“Ich glaube, die haben alle ‘ne Macke” | OneFootball

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Textilvergehen

·12. Juli 2020

“Ich glaube, die haben alle ‘ne Macke”

Artikelbild:“Ich glaube, die haben alle ‘ne Macke”

Am Donnerstagabend saßen wir mit Marc Rademacher und Daniel Becht im Garten in Pankow und sprachen über den Saison-Dokumentarfilm “Dit is Union, verstehste!”, den beide mit der Unterstützung durch den 1. FC Union gedreht haben. Dabei gab es einen Moment, der mir sehr eindrücklich im Gedächtnis geblieben ist. Wir wollten wissen, was diese Zeit bei Union mit beiden gemacht hat. Denn beide sind mit dem Sport und insbesondere dem Fußball schon lange beruflich verbunden, haben unzählige Male für Sendungen in Bundesligastadien gearbeitet. Da stumpft man als Berufskrankheit etwas ab gegenüber großen Emotionen. Doch je länger wir sprachen, desto mehr wurde deutlich, dass dieser Schutzpanzer bei Union bei beiden auseinander gebröselt ist. Daniel erzählte von der Gänsehaut, die er nach dem 3:1-Heimsieg gegen Dortmund bekam und wie ihm die Tränen kamen, als er nach Abpfiff die Tränen von Fans gesehen hatte.

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Heraus gekommen ist kein Film, der uns Unionfans erklärt, wie wir sind. Aber dafür sehen wir, wie wir sind. Nämlich sehr, sehr unterschiedlich und alle verrückt nach Union. Daniel Becht sagte einmal bei einem Dreh zu seinem Kollegen Marc Rademacher: “Ich glaube, die haben alle ‘ne Macke.” Und genau diese Macke zeigen sie. In 34 Geschichten sehen wir die 34 Spieltage. Erzählt über 34 Unionfans. An jedem Spieltag steht eine andere Person im Mittelpunkt und in unserem Kopf fügt sich dann ein Bild zusammen, bei dem wir sagen: “Stimmt, so sind wir. Und ja, wir haben alle ‘ne Macke.”


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Was diesen Film so besonders macht, ist diese Nähe zu den einzelnen Personen und wie ernst sie genommen werden. Und dazu hatten die Macher die Möglichkeit, Spielszenen jeder Partie in Unions erster Bundesliga-Saison mit eigener Kamera zu drehen. Wir bekommen also eben keinen Film, der nur “Alle Spiele, alle Tore” ist mit Szenen, die wir von Sky, Dazn oder der Sportschau schon alle kennen. Wir bekommen Geschichten, die sich mit Spielszenen zusammenfügen. Es ist wirklich sehr schön, Sylvia Weisheit auswärts in Augsburg zu erleben, wie sie erst mit Unionfans aus dem Ostallgäu zusammen sitzt und dann im Gästeblock das erste Bundesligator von Union quasi über die Linie schreit.

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Was die Corona-Pandemie mit dem Film gemacht hat

Die Idee des Films, 34 Geschichten über 34 unterschiedliche Personen an 34 Spieltagen von Unions erster Bundesligasaison zu erzählen birgt natürlich Risiken. Zum einen das sportliche Risiko. Union hätte einfach auch sehr schnell chancenlos und abgeschlagen am Tabellenende stehen können. Das ist glücklicherweise nicht passiert. Die Saison hätte auch vorher entschieden sein können und die letzten Spieltage hätten wie ein Anhang gewirkt. Das ist tatsächlich passiert mit dem Klassenerhalt in der Partie gegen Paderborn 3 Spieltage vor Schluss. Aber auch hier zeigt sich, dass Union auch dann noch Geschichten schreibt, wenn der Sport längst durch ist mit seiner Erzählung. Für mich war sowieso die Saison erst mit dem Karriere-Ende von Michael Parensen zu Ende.

Das Risiko einer Pandemie, mit dem drohenden Saisonabbruch hatten weder Daniel Becht noch Marc Rademacher oder überhaupt irgendjemand auf dem Schirm. Und doch schlug es voll rein. Denn die Fans waren plötzlich weg. Und hier macht der Film etwas, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Er zeigt eine Schlüsselloch-Perspektive, auf die er sonst verzichtet. Sonst gibt es keine Kabinenansprachen oder ähnliches. Das ist aus erzählerischer Sicht ja immer dasselbe. Aber in der Coronapause, einer einzigartigen Situation ist es das eben nicht.

Wir sehen beispielsweise die Ansprache des Präsidenten an die Spieler am Tag nach der Absage des Heimspiels gegen Bayern München. Und genau in dem Moment bekomme ich immer noch eine Gänsehaut, als Dirk Zingler den Spielern klar und deutlich sagt, wieviel Minus Union jeden Monat ohne Spiel machen wird und dass die Spieler als allerletztes im Verein ihr Geld bekämen, denn andere Mitarbeiter würden es dringender zum Leben benötigen.

Wegen Corona: DVD statt Stadionkino

Die Coronavirus-Pandemie hat uns um ein paar Events gebracht, von denen wir nie rauskriegen werden, ob sie geplant wurden oder nicht. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass ein Spiel zur Präsentation der neuen Trikots und zum Start der Partnerschaft mit Adidas ein krasseres Event gewesen wäre als das Zeigen der Hemden zum Trainingsstart. Ganz sicher verpassen werden wir in diesem Sommer ein Stadionkino. Denn es war geplant, den Film “Dit is Union, verstehste!” an der Alten Försterei zu zeigen. Und seit ich das weiß, bin ich echt traurig. Weil ich den Film, der unglaubliche 3 Stunden lang ist, wahnsinnig gerne mit all den anderen Verrückten im Stadion gesehen hätte.

