behandelt.
Wo steht aktuell der Fußball? Patrick: Wir sind heute definitiv weiter, als ein Banner gegen Rassismus unter das Stadiondach zu hängen. Diese Themen werden seit Jahren intensiv bearbeitet und schlagen sich in nachhaltigen Angeboten und Projekten nieder, die immer qualifizierter werden. Die Vereine und allen voran die DFL haben erkannt, dass der Fußball eine Öffnung braucht, um zukunftsfähig zu bleiben. Und man darf hierbei nicht die Fans vergessen, die bei diesem Komplex eine besondere Rolle einnehmen und wertvolle Arbeit leisten, wenn man allein an die Schalker Fan-Initiative denkt. Vereine sind gut beraten, diese kostenlose Expertise anzunehmen. Fans dürfen nicht als defizitär oder als Kunden betrachtet werden, denn sie haben die Expertise über den Bedarf. Zudem ist es sinnvoll, nicht ständig zu formulieren, wogegen wir sind. Wichtiger sollte sein, für welche Werte wir stehen wollen, damit wir zukünftig einen Fußball erleben, der vielfältig und divers ist und alle Menschen gleichermaßen willkommen heißt. Nach dem Motto: 1000 Freunde, die zusammensteh‘n – also schau hin und nicht weg, wenn jemand Probleme hat!
Die Homepage der Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW bietet ausführliches Informationsmaterial zu den verschiedenen Diskriminierungsformen und wie sie sich im Fußball äußern. In Videoporträts werden die einzelnen Aspekte vertieft. Neben einem breitgefächerten Infoangebot, zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen findet sich dort auch ein Button zur Meldestelle, alle Meldungen erfolgen anonym. Wer weitergehende Fragen hat, kann jederzeit die Mitarbeiter der LAG kontaktieren.
Infos auf medif-nrw.de
… ist Diplom-Sozialpädagoge. Der Bochumer leitete nach seinem Studienabschluss das Schalker Fanprojekt, bevor er 2011 als Leiter Fanbelange zum Verein wechselte. 2015 nahm er seine Arbeit bei der LAG Fanprojekte NRW auf, wo er heute Geschäftsführer ist.
…ist seit 2022 bei der LAG Fanprojekte NRW tätig. Die Essenerin ist seit 2023 Projektleiterin bei der Meldestelle für Diskriminierung im Fußball NRW und u.a. für den Bereich der quantitativen Datenanalyse verantwortlich.
… freute sich gleich doppelt: über einen spannenden Workshop und das Wiedersehen mit ihrem ehemaligen Arbeitskollegen Patrick.