Ich hoffe, dass wir den Film trotzdem alle an der Alten Försterei sehen können. Wenn nicht in diesem Jahr, dann halt im nächsten oder übernächsten. So lange gibt es den Film auf DVD oder Bluray zu bestellen. Es gibt auch Bundles mit dem Aufstiegsfilm oder diese Spezialbox, die nur bis 24. Juli zu bestellen ist. Das fängt die Einbußen aus dem nicht stattfindenden Stadionevent ein wenig auf. Und ganz ehrlich, falls wir die nächste Saison wieder nicht im Stadion verbringen dürfen, dann ist so ein 1,5-Meter-Abstandshalter für das Anfeuern aus dem Wald durchaus praktisch. Und ein Schnapsglas wäre dann wohl auch sehr nützlich.

Der Podcast zum Film

Wir haben unser Gespräch mit Daniel Becht und Marc Rademacher auch aufgenommen und als Podcast veröffentlicht. Darin erzählen die beiden sehr unterhaltsam von einer ersten Vorführung des Films bei Dirk Zingler, die etwas anders als geplant verlief. Aber es geht auch sehr konkret darum, wie sie Geschichten für den Film ausgewählt haben, wie sie die Corona-Pause genutzt haben und was sie von den vielen anderen Fußballdokus halten. Ihr könnt den Podcast hier hören.

Und sonst so?

Unions Idee für ein Konzept, um alle Zuschauer ins Stadion zu holen, hat ein sehr breites Echo gefunden. Wenn ich mir die sehr umfangreiche Medienberichterstattung so anschaue, dann bin ich mir allerdings noch nicht im Klaren darüber, ob der Unterschied zwischen Idee und fertigem Konzept, das so umgesetzt werden wird, überall angekommen ist. Klar ist, dass die Fragen, die unter anderem auch wir gestern hier auch aufgeworfen haben, von Union beantwortet werden müssen.

Was bereits sichtbar ist: Es wird nun auch breiter diskutiert, unter welchen Umständen mehr möglich sein könnte. Mir ist bereits länger nicht klar, warum beispielsweise das Verbot von Großveranstaltungen bis Ende Oktober so als feste Kennzahl hochgehalten wird. So wie es erlassen wurde, kann es bei der Änderung von Umständen (anderes Infektionsgeschehen, Dietmar Hopp schenkt uns allen den bis Herbst versprochenen Impfstoff, sichere Tests für alle, etc.) auch wieder kassiert werden.

Worauf ich mich konzentrieren würde:

  • Welche Art Tests würde Union anbieten?
  • Wie sicher sind diese Testergebnisse?
  • Wie aufwendig ist eine Testlogistik?
  • Was kosten die Tests?

Ich würde hier sehr genau auf die Fakten schauen und mich von Meinungsäußerungen dazu gar nicht aus der Ruhe bringen lassen. Der 1. FC Union Berlin und auch der Profifußball ist aus meiner Sicht nicht der Adressat für Versäumnisse in anderen gesellschaftlichen Bereichen (Pflege, Gesundheitssektor, Schulen, etc.). Ich kann weiterhin die Seriosität des Konzepts von Union nicht beurteilen, weil ich die Details nicht kenne. Und es verwundert mich durchaus, wie schnell sich Personen dazu eine Meinung bilden können, die ebensowenig darüber wissen.

Hier ein Ausschnitt aus der Medienberichterstattung dazu:

  • Kommentar: Volle Zuschauerzahl an der Alten Försterei heißt volles Risiko (Tagesspiegel)
  • Karl Lauterbach: „Das Konzept des 1. FC Union halte ich für nicht vertretbar“ (Tagesspiegel)
  • Union geht volles Risiko (Morgenpost)
  • Kommentar: Union kann mit Zuschauern in Corona-Zeiten Pionier werden (BZ)
  • Darum will Union 22.000 Corona-Tests bezahlen (BZ)
  • Union verteidigt seine Corona-Testpläne (Kurier)
  • Kommentar: Sind die Unioner Träumer oder Pioniere? (Kurier)
  • Experten zweifeln an Unions Fan-Plan (Bild, Bezahl-Link)
  • Der Kampf um die Fußball-Fans (Bild, Bezahl-Link)
  • Volles Stadion? Das sagen die Union-Fans (Bild)
  • “Menschen flehen uns jeden Tag an, dass sie zurückkommen können” (RBB)

11Freunde-Chefredakteur Philipp Köster schreibt in einem Kommentar beim Stern, Union würde damit den Konsens der Gleichbehandlung unter den Bundesligaclubs aufheben. Schließlich hätten bei Geisterspielen alle gleiche Voraussetzungen. Das stimmt allerdings nicht, da die DFL kein einheitliches Konzept für die Rückkehr der Zuschauer erarbeiten kann. Die Geisterspiele fielen unter das Arbeitsrecht und konnten so bundeseinheitlich geregelt werden. Für die Zulassung von Zuschauern sind die lokalen Gesundheitsbehörden zuständig. So hat Leipzig für seinen Plan, die Hälfte der Zuschauer zuzulassen bereits Grünes Licht von den Gesundheitsbehörden der Stadt erhalten (MDR).

Ich wünsche euch noch einen schönen Sonntag

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